
Halle. Mehrmals in der Woche trainiere ich mit schwerem Gewicht im Fitnessstudio, bin zusätzlich bei Kraftausdauerkursen und scheue beim Seilklettern auch nicht die 15 Meter hohe Wand – doch nach den ersten Minuten beim sogenannten Hobby Horsing erhöht sich mein Puls und ich hoffe, man hört mich nicht schnaufen. Und das ist erst das Aufwärmprogramm. Die ganz große Challenge erwartet mich noch: das Sprungtraining.
Hochsprung? Das war in der Schule schon ein guter Grund, ein Wehwehchen vorzutäuschen. Aber jetzt gibt es kein Entkommen. Denn mein Team, bestehend aus Cheyenne, Isabel, Bella, Caroline und Sophie, setzt auf mich. Die Elf- bis Zwölfjährigen lassen mich heute an ihrem wöchentlichen Training teilnehmen.
Jede hat ihr eigenes Kunstpferd - teils liebevoll frisiert, mit schmuckvollem Zaumzeug und klangvollen Namen wie „Shadow“. Einige der jungen Reiterinnen haben sogar Turniererfahrung: Cheyenne hat vor kurzem sogar bei einem Wettbewerb die amtierende Deutsche Meisterin im Zeitspringen überholt. Bei der nächsten Meisterschaft erhofft die Schülerin an einem Sportgymnasium und Tochter des Trainerpaars, Christine und Nicco Niedermeier, die nächste Titelträgerin zu werden.
Hobby Horsing wird von vielen belächelt, weiß die Trainerin aus Halle

Auch wenn viele das Reiten mit den Plüschkopf-Steckenpferden belächeln, handelt es sich um einen anerkannten Sport mit deutschem Dachverband, stellt Christine Niedermeier klar. Auf NRW-Ebene wird aktuell ein Landesverband gegründet, bei dem auch die Haller Pädagogin mitmischen will: „Ich finde es schade, wenn sich Leute darüber lustig machen. Vor allem, wenn man bedenkt, dass sich viele Sport mit echten Pferden gar nicht mehr leisten können. Zudem ist Hobby Horsing eine Möglichkeit, Kinder an den Reitsport heranzuführen. Denn 95 Prozent der Elemente, die wir trainieren, sind aus der Reiterszene.“
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Cheyenne hat gemischte Erfahrungen mit den Reaktionen auf ihr Hobby gemacht. „Die Mädchen finden es cool, die Jungs peinlich“, fasst sie zusammen.
Dass Mutter und Tochter so ambitioniert dabei sind, hat aber auch etwas mit Vater Nicco zu tun. Der Grundschullehrer hat vor einigen Jahren mit einer Hobby-Horsing-AG seine Schüler begeistert. Seine Frau, die selbst viel Reiterfahrung hat, testete den finnischen Trendsport als Ferienworkshop an ihrer Nachhilfeschule in Halle. Das Programm kam so gut an, dass sich daraus ein festes Angebot entwickelte. Zehn Euro kostet das 90-minütige Training. Jeden Samstag von 15.30 bis 17 Uhr trifft sich die Gruppe aus aktuell fünf Mädchen an der Oldendorfer Straße.
Das Training beginnt, und schon das Aufwärmen löst Panik aus
Und dieses Mal bin ich auch am Start. Warum? Ganz ehrlich – weil meine Kollegen diese Idee saukomisch fanden und ich ihnen den Spaß gönne. Weiter habe ich offensichtlich nicht gedacht, als ich mich auf das Experiment eingelassen habe. Denn schon beim Aufwärmen – ein lockerer Lauf im Trab und im leichten Galopp den Wald entlang – bin ich das Schlusslicht und beim spontanen Wettrennen chancenlos.
Ein paar Aufwärmsprünge über einen dicken Ast lösen leichte Panik aus: Das könnte ein interessanter Arbeitsunfall werden Aber Weglaufen geht nicht. Stattdessen geht es zurück zum Garten der Niedermeiers. Dort warten zahlreiche Hindernisse für den ersten Trainingspart. Ich werde unruhig. Da alles mit der Kamera dokumentiert wird, muss ich mich ständig daran erinnern, die Mundwinkel hochzuziehen, während ich mich gedanklich schon unglamourös stürzen sehe.
