Mordfälle Nelli Graf und Maria Kruse: Darum haben Ermittler wieder Hoffnung

Altkreis Halle/Bielefeld. Die eine Frau mit Hammer und Axt erschlagen, die andere mit zahlreichen Messerstichen brutal getötet: Sowohl der Mord an der Versmolder Rentnerin Maria Kruse (76) im Jahr 1983 als auch der gewaltsame Tod von Nelli Graf (46) aus Halle im Oktober 2011 haben die Menschen in der Region erschüttert. Aufgeklärt wurden die Verbrechen bislang nicht; im Gegenteil: Sie tragen längst das Etikett &bdquo;Cold Case“. Ob das Team von Markus Mertens so viele Jahre später tatsächlich noch herausfindet, was all die Vorgänger trotz akribischer Ermittlungsarbeit nicht geschafft haben? Der Erste Kriminalhauptkommissar gibt sich an diesem Nachmittag zuversichtlich: &bdquo;Wenn wir keine Hoffnung hätten, würden wir diesen Aufwand nicht treiben.“ 62 Verbrechen waren es insgesamt, bei denen das Landeskriminalamt (LKA) Düsseldorf vor ein paar Jahren Potenzial sah, sie doch noch aufklären zu können. In den ausgewählten Fällen schauten sich zunächst pensionierte Polizeibeamtinnen und -beamte die Akten noch einmal an und notierten ihre Ideen. Mittlerweile sind die Unterlagen längst vollständig digitalisiert, und seit eineinhalb Jahren ist ein neues Team mit den Cold Cases befasst - &bdquo;mit der gebotenen Neutralität und mit frischem Blick“, wie Markus Mertens es beschreibt. Jetzt seien es noch etwa 20 Verfahren, auf die man sich konzentriere, immer zwei bis drei parallel. Übrigens nicht mit dabei: der Mord an Susanne Nieter aus Steinhagen-Amshausen im Jahr 2001. Der Leiter dieser speziellen Mordkommission trinkt einen Schluck Wasser. Dann lächelt er und sagt: &bdquo;Ich bin wirklich stolz auf diese Truppe. Die machen hier alle einen super Job.“ Manchmal, erzählt der 56-Jährige, da komme er ins Büro im Souterrain des Bielefelder Polizeipräsidiums, und es sei einfach mucksmäuschenstill. &bdquo;Befreit vom Alltagsgeschäft sitzen alle da und lesen so konzentriert; nicht selten drei, vier Stunden lang. Bis einem etwas aufgefallen ist - dann stecken sie die Köpfe zusammen und überlegen neu.“ Grundsätzlich prüfe sein Team, ob im Zuge der ursprünglichen Ermittlungen an der ein oder anderen Stelle ein roter Faden mal nicht länger verfolgt worden sei. Und natürlich sei die Gruppe beispielsweise im Fall von Nelli Graf auch noch einmal nach Halle gefahren. Cold-Case-Ermittler in der Stadt des brutalen Mordes an Nelli Graf &bdquo;Wir waren am Wohnhaus der Familie Graf, von wo aus Nelli Graf mutmaßlich mit dem Fahrrad losgefahren ist“, berichtet Markus Mertens, &bdquo;wir waren am Fundort des Fahrrades wenige hundert Meter entfernt, wir waren am Leichenfundort in Kölkebeck, etwa sieben Kilometer weit weg, und haben überhaupt auch noch mal Wege und Entfernungen in Augenschein genommen.“ An den offenen Fragen habe sich unterdessen nichts geändert. Mertens zuckt mit den Schultern. &bdquo;Ja, klar, wir fragen uns weiterhin, wie die Kontaktaufnahme zu dem oder den Tätern erfolgt ist. Und wo der Ort der Kontrollübernahme war.“ Kontrollübernahme ... So lautet die polizeilich korrekte Bezeichnung für den Ort und den Moment, in dem Nelli Graf von ihrem Mörder überwältigt wurde. Aber Markus Mertens drückt es auch noch einmal anders aus: &bdquo;Diesen Film kennen wir nicht.“ Dann lässt der Ermittler all die Maßnahmen Revue passieren, die seinerzeit unter der Leitung des damaligen MK-Leiters Ralf Östermann initiiert worden waren. Und bleibt beim Stichwort Massengentests hängen: &bdquo;Fast 6.900 Speichelproben haben wir genommen“, erinnert er, &bdquo;ein Werkzeug, das grundsätzlich funktioniert.“ 20 Männer aus Halle im Alter zwischen 18 und 60 Jahren hätten am Ende den Test verweigert - das sei jetzt noch ein Ansatzpunkt. Ermittler nehmen Kontakt zu Speicheltest-Verweigerern aus Halle auf &bdquo;Wir haben zu den Betreffenden mittlerweile erneut Kontakt aufgenommen - immer persönlich“, erzählt der Chefermittler. Einen Moment schaut er schweigend vor sich auf den Tisch. Dann sagt er: &bdquo;Manche sind verzogen, teils sogar ins Ausland. Manche verweigern sich auch weiterhin. Ein paar wenige Erfolge konnten wir dann aber doch verzeichnen.