
Borgholzhausen. „Wir sitzen hier nicht Ihretwegen. Wir sitzen hier, weil Sie Ihre Partnerin gefährden." Es sind klare Worte, mit denen Uwe Obensiek seine Klienten wachrüttelt. Der Gewaltpädagoge unterstützt Menschen im Kreis Gütersloh, die ihr gewalttätiges Verhalten hinter sich lassen wollen. „Täterarbeit ist Opferschutz", erklärt der Experte. „Denn wo kein Täter ist, da gibt es auch keine Opfer."
Viele seien Wiederholungstäter. „In der Regel handeln die Männer nach einem eingefahrenen Muster. Selbst wenn die Frauen sich von ihnen trennen, ist das Problem nicht gelöst. Die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch, dass in der nächsten Beziehung alles genau so weiterläuft."
„Zu 95 Prozent besuchen mich Männer"
Der gelernte Krankenpfleger und Deeskalationstrainer, der auch in der LWL-Klinik im Bereich Gewaltprävention arbeitet, hat beim Fachverband Gewaltberatung und Tätertherapie (EUPAX) eine Weiterbildung gemacht und setzt sich seit 2014 nach Feierabend mehrmals die Woche mit aggressiven Menschen zusammen. „Zu 95 Prozent besuchen mich Männer. Aber bei mir war auch schon mal eine Frau, die ihre Kinder geschlagen hat. Oder auch eine, die kurz davor war, ihre Partnerin zu schlagen."
Der Antrieb, sich von ihm beraten zu lassen, sei fast ausnahmslos fremdmotiviert. Entweder per richterlicher Auflage oder – in den meisten Fällen – weil die Partnerin ein Ultimatum setzt. In diesen Fällen, oft kurz nach einem Übergriff, ist schnelles Handeln gefragt. „Es gibt ein kurzes Zeitfenster, etwa zehn Tage, in der die Männer besonders erreichbar sind. Solange es ihnen noch leid tut – und das ist kurz danach häufiger der Fall –, habe ich eine gute Möglichkeit reinzugrätschen."
Wenn sie dann den Weg zu ihm machen, achtet Obensiek darauf, keine Schuldzuweisungen zu machen: „Mir ist wichtig, dass sie merken: Ich reiße ihnen nicht den Kopf ab." Stattdessen vermittle er ihnen: „Sie haben ein Problem – aber Sie sind deshalb nicht grundsätzlich ein schlechter Mensch."
„Das Problem ist meine Frau. Wenn Sie die mal erleben würden ..."
Über dieses Problem konkret zu sprechen, sei der nächste große Schritt – denn Männer haben oft den Eindruck, so etwas allein lösen zu müssen, weiß Obensiek. Überwinden sie ihre Schamgrenze, erleben sie beim Berater oft zum ersten Mal, wie es sich anfühlt, wenn ihnen jemand zuhört. Doch es gibt Grenzen im Gespräch – „Das Problem ist meine Frau. Wenn Sie die mal erleben würden ..." Auf solche Ausreden lässt der Experte sich nicht ein. Oder auch Umschreibungen wie: „Dann ist es halt einfach passiert. Die Hand ist ausgerutscht." „Nein, Sie haben Ihre Frau geschlagen", ist die Botschaft, die Obensiek den Tätern klarmachen will. Denn die Männer sollen lernen, dass sie selbst die Verantwortung für ihr Handeln übernehmen müssen. „Das ist ein wesentlicher Bestandteil meiner Arbeit." Wenn das bei den Tätern ankommt, gebe es gute Erfolgsaussichten.

Ein weiterer Schritt ist es, seine Gefühle wieder wahrzunehmen. „Als Männer lernen wir schon früh, dass wir alles schaffen können, dass wir stark sind." Gefühle werden dabei häufig verneint – „ein Mann ist höchstens wütend". Obensiek hinterfragt diese Wut – ist es nicht eher Enttäuschung oder Verletztheit? „Ich arbeite Grundgefühle heraus. Nicht Wut, sondern Ohnmacht und Hilflosigkeit sind meistens der Auslöser für die Gewalt." Um dem entgegenzuwirken, ist es wichtig, die eigenen Grenzen frühzeitig zu erkennen und zu benennen. „Wenn ich das nie mache, darf ich mich nicht wundern ... Dann reicht irgendwann ein kleiner Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt."