Unsere Trainerin zeigt uns die 13 geplanten Hindernisse für das Zeitspringen. Einige sehen beunruhigend hoch aus, andere stehen relativ eng. Wie soll ich es ohne Anlauf schaffen? Wobei „Anlauf“ das falsche Wort ist: Wir reiten selbstverständlich im Galopp. Ich bin die Letzte in der Schlange. Der Puls geht hoch, während ich einer Teilnehmerin nach der anderen bei gekonnten Sprüngen zusehe. Die Übrigen feuern ganz kollegial an.
Mit Steckenpferd Ginger gelingt das Hobby-Horsing-Training
Dann geht es auch für mich und meinem Leih-Pferd Ginger los: Wir überwinden die unterschiedlich hohen Hürden mal im Rechts-, mal im Links-Galopp. Einmal um das ganze Haus herum und wieder zurück. Ich höre: „Melanie, Melanie, Melanie “ und renne um die Hausecke auf das letzte Hindernis zu. Und bleibe erschrocken stehen. Diese Stange liegt am höchsten. „Melanie, Melanie, Melanie “ Ein paar Schritte zurück, Anlauf, uuuund geschafft!
Am Ziel muss ich unauffällig wieder zu Atem kommen und darf mich dann auf weitere Runden freuen. Bei der Siegerehrung belege ich wenig erstaunlich den letzten Platz. 1:04. Zum Vergleich: Siegerin Cheyenne schafft den Parkour in 39 Sekunden.
Aber beim anschließenden Geschicklichkeitslauf, bei dem man unter anderem rückwärts läuft, Bälle wirft und durch einen Ring hüpft (ich stürze plump hindurch), erarbeite ich mir zumindest den zweitletzten Platz.
Doch dann wird es noch mal kritisch: Das Finale der Stunde macht alle etwas hibbelig, und wir sprechen uns gegenseitig Mut zu. Beim Mächtigkeitsspringen messen wir uns im Wechsel darin, möglichst hochzuspringen. Jede Runde fünf Zentimeter mehr.
Hobby Horsing ist ein echter Sport – mit Muskelkater-Potenzial

Ein paar Runden schaffe ich, obwohl ich es selbst kaum glauben kann. Bei 70 Zentimetern werde ich wieder panisch. Aber es klappt! Bei 75 Zentimetern stoppe ich erneut kurz vor der Hürde, nehme ein zweites Mal Anlauf (in mangelhafter Technik) und bin raus. Auf einem Steckenpferd und im Galopp rennend, fällt es mir offensichtlich schwer, mein Sprungbein zu koordinieren. Um den deutschen Rekord zu knacken, müsste ich meine Leistung jedoch mehr als verdoppeln. Meinen Teamkolleginnen, Isabel und Cheyenne, die bereits jetzt locker über einen Meter hochspringen, traue ich zu, dass sie es irgendwann über 1,42 Meter schaffen.
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Dass das Training mit dem Haller Hobby-Horsing-Team kein albernes Spiel, sondern ein richtiger Sport ist, das unterstreicht mein Muskelkater an den nachfolgenden Tagen.
Wer die Reiterinnen live sehen will, bekommt dazu am Stadtfest Haller Willem Gelegenheit: Das Team präsentiert sich am Donnerstag, 29. Mai. Am Sonntag, 1. Juni, findet zudem ein Turnier in Melle statt, mehr dazu unter hobby-horsing-germany.de. Weitere Infos zum Training in Halle unter www.tinesnachhilfeschule.de oder telefonisch bei Christine Niedermeier unter (0151) 23249816. Außerdem bietet die Hallerin in den Osterferien von Montag bis Donnerstag (14. bis 17. April) von 15 bis 17 Uhr für 80 Euro einen Hobby-Horsing-Workshop für Pferdefans ab sieben Jahren an.