
Eine Frage stand ab dem Abend des 8. November wie der sprichwörtliche Elefant im Raum: Es kann doch nicht sein, dass sich ein paar engagierte Jäger treffen und binnen weniger Stunden zustande bringen, was Großaufgebote von zwei Polizeibehörden in mehreren Tagen nicht hinbekommen haben: Sie finden die Leiche des vermissten 90-Jährigen und verschaffen seiner Familie damit zumindest traurige Gewissheit.
Natürlich hat das auch die HK-Redaktion bewegt, unsere Lokalchefin Nicole Donath hat recherchiert und ist den Hintergründen auf die Spur gegangen. Bei den Borgholzhausener Jägern um Hegeringleiter Ulrich Meyer zu Drewer stieß sie dabei auf unverhohlenen Frust: Die Polizei habe die bestens sichtbaren persönlichen Gegenstände des Seniors offenbar nicht wahrgenommen, Hilfeangebote der Jäger abgelehnt und selbst keinen Erfolg gehabt - unter dem Strich bescheinigt der Jäger den Einsatzkräften schlechte Arbeit.
Natürlich sind da Dinge, die stutzig machen. Wenn die Hinweise selbst für die Jäger so deutlich auf der Hand lagen, warum dann nicht für die polizeilichen Suchtrupps? Und wie können 22 Grünröcke schaffen, was mehrfach so große Einsatzgruppen tagelang nicht hinbekamen? Es muss erlaubt sein, das zu fragen, und unsere Redaktionsleiterin hat das getan.
Wie weit soll ein alter Mann in so einer Situation kommen?
Und wenn man dann genauer hinblickt, stellen sich die Dinge eben oftmals nicht mehr so eindeutig dar. Wie die Spurenlage in der Nähe des Autos aussah, als die Polizei das Gebiet absuchte, lässt sich eben nachträglich nicht mehr so einfach rekonstruieren. Die Beamten gingen professionell und mit großem Einsatz nach einem bewährten Verfahren vor - und sie konzentrierten ihre Bemühungen nach einem Hinweis der Hunde zunächst auf einen bestimmten Bereich.
Anders ist die Suche bei einem so großen potenziellen Gebiet womöglich auch nicht leistbar. Und dass die Beamten bei ihrem System und ausreichend Kräften zunächst einmal auf Externe verzichten, um nicht noch mehr Abstimmungsbedarf zu erzeugen, ist argumentativ zumindest nachvollziehbar.
Sicher ist man im Anschluss immer schlauer: Wie weit soll ein alter Mann in so einer Situation denn kommen? Muss man sich nicht auf den Nahbereich des verlassenen Autos konzentrieren? Einfach mal ein bisschen besser hinschauen, dann wäre er viel schneller gefunden worden.
Vorwürfe verstellen den Blick aufs Wesentliche
Doch damit sind wir genau bei den schlichten Schuldzuweisungen, die im ersten Blick zwar guttun, wenn man Erklärungen für unfassbare Dinge braucht - jetzt aber niemandem mehr weiterhelfen und auch den Blick auf das Wesentliche verstellen. Hier ist ein alter Mann gestorben, der kurz vor seinem Tod wahrscheinlich allein und orientierungslos war - das ist tragisch und für die Hinterbliebenen und alle, die ihn kannten und mochten, nur schwer zu ertragen.
Eine realistische Chance, den Senior lebend zu finden, hat nie bestanden. Auch wenn ein früherer Erfolg der bangenden Familie zumindest schneller Gewissheit verschafft hätte. Darum kann und sollte man den Ablauf der Suchmaßnahmen im Anschluss sicherlich diskutieren und vielleicht auch eine Fehlersuche betreiben. Unterm Strich muss man aber konstatieren: Hier hat sich ein Großaufgebot der Polizei zunächst tagelang um den Vermissten bemüht. Und anschließend haben engagierte Jäger in ihrer Freizeit weitergemacht und den Mann gefunden. Diese Leistung sollte gewürdigt werden und als Beleg für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft dienen: Hier ist eben nicht egal, was mit den Mitmenschen geschieht. Eine Debatte um Schuld und Fehler würde diesen Verdienst nur überdecken - genau wie die wichtige, positive Botschaft, die von ihm ausgeht.
Im nächsten Schritt stehen wir aber auch vor großen Fragen: Der 90-Jährige fuhr noch Auto, war relativ fit und nahm am gesellschaftlichen Leben teil. So wünschen wir es uns für unsere Alten, für unsere Eltern und Großeltern, die wir zumindest in Gedanken, manchmal aber auch tatkräftig in ihrem Alltag begleiten. Doch in dieser Nacht hatte der Borgholzhausener keine Chance. Wie lassen sich solche gefährlichen Situationen für unsere Liebsten verhindern, ohne dass wir sie abschotten und einsperren? Gibt es technische Möglichkeiten oder einzuübende Routinen, die im Zweifelsfall Leben retten können? Das sind die Fragen, die sich jede Familie individuell stellen muss - die aber auch gesellschaftlich eine höhere Relevanz erhalten sollte. Das hat dieses tragische Unglück bewiesen.