Beliebtes Hörster Gasthaus dreht nach 118 Jahren den Zapfhahn zu

Halle-Hörste. Die erste Schankerlaubnis hat das Gasthaus Vögeding 1906 erhalten, das letzte Bier wird wohl im Februar 2024 über den Tresen gehen. Rund 118 Jahre nach der Eröffnung durch seinen Urgroßvater wird Thomas Vögeding die Kneipe im Zentrum von Hörste schließen. "Die Entscheidung stand eigentlich immer schon fest", sagt Vögeding. Er selbst ist 64 Jahre alt, seine Ehefrau Carmen 65. Im kommenden Jahr sind dann beide im Rentenalter, dann ist es genug. Das Gastronomie-Paar, das seit Jahren das Gasthaus zu einem der beliebtesten Treffpunkte im Ort gemacht hat, wird sich dann zurückziehen. "Wir haben das eigentlich immer alleine gewuppt. Ich in der Küche und meine Frau an der Theke", sagt Thomas Vögeding. Als der Laden so richtig brummte, ergänzten auch mal eine zusätzliche Kellnerin und eine Küchenhilfe das Duo. Aber die Zeiten haben sich geändert, das Bierchen von der Tanke hat das Bierchen an der Theke ersetzt. Dort, wo einst das Feierabendbier getrunken wurde und der Dorftratsch die Runde machte, ist in den vergangenen Jahren Ruhe eingekehrt. "Die klassische Theke gibt es seit Corona gar nicht mehr. Es gibt hier ja auch keine Barhocker mehr", sagt Carmen Vögeding und zeigt auf die Leere vor dem gut einen Meter hohen Tresen. Als Corona ging, kamen die Thekentrinker nicht mehr zurück. Die Seuche hat viel verändert, den Vögedings hat sie den Abschied immerhin erleichtert, weil früher halt doch vieles besser war und das Ende jetzt nicht mehr weh tut. "Der erste Knackpunkt war doch schon das Rauchverbot in Gaststätten", sagt Thomas Vögeding mit Blick auf das seit 2008 gültige Gesetz. Früher war das ein ganz normales Bild, was heute schon aus den Köpfen verschwunden ist: Man saß an der Theke und es wurde getrunken und gequalmt. "Das Rauchverbot hat die Grüppchen auseinandergerissen", sagt Carmen Vögeding. Der Spaß am Job ging im Laufe der Jahre immer weiter verloren, das fortschreitende Alter brachte ihn auch nicht zurück. "Wir hören gerne auf und freuen uns auf den Ruhestand", sagt Thomas Vögeding zufrieden, aber bis dahin sei man auch noch mit Herzblut dabei. Eine Berlinerin steht in Hörste am Tresen Thomas und Carmen Vögeding haben das Gasthaus 1988 übernommen. Er ist gelernter Koch, sie stammt gebürtig aus Berlin, ist gelernte Hotelfachfrau und kam über die Zwischenstation Siegen zum Hotel zur Mühle in Brackwede. Dort lernten sich die beiden kennen, heirateten später und bekamen zwei Söhne. Ab dem Sommer 1982 unterstützte Carmen Schwiegervater Walter im Gasthof, Ehemann Thomas leistete erst einmal den Wehrdienst. Mit der Schließung von Vögeding geht ein weiteres Kapitel der Hörster Gastronomie-Geschichte zu Ende. "Einst gab es hier fünf Kneipen und alle hatten auch noch ein Lebensmittelgeschäft mit dabei", sagt Thomas Vögeding. Nach ihm wird es wohl nur noch das Gerholds geben. Das Haus im Familienbesitz zu halten ist stets die nahe liegendste Variante, allerdings in diesem Fall ohne Erfolg. Eine Nachfolgeregelung innerhalb der eigenen Familie konnte nicht gefunden werden. "Unsere Söhne sind beide raus aus der Branche, das war nie eine Option", erklärt Carmen Vögeding. Sie lebten mittlerweile in Künsebeck und Osnabrück und verdienten gut. "Außerdem haben sie ja von klein auf gesehen, wie viel Stress der Job hier mit