Klage gegen die Amprion-Trasse in Borgholzhausen: Was sind die Lehren?

Leipzig/Borgholzhausen. Die Energiewende ist eine Mammutaufgabe, die Deutschland noch viele Jahre sehr intensiv beschäftigen wird. Wer am vergangenen Mittwoch der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig beiwohnte, bekam im Detail vorgeführt, wie kniffelig und hochbrisant die Aufgabe ist, wenn es um die Umsetzung vor Ort geht. Dann stoßen bisweilen Welten aufeinander. So auch in Leipzig. Rechts vor der Richterbank saßen die Kläger mit ihren Anwälten. Drei Landwirte aus Borgholzhausen, die um ihren Grund und Boden fürchten. Georg Graf von Kerssenbrock, Werner Bentlage mit Tochter sowie virtuell, weil erkrankt, Uwe Nagelsmöller. Auf der anderen Seite, links von den Richtern, hatten die Vertreter der Beklagten, der Bezirksregierung Detmold, samt Anwälten Platz genommen. Dazu eine Abordnung der sogenannten Beisitzer von Amprion und Westnetz. Juristisch verhandelte der 11. Senat im Sitzungssaal VI die Frage: Ist der Bau der neuen Stromtrasse ordnungsgemäß geplant worden? Auf der psychologischen Ebene geht es darum: Wie nehmen die Vorhabenträger bei der Umsetzung solcher Mammutprojekte die Bevölkerung mit und wie fördern sie damit Akzeptanz? Amprion widerspricht den Vorwürfen Der vorliegende Fall in Borgholzhausen zeigt nahezu exemplarisch, dass der Teufel im Detail steckt. Denn alle drei Kläger stehen voll und ganz hinter der Energiewende. Sie wollen den Bau einer neuen Stromtrasse. Allerdings fordern die Betroffenen mehr Rücksichtnahme und Transparenz. Insofern läuft bei dem klagenden Trio der Vorwurf ins Leere, dass es sich nur so lange für den Trassenbau begeistern konnte, bis klar war, dass er auf dem eigenen Grundstück stattfinden wird. Energiewende? Aber nicht in meinem Garten! Zum Thema: Stromtrasse in Borgholzhausen: Kläger erwarten den finalen Gerichtstermin &bdquo;Keineswegs“, entgegnet Georg Graf von Kerssenbrock scharf: &bdquo;Im Gegenteil, wir wollen für die Energiewende und unseren Boden nur das Beste.“ Der bisherige Ablauf des Verfahrens hat den Grafen und seine Mitstreiter jedoch in ihrer Auffassung bestärkt, dass &bdquo;wir allein auf weiter Flur kämpfen müssen“. Amprion widerspricht den Vorwürfen einer mangelnden Kommunikation und verweist auf mehrere Informationsveranstaltungen vor Ort, wie zum Beispiel den Bürgerdialog. Auch einen speziellen Erörterungstermin mit den Landwirten hat es gegeben. &bdquo;Wir haben stets ein offenes Ohr für die Belange der Anwohner“, sagt Michael Weber, Pressesprecher bei Amprion. Insbesondere die bauausführenden Firmen würden einen sehr engen Austausch mit den betroffenen Anwohnern pflegen. Auseinandersetzungen beim Stromtrassenbau &bdquo;Den Anwohnern sind sämtliche Kontaktpersonen und Handynummern bekannt“, betont Michael Weber: &bdquo;Außerdem erhalten sie eine Woche im Voraus Informationen darüber, was in den kommenden Tagen auf der Baustelle geschehen wird.“ Ferner sind sämtliche Ansprechpartner an den zentralen Sammelpunkten an der Bielefelder Straße und am Wichlinghauser Weg öffentlich für jeden einsehbar. Jan-Hendrick Kamlage sieht Firmen wie Tennet, 50Hertz oder Amprion sogar als Vorreiter beim Thema Kommunikation bei Infrastrukturen. Der Geschäftsführer und Leiter der Forschungsgruppe Partizipation und Transformation an der Ruhr-Universität Bochum beschäftigt sich seit 2012 mit Auseinandersetzungen beim Stromtrassenbau. Er sagt: &bdquo;Die Netzbetreiber haben seit mehr als zehn Jahren die Beteiligung der Bevölkerung professionalisiert. Sie sind führend, wie sie es tun.