Der ruhige Rebell: Er ist Borgholzhausens Konstante im Rathaus

Borgholzhausen. Das Magazin &bdquo;Abi“ der Bundesagentur für Arbeit erleichtert seit annähernd 50 Jahren Abiturienten die Berufswahl. Ralf Vieweg hat die Ausgabe vom März 1982 aufbewahrt. Aus gutem Grund. In jenem Jahr legte er am KGH sein Abitur ab. Und was dann? &bdquo;Abi“ gab Aufschluss. &bdquo;Beamter des gehobenen nichttechnischen Dienstes“ war ein Artikel des Hefts überschrieben. Der Beitrag interessierte Vieweg vor knapp 44 Jahren mehr als die Texte über Romanistik und ein Journalistenvolontariat. &bdquo;Wir Babyboomer waren ja immer zu viel“, sagt Vieweg mit einem Lächeln. Auf acht Verwaltungsstellen, erinnert er sich, kamen damals Hunderte Bewerbungen. Das Borgholzhausener Rathaus aber wollte ihn in jenem Herbst 1982. Der Haken an der Sache: Die Bundeswehr wollte ihn auch. &bdquo;Ich zog also gegen die Bundesrepublik Deutschland vor Gericht“, sagt Vieweg. Genauer gesagt vor das Verwaltungsgericht Minden. Drei Jahre, so das Anliegen des jungen Mannes, solle ihn der Staat für die Ausbildung von der Wehrpflicht zurückstellen. Der Verwaltungsrichter zeigte Verständnis für Ralf Vieweg - urteilte aber im Sinne der Gegenseite. Borgholzhausener Verwaltungsfachmann will Dienstpflicht breiter denken &bdquo;Es half nichts, ich musste also meinen Wehrdienst ableisten“, erzählt Ralf Vieweg. Doch er hatte Glück. Weil ein Bewerber auf die Stelle des &bdquo;Stadtinspektor-Anwärters“ zurückzog, begann Vieweg nur ein Jahr später als ursprünglich geplant, nämlich am 1. November 1983, seine Ausbildung im Rathaus inklusive Besuch der Fachhochschule. &bdquo;Nach 15 Monaten Bundeswehr hatte ich wieder Lust, zu lernen.“ Dann wird er mit Blick auf die aktuelle gesellschaftliche Diskussion nachdenklich. &bdquo;Dass der Vorrang der militärischen Abwehrbereitschaft vor persönlichen Lebensentscheidungen wieder zurückkehrt, hätte ich nicht gedacht“, sagt Vieweg. Doch daraus erwächst bei ihm kein &bdquo;Nein“ zu einer möglichen Wehrpflicht. Vielmehr regt er an, eine solche Pflicht gesellschaftlich viel breiter zu denken. &bdquo;Ich sehe es an unseren Bufdis. Die reifen hier“, sagt Vieweg. &bdquo;Wir zwingen den Jungen einen Dienst auf. Warum nicht auch den Alten“, fragt er. Warum die Kompetenzen der Babyboomer - zu denen er gehört - vergeuden? &bdquo;Wir müssen mit dem MG ja nicht mehr in den Schützengraben.“ Aber ein sozialer Dienst für alle ist für Vieweg gut vorstellbar. Und wenn jemand sagt, er habe doch schon gedient? &bdquo;Dann sage ich, wir bekommen aber auch noch eine gute Rente.“ Ralf Vieweg ist überzeugt: Es wird sich radikal etwas ändern Dann holt Vieweg ein neben der &bdquo;Abi“-Ausgabe zweites wichtiges Puzzleteil seiner beruflichen Laufbahn hervor - ein Gemälde. Es stammt aus dem Familienerbe. Das Original &bdquo;Gnom, Eisenbahn betrachtend“ stammt von Carl Spitzweg. Die Familie von Ralf Vieweg besitzt seit den 1970er Jahren eine erlaubte Kopie. &bdquo;Spitzweg ist ja eigentlich ein Maler des Gemütlichen, des Biedermeiers“, sagt Vieweg. In diesem Bild aber hält er eine Zeitenwende