„Viele Männer haben gar kein eigenes Leben"
Lassen sich die Männer auf diese emotionale Reise ein, merken sie, dass sie mit der Zeit weicher werden, beschreibt Obensiek – „und das ist für viele schwer zu ertragen". Doch wenn sich ein Klient sogar so weit öffnet, dass er in der Beratung weint, kann das ein Durchbruch sein. „Dann realisieren die Männer, dass sie nicht wütend, sondern traurig sind und sich ganz klein fühlen." Frauen, die denken, nach der Therapie wird es mit ihren Partnern leichter, werden hingegen manchmal enttäuscht. „Es kann sogar eher anstrengender für die Frauen werden, wenn Männer lernen, sich eher abzugrenzen. Und es kann sehr überraschen, wenn Männer plötzlich ernsthaft über ihr Gefühlsleben sprechen." Obensiek motiviert die Männer außerdem dazu, ihren Alltag zu überdenken: „Viele Männer haben gar kein eigenes Leben beziehungsweise keine Zeit nur für sich selbst. Wenn ich sie frage, was sie sich in ihrem Leben wünschen, kommt oft keine Antwort."
Mit der Tätertherapie können sich die Männer langfristig ändern, zeigen Obensieks Erfahrungen. Auch für den mutmaßlichen Täter im Fall der 37-jährigen Frau aus Borgholzhausen stellt der Gewaltberater eine gute Prognose: „Die Bedingungen in der Haft sind gar nicht schlecht dafür. In der JVA Bielefeld arbeiten für das Thema häusliche Gewalt richtig gut ausgebildete Leute."
Kontakt zu Täterberater Uwe Obensiek, vermittelt durch EUPAX, unter (0 18 05) 43 92 58 (14 Cent pro Minute); guetersloh@eupax.de.
Wer bezahlt die Täterarbeit?
Als Ein-Mann-Unternehmen – ohne Förderung und in seiner Freizeit – berät Tätertherapeut Uwe Obensiek im Kreis Gütersloh. Das Land NRW fördert Täterangebote zwar mit 680.000 Euro pro Jahr, doch an das Geld ist nur unter Erfüllung hoher Zugangsvoraussetzungen heranzukommen, kritisiert Obensiek. „Und für eine flächendeckende Beratung ist das ein Tropfen auf den heißen Stein."
Die Klienten zahlen die 40 Euro pro Sitzung entweder komplett selbst oder bekommen einen Zuschuss aus einem Fördertopf, der durch Bußgelder finanziert wird. Damit will Obensiek denjenigen, für die 40 Euro viel Geld sind, die Hilfe ermöglichen. Die Finanzierung sei grundsätzlich Thema während des kostenlosen Erstgesprächs, sagt der Berater. Selbst in den Fällen, in denen die Täter als Auflage eines Gerichts bei ihm erscheinen: „Ob sich diese die Beratung überhaupt leisten können, wird vom Richter nicht berücksichtigt."
Gratis gibt es die Beratung, die sich über mehrere Wochen oder Monate erstreckt, jedoch nie. Die Wahrscheinlichkeit, dass Klienten dann kurzfristig absagen, sei sonst wesentlich höher, meint der Gewaltpädagoge.
Etwa 120 Beratungsstunden bietet Obensiek jährlich an, obwohl er keine Werbung dafür macht. „Ich habe mal darüber nachgedacht, Flyer auszulegen – aber was ist, wenn ich den nachfolgenden Ansturm nicht bewältigen kann?" Der Bedarf ist hoch, manchmal gibt es Wartelisten. Als einzige Anlaufstelle im Kreis Gütersloh könne er Unterstützung gut gebrauchen – sei es finanziell oder auch personell: „Wenn ich im Urlaub bin, ist vier Wochen niemand als Ansprechperson da. Das ist ein sehr langer Zeitraum für jemanden, der gerade realisiert, dass er seine Partnerschaft ruiniert."
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