Urteil im Prozess um Marion S. aus Steinhagen: Lebenslange Haft für Ehemann

Halle/Bielefeld. Kurz vor der Urteilsverkündung ist der angeklagte Ehemann der ermordeten Marion S. (68) noch angespannt, nervös schaut er sich im großen Saal 1 um. Als der Vorsitzende Richter Sven-Helge Kleine das Urteil spricht, wird sein Blick starr: Wegen Mordes an seiner zuletzt von ihm getrennt lebenden Ehefrau soll der Senior lebenslang ins Gefängnis. Damit folgt die Kammer dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Zur Begründung heißt es, dass der Angeklagte ein Motiv hatte. Für seine Täterschaft würden die Gutachten des Landeskriminalamtes sprechen. Außerdem habe der Beschuldigte ausreichend Zeit gehabt, die Tat zu begehen. Weitere Indizien seien die Bodenproben, die man am Spaten und in seinem Auto genommen habe. Strafverteidiger Sascha Haring aus Halle hatte bereits im Vorfeld der Urteilsverkündung angekündigt, für den Fall eines Schuldspruches in Revision zu gehen. Das wird jetzt der nächste Schritt. Er zeigte sich enttäuscht und erklärte: &bdquo;Mein Mandant ist schockiert! Mit der Urteilsbegründung bin ich nicht einverstanden. Nur 15 Minuten Begründung, wo ich fast eine Stunde plädiert habe. Wichtige Fragen sind nicht beantwortet worden." Die zahlreichen Besucherinnen und Besucher, die den zehnten und letzten Verhandlungstag rund um den gewaltsamen Tod der Rentnerin Marion S. (68) aus Steinhagen verfolgten, hatten ebenso wie die Beteiligten bereits einen langen Tag hinter sich, als um 17.18 Uhr am frühen Abend das Urteil verkündet wurde. Damit war am Morgen nicht unbedingt zu rechnen. Zwar hatte Guiskard Eisenberg, Sprecher des Landgerichtes Bielefeld, auf Anfrage des HK mitgeteilt, dass Sven-Helge Kleine als Vorsitzender Richter des Schwurgerichtes diesen Plan zumindest in Aussicht gestellt hat. Dennoch war dies eine Überraschung, denn das noch ausstehende Programm war mindestens mal ambitioniert. Navigationsgerät des Angeklagten gibt Hinweise auf Steinhagen Zu Beginn des zehnten Prozesstages am Freitagmorgen sagte zunächst ein Polizeibeamter (36) aus Halle aus, der bei der Durchsuchung auf dem Anwesen des Angeklagten im Juli vergangenen Jahres dabei war. Außerdem berichtete er von der ersten Befragung des 73-Jährigen. Damals habe dieser erklärt: &bdquo;Ich habe mit dem Verschwinden meiner Frau nichts zu tun. Fragen Sie doch mal ihren neuen Lebensgefährten ..." - Dann wurde es das erste Mal an diesem Morgen spannend. Wie der Polizeibeamte nämlich auch berichtete, habe man das Navigationsgerät des Angeklagten im vergangenen Jahr ausgelesen. Die letzte Eingabe sei &bdquo;Magdeburger Straße in Steinhagen" gewesen - die befindet sich einen Kilometer von der Erfurter Straße entfernt. Also genau dort, wo das Elternhaus von Marion S. steht, und wo sie auch zuletzt gesehen und offenbar verschleppt wurde. Mehr zum Thema: Die Chronologie zum Mordfall Marion S. Schwiegersohn des Angeklagten lehnt Aussage vor Gericht ab Dann wurde die Verhandlung unterbrochen. Der Grund: Strafverteidiger Haring hatte einen Antrag auf Teilverzicht des Aussageverweigerungsrechts des Schwiegersohnes seines Mandanten gestellt. Dieser hatte schriftlich mitgeteilt, dass er einer Verlesung seiner ersten Vernehmung in Auszügen zustimme. Laut Haring ist darin ein Alibi für seinen Mandanten für den 5. Juli 2023 enthalten - der Tag des Verschwindens von Marion S. Demzufolge habe der 73-Jährige Weidezäune aufgestellt. Die Kammer lehnte den Antrag allerdings ebenso ab wie die Staatsanwaltschaft. Vielmehr wurde versucht, den Schwiegersohn zu erreichen. Der Versuch war erfolgreich - doch eine Aussage vor Gericht lehnte er ab. Stattdessen wurde nun eine schriftliche Erklärung des Angeklagten verlesen, in der es heißt: &bdquo;Ich habe Marion am 11. August 1978 geheiratet. Aus unserer Ehe sind drei Kinder hervorgegangen. Probleme gab es vor zehn Jahren: Meine Frau wollte mit der Landwirtschaft nichts mehr zu tun haben, zu viel Arbeit. Später kehrte sie zu mir zurück und es war alles wieder gut. Dann erzählte sie mir, dass sie vom Ehemann ihrer Schwester vergewaltigt worden sei. Das sei aber nicht angezeigt worden. Daraufhin begannen ihre Angstzustände. Ich habe sie nie bedroht oder geschlagen." Ehemann der ermordeten Marion S. weist Schuld von sich Weiter ließ der 73-Jährige mitteilen: &bdquo;Nach ihrem endgültigen Auszug hat Marion in der Kur einen Mann kennen gelernt. Dann wollten wir eine Paartherapie machen, was ihr Anwalt abgelehnt hat. Sie wollte unbedingt die Scheidung. Es gab Streit um die finanzielle Situation. Einmal habe ich gesagt, dass sie kein