“ Ein zähes Geschäft. Und wenn der Täter 61 Jahre alt war oder kurz hinter der Haller Ortsgrenze wohnte? &bdquo;Externe Täter kriegen wir auf diese Weise nicht, keine Chance“, räumt Mertens ein. Der Grund, dass überhaupt ein DNA-Abgleich durchgeführt wurde, war der Fund einer männlichen DNA-Spur, die bei der Obduktion auf der Leiche von Nelli Graf gesichert werden konnte. Eine Spur, so gut, dass sie den Täter überführen könnte. Bislang gibt es eben nur noch keine Übereinstimmungen. Dafür erlaubt der Gesetzgeber neue Möglichkeiten: Früher gaben kriminalistische DNA-Tests keinen Aufschluss über die Haarfarbe; nur ein bestimmter Typ von Rothaarigen verriet sich durch seine Gene. Mittlerweile haben Forscher sogenannte Gen-Marker entdeckt, mit deren Hilfe sie auch die anderen Farbabstufungen der Kopfhaare allein aus der DNA ersehen können. &bdquo;Die Briten und die Spanier sind da weiter, dort werden noch weitergehende Untersuchungen erlaubt“, berichtet Markus Mertens. Und fügt sogleich an: &bdquo;Wir arbeiten mit den Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen.“ Nicht zuletzt wurden zahlreiche Asservate ans LKA übersandt. Vor allem im Mordfall Maria Kruse, die von ihrem Sohn auf dem Boden liegend in einem einsam gelegenen Kotten in Versmold-Peckeloh gefunden wurde. Wie der Obduktionsbericht damals ergab, war die Rentnerin an den Folgen erheblicher Schädelverletzungen gestorben. Hinzu kamen Brust- und Lungenquetschungen, verursacht durch massive und stumpfe Gewalteinwirkung. Offenbar hatte der Täter Axt und Hammer benutzt, die neben der Leiche gefunden wurden. Das Motiv - unklar. Mordfall Nelli Graf: Asservate werden zum LKA nach Düsseldorf geschickt &bdquo;Damals wurden verschiedene Dinge sichergestellt, ohne eine Vorstellung davon, was man damit würde machen können“, sagt Markus Mertens. &bdquo;Heute hingegen können diese Gegenstände sehr wertvoll sein - wir haben alles, was wir noch hatten, nach Düsseldorf geschickt.“ Das Gleiche gilt auch im Fall von Nelli Graf: Kleidung, Folien, Funde vom Tatort oder der Leiche während der Obduktion - auch sie werden jetzt neuen Untersuchungen unterzogen. &bdquo;Grundsätzlich gab es noch ein paar Fragen, die sich den Kollegen bei der Aktenlektüre gestellt hatten“, zieht der Chefermittler ein erstes Fazit, &bdquo;und ich formuliere es mal so: Nachdem wir weite Wege in Kauf genommen, viel telefoniert oder auch bei verschiedenen Providern ermittelt haben, können wir sagen: Hinter diesen Büschen war nichts versteckt. Und das kann ja auch eine gute Nachricht sein, nämlich die: Damals wurde nichts übersehen.“ Bleibt die Hoffnung auf einen Zufallstreffer wie im Fall von Martha Riewe aus Steinhagen-Amshausen. Als Martha Riewe am Nachmittag des 14. Septembers 1985 in ihrem Anwesen am Bußberg gefunden wurde, lag sie auf dem Fußboden vor ihrem Bett. Der Kopf ruhte auf einem Kissen, der Körper, bekleidet mit Nachtwäsche, zugedeckt mit einem Oberbett – sie war tot. Staatsanwalt Hans Dieter Heidbrede war schon damals ein Strafverfolger mit Erfahrungen, als er sagte: &bdquo;Ich habe noch nie einen Menschen gesehen, der so bearbeitet worden ist.“ Offenbar war die alleinstehende Frau von ihrem Mörder über einen längeren Zeitraum geprügelt worden. DNA getestet und Drogenkurier als Mörder überführt Ein Dreivierteljahr ermittelte die Mordkommission im Fall Martha Riewe. Mehr als 160 Spuren wurden überprüft, es gab viele Verdächtige, doch die Tat wurde nicht aufgeklärt. Stattdessen übermittelten die Beamten sichergestelltes Material mit DNA-Spuren ans Landeskriminalamt. Und dann, als die Hoffnung fast geschwunden war, den Mord an der 63-Jährigen jemals aufzuklären, geschah ein kleines Wunder: 2001 wurde ein Mann, der bis zur Berufsunfähigkeit in der Fleischindustrie gearbeitet und unbehelligt mit Frau und zwei Kindern in Steinhagen gelebt hatte, als Drogenkurier überführt. Seine DNA wurde getestet - es war dieselbe, die an einer Zigarettenkippe auf dem Grundstück von Martha Riewe sowie an einer Blutspur neben ihrer Leiche gefunden wurde. - Treffer, wie es sie auch in den Mordfällen von Maria Kruse und Nelli Graf braucht. Wer noch Hinweise hat, die zur Aufklärung der alten Mordfälle dienen, meldet sich bitte bei der Polizei in Bielefeld unter Tel. 0521 5450. Was in dem Zusammenhang wichtig ist: Mord verjährt nie, Mitwisser hingegen gehen zehn Jahre nach der Tat straffrei aus. Das wäre hier der Fall.

Meistgelesen

Brutale Morde im Altkreis Halle

Frauenmorde im Altkreis Halle: Diese Schicksale erschüttern die Region

Premiere: Mordfall Nelli Graf bald Thema im Live-Podcast in Bielefeld

Ermittlungserfolge in OWL: Wie Bielefelder Ermittler alte Mordfälle doch noch lösen

Ticker zur Kommunalwahl 2025: Linnemann (CDU) hat in Versmold einen Rauhaardackel gekauft Wer steht in meinem Wahlbezirk auf dem Zettel? Wer könnte Bürgermeister in meiner Kommune werden? Und was muss ich bei der Wahl wissen? Alle Antworten darauf und noch viel mehr gibt es im Liveticker.

Haller Verein verbietet der SPD, am Minigolfplatz zu grillen Die Zusage für den Roten Grill...