fest, einen fundamentalen Bruch mit dem Alteingesessenen. Die kleine Gestalt steht auf Spitzwegs Gemälde am Eingang ihrer Höhle im Wald und blickt auf eine im Tal vorbeifahrende Dampflokomotive mit mehreren Waggons hinab. Die mythenbehaftete Welt des Gnoms wird unwiederbringlich zurücktreten hinter Modernität und Rationalisierung. &bdquo;Meine berufliche Erfahrung sagt mir, dass wir jetzt wieder an einer solchen Stelle sind, an der sich radikal etwas verändert“, sagt Vieweg. &bdquo;Wenn wir heute der Gnom wären, führe unten die Künstliche Intelligenz“, zieht er den Vergleich. Nachfolger des Borgholzhauseners müssen sich mit dem Wandel beschäftigen Seine Nachfolger, so Vieweg, werden sich mit diesem Wandel beschäftigen müssen - und zwar vorausschauend. In Borgholzhausen sei das schon einmal gelungen. Als 1973 die Gebietsreform kam, gab es die Stadt bereits. 1969 hatten sich die zwölf Amtsteile zusammengefunden, damit Borgholzhausen als Ganzes überlebt. Nun gelte es erneut, Kräfte frühzeitig zu bündeln. Mit Blick auf die Jetztzeit sagt Vieweg: &bdquo;Ich kann den vier Bürgermeistern und der Bürgermeisterin im Altkreis Halle nur raten, eine Verwaltungsgemeinschaft Ravensberg anzustreben - ohne damit die ursprüngliche Identität der Orte aufzugeben.“ Und dann nimmt Vieweg noch einmal Carl Spitzweg zum Vorbild: &bdquo;Es ist wichtig, aus seiner Höhle herauszugucken.“ Urgestein: Mit Vollgas in den Ruhestand Einerseits, gibt der baldige Ruheständler zu, sei er froh, gehen zu dürfen. &bdquo;Aber da ist auch ein bisschen Wehmut, jetzt, da es richtig spannend wird.“ Froh sei er, dass Verwaltung und Rat seinem Wunsch entsprechen, seine Stelle als Fachbereichsleiter nicht mehr zu besetzten. Steffen Heidmann und Wolfgang Klein werden sich künftig als Duo die Leitung teilen. Die Teamleitung fürs Standesamt übernimmt Sandra Altenhöner, für die Umwelt Dirk Nolkemper. Allgemeine Vertreterin des Bürgermeisters wird - die Zustimmung des Stadtrats vorausgesetzt - Stadtkämmerin Elke Hartmann. Borgholzhausener Bürgerzentrum entstand in Viewegs Zeit Seit 2016 ist Ralf Vieweg wieder in Borgholzhausen - als Fachbereichsleiter und Allgemeiner Vertreter des Bürgermeisters. Das neue Bürgerzentrum entstand in seiner Zeit, das Linien-E-Carsharing war sein &bdquo;Kind“. Von 1983 bis 1990 war Borgholzhausen bereits Viewegs Arbeitsstelle, ehe es 23 Jahre nach Bad Salzuflen ging und 2013 für drei Jahre zur Stadt Herford. Am 23. Dezember hat Ralf Vieweg seinen letzten Arbeitstag. Offiziell in die passive Phase der Altersteilzeit geht er im April, dazwischen liegt Resturlaub. 1983, als Vieweg im Rathaus anfing, hatte Borgholzhausen 7.500 Einwohner. 2016, als er nach 26 Jahren zurückkehrte, waren es knapp 1.000 mehr. Und mittlerweile sind es 9.300. &bdquo;Wir haben 30 Jahre für 1.000 Einwohner gebraucht, und dann nur zehn Jahre für weitere 1.000“, führt er vor Augen. &bdquo;Das wird nicht so weitergehen. Aber es zeigt, wie viel gerade in Bewegung ist.“ Aktuelle Nachrichten bekommen Sie täglich über den WhatsApp-Kanal des HK

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