Altkreis Halle. Angesichts der aktuell exponentiell steigenden Fallzahlen und des erneuten Teil-Lockdowns gerät der vergangene Juni wieder ein wenig in Vergessenheit. Doch schlugen die Corona-Wellen in der öffentlichen Debatte schon vor einigen Monaten hoch. Der Ausbruch bei Tönnies führte zu einer öffentlichen Diskussion darüber, ob man die Kreiskommunen bei den Maßnahmen zur Eindämmung überhaupt in einen Topf werfen dürfe.
Debatte begann bereits im Juni
Vor allem Borgholzhausens Bürgermeister Dirk Speckmann hatte kritisiert, dass ein Lockdown für den gesamten Kreis Gütersloh angesichts der niedrigen Infektionszahlen in seiner Stadt doch nicht verhältnismäßig sei und Kommunen differenzierter betrachtet werden müssten. In der Tat lag der Hotspot der Infektionen vor dreieinhalb Monaten klar in Rheda-Wiedenbrück. Auch in Gütersloh, Verl, Herzebrock-Clarholz, Rietberg und Harsewinkel stiegen die Fallzahlen damals verhältnismäßig stärker an als im Altkreis Halle.
Das war zu erwarten, denn diese Kommunen liegen geografisch näher am Tönnies-Standort Rheda-Wiedenbrück, entsprechend wurden von dort aus mehr Arbeiter zum Schlachtkonzern transportiert. Viele der Infizierten des Tönnies-Ausbruchs hatten und haben ihren Wohnort naturgemäß im Südkreis – das Gefälle des Frühsommers war eine logische Folge.
Blickt man im November auf die Infizierten-Zahlen, ließe sich auf den ersten Blick immer noch ein großer Unterschied im Infektionsgeschehen zwischen dem Norden und dem Süden des Kreises Gütersloh konstatieren. Orientiert man sich sich an den alten politischen Grenzen, zählen lediglich Halle, Steinhagen, Borgholzhausen, Werther und Versmold zum nördlichen Kreisgebiet, dem so genannten Altkreis Halle. Die übrigen acht Kreiskommunen wären dem Südkreis zuzuordnen, auch Harsewinkel, das eins dem Kreis Warendorf angehörte.
Diese arg grobe Abgrenzung würde zu einem verfälschten Ergebnis führen, zöge man nur die aktiv Infizierten heran: Mittwoch waren das im „Südkreis" 653, im „Altkreis Halle" nur 120. Gibt es also immer noch ein Nord-Süd-Gefälle, grassiert das Virus im Norden weit weniger stark? Eine solche Aussage aufgrund dieser Zahlen zu treffen, wäre falsch. Es müssen die Einwohnerzahlen der jeweiligen Regionen berücksichtigt werden. Im gerade definierten Südkreis leben demnach rund 268.000 Menschen, im Altkreis Halle sind es nur 86.000. Der Südkreis hat also mehr als drei Mal so viele Einwohner wie der Norden.
Das müsste statistisch zu drei Mal so vielen Fällen führen, wenn beide Teile des Kreises gleichermaßen betroffen wären. Im Süden gibt es allerdings mehr als fünf Mal so viele Infizierte – also ist er relativ doch stärker vom Virus betroffen? Das wäre immer noch zu einfach: Denn das Oberzentrum in Gütersloh mit mehr als 100.000 Einwohnern und auch Rheda-Wiedenbrück mit knapp 50.000 sind im Kreis Ballungsräume – dort leben Menschen enger zusammen und das Virus kann sich naturgemäß besser verbreiten: 364 der 653 und damit mehr als die Hälfte der aktiv Infizierten Menschen lebt in diesen beiden Städten.
In Gütersloh liegt die Quote der infizierten Einwohner bezogen auf die Gesamtbevölkerung demnach bei 0,25 Prozent, 0,23 Prozent sind es in Rheda-Wiedenbrück. In Halle (0,17 Prozent), Werther (0,15 Prozent), Steinhagen (0,13 Prozent), Borgholzhausen (0,14 Prozent) und Versmold (0,12 Prozent) fällt dieser Wert deutlich geringer aus. Auch im Süden des Kreises gibt es Kommunen wie Langenberg (0,09 Prozent), Schloß Holte-Stukenbrock (0,16 Prozent) oder Rietberg (0,17 Prozent), in denen das Virus vergleichsweise wenig verbreitet ist.
Fallzahlen steigen ohne zentrales Cluster
Festzuhalten bleibt allerdings: In Verl (62 Infizierte, 0,24 Prozent), Harsewinkel (73, 0,29 Prozent) oder Herzebrock-Clarholz (43, 0,3 Prozent) liegen die Corona-Fallzahlen mit Blick auf vergleichbar große Kommunen im Kreis sehr hoch. Die Entwicklung der Statistik bleibt derweil dynamisch, eine bislang relativ wenig betroffene Stadt kann schnell zu einem Hotspot werden – ein vermeintliches Nord-Süd-Gefälle braucht es dazu als Erklärung nicht.
Im Vergleich zum Tönnies-Ausbruch vom Juni hat sich die Situation gewandelt: Die Fallzahlen steigen jetzt an, ohne dass es ein zentrales Cluster gibt. Und sie tun es im gesamten Kreis – gleiche Maßnahmen in jeder Kommune machen in der aktuellen Pandemie-Lage vor diesem Hintergrund also in jedem Fall Sinn.