“ Zum Thema: Showdown vor Gericht: Klage des Grafen aus Borgholzhausen wird verhandelt Allerdings macht Kamlage zwei Einschränkungen: &bdquo;Oft werden die Netzbetreiber bei der Kommunikation vor Ort alleine gelassen und erhalten wenig Unterstützung, zum Beispiel von der Bezirksregierung oder der Kommune.“ Ferner gehe es bei dem Begriff &bdquo;Beteiligung“ lediglich um Information. &bdquo;Eine wirkliche Beteiligung der Bevölkerung ist aus zeitlichen und organisatorischen Gründen in der Praxis schlicht nicht umsetzbar.“ Viele Wendungen bei der Planung in Borgholzhausen Schon die Historie des Stromtrassenbaus in Borgholzhausen zeigt, wie viele Wendungen das Projekt genommen hat. Ursprünglich sollte die vorhandene Freileitung lediglich ertüchtigt werden. Schnell stellte man fest, dass Masten und Leitungen weitestgehend auf dem alten Trassenkorridor neu gebaut werden müssen. Später - unter anderem durch Proteste aus der Bevölkerung - kam die Idee auf, einen Teil der Trasse unterirdisch mit Erdkabeln zu verlegen. Besonders um die Bewohner im Bereich der Sundernstraße und Goldbreede zu entlasten. Allerdings erkauften sich die Planer diese Änderungen durch eine massive Kostensteigerung. Amprion spricht von einem Vierfachen der Kosten - die Kläger gar von dem Siebenfachen. Die Bundesnetzagentur hat einen finanziellen Mehraufwand für Erdkabel in ganz Deutschland von 35,3 Milliarden Euro errechnet. Ein Mehraufwand, den am Ende die Endverbraucher und Stromkunden über die Netzentgelte bezahlen müssen. Zum Thema: Neues Video und neue Fotos von der Amprion-Stromtrasse in Borgholzhausen Die Planer riefen ein &bdquo;Pilotprojekt“ ins Leben und favorisierten fortan auf dem Abschnitt zwischen Hesseln und der niedersächsischen Landesgrenze zunächst aus Halle kommend 2,6 Kilometer Freileitung, dann ab Wichlinghausen über den Riesberg 4,2 Kilometer Erdkabel und schließlich ab Wellingholzhausen bis nach Niedersachsen 1,5 Kilometer Freileitungen. Trasse in Borgholzhausen als Pilotprojekt Der Begriff &bdquo;Pilotprojekt“ verrät, dass sich die Planer und die Baufirmen mit der Technik und Bauausführung auf risikobehaftetes Neuland begeben. Begeben müssen. Denn die Zeit zur Energiewende drängt. Bis jetzt ist in NRW nur ein Bruchteil der angedachten Trassen fertig, oder sie werden zurzeit wie in Borgholzhausen gebaut. Ein Großteil hingegen muss erst noch geplant und vor allen Dingen genehmigt werden. Jan-Hendrick Kamlage spricht von einem &bdquo;komplexen lokalen Setting“. Er schlägt vor: &bdquo;Aus meiner Sicht kann es nur darum gehen, lokal die beste Lösung zu finden.“ Das könne mal die Erdverkabelung sein und an anderer Stelle auch mal die normale Trasse. Es wäre klug, eine Flexibilität im System zu haben und nicht Dinge als Standard zu setzen. Dennoch werde es immer Konflikte geben. &bdquo;Sie verschieben sich bloß, weil sich die Betroffenheiten ändern“, so der Wissenschaftler. Auf Borgholzhausen bezogen könnte folgende Abwägung erfolgt sein: Verscherze ich es mir mit mehreren hundert Bewohnern oder bloß mit ein paar Landwirten? Stromtrasse von Melle über Osnabrück bis Wehrendorf Hinter der Landesgrenze zu Niedersachsen sieht es nicht anders aus. Auch hier gibt es Konflikte und Betroffenheiten. Für die zwei Bauabschnitte bis zum Endpunkt Wehrendorf bei Bad Essen auch sehr unterschiedliche. Für den Abschnitt von Melle über Hilter nach Lüstringen (Osnabrück) liegt eine Klage beim Bundesverwaltungsgericht Leipzig vor (BVerwG 11 A 15.24), für die Strecke bis nach Wehrendorf hingegen keine. Aktuelle News bekommen Sie täglich über den WhatsApp-Kanal des HK

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