
Halle. Lisa Türling ist „Rechtliche Betreuerin“. Ende 2022 hat sie sich selbstständig gemacht. „Wer den Job nicht kennt, kann sich da wenig drunter vorstellen“, sagt die 31-Jährige. Mit der früheren „Vormundschaft“ über Erwachsene, die mancher noch kennt, habe ihre Aufgabe nicht mehr viel gemein. Allein schon, weil das Betreuungsrecht 2023 reformiert wurde und so etwas wie ein „Vormund“ für Erwachsene in Deutschland gar nicht mehr vorgesehen ist.
Mit ihren 31 Jahren gehört sie in ihrem Berufsstand zu den Jüngsten. Die meisten ihrer Klienten sind deutlich älter. Nicht immer eine einfache Kombination. Und wohl auch einer der Gründe, warum die Branche Nachwuchssorgen plagen. Ein anderer: die teils problematische Finanzierung.
„Grundsätzlich kann jede und jeder Rechtlicher Betreuer werden“, erläutert Türling - ein Sachkundenachweis vorrausgesetzt. Gleichzeitig sei dieser Berufsweg aber mit „vielen Hürden“ verbunden. Ein großes Problem: Betreuer gehen bei der Arbeit grundsätzlich in Vorleistung und können erst am Ende eines Quartals abrechnen. Wann dann das Geld von den zuständigen Behörden komme, stehe nochmal auf einem anderen Blatt. Gerade für finanzschwache Berufseinsteiger schwierig. Dazu kommt ein hohes Haftungsrisiko im Falle eines Fehlers.
Hallerin betreut rund 20 Klienten parallel
Was genau die Betreuerin verdient, entscheidet eine Vergütungstabelle. „Die Arbeit, die ich bezahlt bekomme und die, die ich leiste, passen oft nicht zusammen“, erklärt Türling. „Die Pauschalen sind nicht sehr realitätsnah.“ Vor allem dürfe sie nur wenig Zeit pro Monat abrechnen. Alles, was sie darüber hinaus für den Klienten erledige, mache sie quasi auf eigene Kosten. „Aber natürlich sind die Fälle unterschiedlich arbeitsintensiv.“
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Rund 20 Klienten betreut Lisa Türling derzeit. Dabei sei die Bandbreite groß. „Ich habe eine demente ältere Dame, die wohnt allein zu Hause und wird täglich vom Pflegedienst unterstützt. Auch wenn die schon mal sonntags einkaufen gegangen ist, lasse ich das erst mal so laufen, bis es nicht mehr vertretbar ist“, erklärt die Selbstständige. „Solange sie sich selbst und andere nicht gefährdet.“

Klar, demente Senioren gehören zur Kernklientel. Aber die Spanne ist größer. „Ich hatte schon junge Erwachsene, einen pensionierten Fluglotsen, einen Rechtsanwalt, aber auch einen Fleischer und eine Näherin. Betreuung betrifft alle Gesellschaftsschichten“, sagt die Hallerin. „Auch viele, die Sozialhilfe bekommen.“ In den meisten Fällen zahle Vater Staat, es gebe aber auch Selbstzahler.
Einige der Klienten seien sehr dankbar für die Unterstützung, andere fühlten sich bevormundet. „Der Fluglotse zum Beispiel war sehr dankbar. Der hat immer gesagt: Weil Sie sich um das Geld kümmern, kann ich besser schlafen. Ich zahle Ihnen viel zu wenig.“
Zahl Rechtlicher Betreuungen hat sich verdoppelt
Rechtliche Betreuer kümmern sich um „Volljährige, die wegen psychischer Störungen oder körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderungen ihre Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht selbst regeln können“, wie es das zuständige Bundesministerium definiert. Der Betreuer kümmert sich dann vor allem um die finanziellen und juristischen Angelegenheiten – so weit wie möglich in Absprache mit dem Klienten. „Der freie Wille des Betreuten ist heute sehr gut geschützt“, sagt die 31-Jährige. Das war nicht immer so.
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Solche Betreuungen sind nicht selten. Allein im Kreis Gütersloh (die Stadt Gütersloh nicht mitgerechnet) wurden im vergangenen Jahr 3.405 Personen betreut. Und die Zahl der gesetzlichen Vertretungen steigt. Ein Jahr zuvor, 2023, waren es nur 3.332 Menschen. Offizielle Zahlen gehen davon aus, dass sich die Fälle deutschlandweit seit 1995 verdoppelt haben, von 630.000 auf 1,3 Millionen.
Nach Einschätzung des Bundesverbandes der Berufsbetreuer dürfte der Trend entsprechend der Demografie anhalten: Das durchschnittliche Alter steigt, Familienstrukturen lösen sich zunehmend auf, und soziale Einrichtungen können aufgrund finanzieller Einschränkungen immer weniger leisten.
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Entsprechend werden Betreuer dringend gebraucht. Rund 40 Menschen kümmern sich derzeit im Kreisgebiet (wieder ohne Stadt Gütersloh) beruflich um Unterstützungsbedürftige. Darüber hinaus sind natürlich viele Menschen ehrenamtlich, zum Beispiel für Angehörige, im Einsatz.
Mangelnder Nachwuchs in der Branche – trotz großer Nachfrage – beginnt bereits, zu einem Problem zu werden. In vielen Regionen Deutschlands herrscht „Betreuermangel“. „Derzeit gehen einige Kollegen in den Ruhestand oder orientieren sich beruflich um“, weiß Lisa Türling aus dem Bekanntenkreis. Auch sie hatte eigentlich geplant, in Teilzeit zu arbeiten, derzeit sei sie aber bis zu sechs Stunden täglich mit ihren Klienten beschäftigt. Alleine ihre Familie versorgen könnte sie damit kaum. „Wenn die Vergütung angemessen wäre, würde es wohl weniger Nachwuchsprobleme geben.“
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An ihrer Berufsentscheidung zweifelt die studierte Erziehungswissenschaftlerin trotz allem nicht. „Ich kann mir keinen besseren Job vorstellen, auch wenn er oft herausfordernd ist“, wirbt Lisa Türling. „Man betreut ja zwangsläufig auch sozial, da kommt man nicht drumherum. Es sind einfach keine Akten, die man betreut, sondern Menschen, die irgendwann mal in eine Extremsituation geraten sind. Es stecken immer Geschichten dahinter.“