sich bringt", sagt die 65-Jährige. Nun hoffen die Vögedings, einen Käufer für die Immobilie zu finden, in der sich auch ihre Wohnung befindet. "Wir wollen aber nicht verpachten, nur verkaufen", sagt Thomas Vögeding. Was dann mit dem Haus geschieht, ist dem Ehepaar egal. "Wir ziehen ohnehin um, also wird es vielleicht abgerissen", sagt der Koch. Kürzlich hat man Gespräche mit der Stadt geführt. Da die benachbarte Grundschule Platz benötigt und derzeit die Mittagsverpflegung und die Betreuung der OGS-Kinder im Gemeindehaus stattfindet, könnte das ehemalige Gasthaus eine Option sein, vor allem der 1996 erbaute Saal. "Da haben wir damals viel Geld reingesteckt, aber das hat sich auch gelohnt", sagt Thomas Vögeding. Stadt bestätigt Gespräche über einen möglichen Immobilienkauf Der Pressesprecher der Stadt Halle, Timo Klack, bestätigt den Kontakt: Die Stadt kennt die Verkaufsabsichten der Immobilienbesitzer und hat mit ihnen erste unverbindliche Gespräche geführt. Sollten sich aus diesen Gesprächen konkrete Gestaltungsmöglichkeiten für die Stadt ergeben, werden diese wie immer zuerst politisch beraten. Aktuell gibt es aber dafür keinen Anlass. "Das ist ja auch nur eine Idee", sagt Thomas Vögeding, wohl wissend, dass die Investitionsmöglichkeiten der Stadt derzeit durchaus begrenzt sind. Für die Hörster würde er sich freuen, wenn das Gebäude weiterhin gastronomisch genutzt werde. Am liebsten mit einer gut bürgerlichen Küche, denn "Pizzerien gibt es in Halle mittlerweile genug", sagt der 64-Jährige. Das Gasthaus Vögeding ist seit Jahrzehnten weit über Hörstes Grenzen hinaus bekannt für Schnitzel, Koteletts und Kartoffelsalat. Zu den Stammgästen zählt auch Bürgermeister Thomas Tappe, der hier schon das eine oder andere Schnitzel verputzt hat. Ihm und den anderen Stammgästen haben die Vögedings schon lange verraten, dass in der Kneipe mit dem innenarchitektonischen Charme der 1970er und 1980er Jahre in acht Monaten das Licht ausgeht. Infektionen und die Inflation haben dem Betreiberehepaar den letzten Spaß genommen. "Corona war der endgültige Knackpunkt", sagt Carmen Vögeding. Seitdem hat auch die Nachfrage nach den beiden Kegelbahnen, die 1976 in einem Anbau entstanden, stark nachgelassen, und die Gastronomen haben die Öffnungszeiten auf Donnerstag bis Sonntag reduziert. Geselligkeit war plötzlich verboten, stattdessen wurden die Schnitzel beim Außer-Haus-Verkauf durchs Fenster gereicht. "Das hat man auch nur gemacht, damit einem nicht langweilig wurde. Finanziell hat es sich wenig gelohnt. Mit dem Geld, was wir dort eingenommen haben, mussten wir dem Staat die Coronahilfen zurückzahlen", sagt Thomas Vögeding. Preise sind noch auf dem Niveau früherer Zeiten Die Preise in dem Traditionsgasthof sind jedoch auch während der Inflation weitestgehend stabil geblieben. "Die sind weiterhin human, wir müssen in den letzten paar Monaten nicht noch große Gewinne machen", sagt Thomas Vögeding. Die kompletten gestiegenen Kosten könne man ohnehin nicht über den Preis weitergeben. "Dann hätte man Preise, bei denen kaum noch jemand zum Essen kommen würde." Aber auch so merkt man, dass manch einer mit Blick auf die Haushaltskasse öfters mal zu Hause am eigenen Herd steht. Essengehen wird immer mehr zum Luxus. Bei Vögedings endet dieser zum Ende des Winters.

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