Geld bekommt - das war aber nicht ernst gemeint. Marion hat immer übertrieben und vieles falsch dargelegt. Ich habe keine Ahnung, warum sie vor mir Angst gehabt hat. Mit ihrem Tod habe ich nichts zu tun!" Ansonsten habe er im Jahr 2021 seinen Pkw zugelassen; darin habe er auch zwei Schaffelle transportiert und entsorgt, die jahrelang unter den Matratzen des Ehebettes gelegen hätten. &bdquo;Ich habe auch tote Schafe von den Wiesen in meinem Pkw transportiert. Ebenso private Dinge von Marion wie beispielsweise Kleidung, Dekoration oder einen Sessel", las Haring aus der Erklärung seines Mandanten vor. &bdquo;Sie hatte direkten und indirekten Kontakt zu diesen Dingen." Dann ging es um den Tag ihres Verschwindens, den 5. Juli 2023. Das will der angeklagte Ehemann am Tag des Verschwindens gemacht haben &bdquo;Um 10.30 Uhr habe ich mit meiner Tochter telefoniert, danach mit der Volksbank. Von 11.30 bis 12.25 Uhr war ich bei der Provinzial-Versicherung. Um 13 Uhr an einer Tankstelle. Bis kurz nach 14 Uhr war ich in Brockhagen zum Einkaufen, ich habe Eis für meine Enkelkinder gekauft." Von 14.30 bis 15 Uhr sei er dann zu Hause gewesen, um anschließend zu seiner Wiese zu fahren und Zäune für die Schafe aufzustellen. &bdquo;Um 17.30 Uhr war ich wieder auf meinem Hof und habe meine Enkelkinder in Empfang genommen." Und plötzlich kam ein ganz neuer Aspekt ins Spiel. &bdquo;Marion hatte auch eine Internetbekanntschaft zu einem mir unbekannten Mann. Ich vermute, dass dieser Mann etwas mit dem Tod meiner Frau zu tun hat", ließ sich der Angeklagte von Haring zitieren. Der dann allerdings mit den Worten schloss: &bdquo;Mein Mandant lässt keine weiteren Nachfragen zu." Für Staatsanwalt Christoph Mackel ist das Tatmotiv klar Als der Verteidiger diese Erklärung verlesen hatte, war es 12.15 Uhr und die Sitzung wurde für eine Mittagspause unterbrochen. Nachdem erste Zweifel am Plan des Vorsitzenden Richters aufkamen, noch am selben Tag ein Urteil zu sprechen, ging es dann umso zügiger voran: Unmittelbar nach der Mittagspause starteten die Plädoyers. Den Anfang machte Staatsanwalt Christoph Mackel. Er forderte eine lebenslange Haftstrafe des Angeklagten wegen Mordes. Alle Indizien, Aussagen von Zeugen, die Spurenlage wie Mischspuren DNA, Haare sowie sichergestellte Fasern als auch die finanzielle Not des Hofes ließen keine Zweifel aufkommen; das Motiv sei klar. Mit Blick auf den Tatablauf führte Mackel aus: &bdquo;Wir wissen nicht, wann Marion S. vergraben wurde." Sie könne auch für ein oder zwei Tage erst noch in der Nähe gelagert worden sein. Verteidiger Sascha Haring fordert Freispruch für seinen Mandanten Sascha Haring hielt sein Plädoyer im Anschluss. Und erklärte gleich zu Beginn, dass er für seinen Mandanten einen Freispruch fordere. &bdquo;Niemand der Zeugen hat Bedrohungen oder Beschimpfungen selber miterlebt", begründete er. &bdquo;Alle Aussagen dazu kamen von Marion S., die in psychologischer Behandlung war. Sie hat ihre Angst bewusst gegen den Ehemann eingesetzt." Es dränge sich daher die Frage auf, ob sie nicht nur unter Verfolgungswahn gelitten habe. Möglicherweise auch als Folge der nicht angezeigten Vergewaltigung. &bdquo;Es hat nur einseitige Ermittlungen der Polizei gegeben. Die Beweiskraft ist eingeschränkt." Dann stellte er eine rhetorische Frage: &bdquo;Was haben wir? Wo und wann Marion S. getötet worden ist, wissen wir nicht. Wie sie zum Grab gelangt ist, wissen wir nicht. Lebendig oder tot, wissen wir nicht. Und dann das abgehörte Telefongespräch zwischen dem Beschuldigten und seiner Tochter, das hier nur halb wiedergegeben worden ist: Wenn du es warst, bereue ich, dir gesagt zu haben, dass Marion heute im Haus ist, um aufzuräumen", zitierte Haring. Und fuhr fort: &bdquo;Die Antwort des Angeklagten lautete: &bdquo;Das wusste ich doch gar nicht." Woraufhin die Tochter sagte: &bdquo;Ach ja, stimmt." Angeklagter ergreift das letzte Wort Und Haring legte nach: Marion S. habe gegenüber der Zahnarzthelferin gelogen, als sie ihre Prothese am Morgen des 5. Juli abgegeben und ihr gesagt habe, dass das ihr Mann gewesen sei. &bdquo;Dabei hat der Reparaturtermin seit Tagen festgestanden. Sie hat sich zu Lebzeiten als Opfer inszeniert. In dem ganzen Fall gibt es erhebliche Zweifel und unbeantwortete Fragen", so Haring. Sein Mandant schloss sich ihm an, und stand für das letzte Wort, das dem Angeklagten vorbehalten ist, auf. Und erklärte: &bdquo;Ich beteuere meine Unschuld." - Das sieht das Landgericht offensichtlich anders. Noch ist das Urteil allerdings nicht rechtskräftig.

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