Unterversorgung in der Pflege: Diese Teile von OWL trifft es am härtesten

Höxter/Minden. In NRW droht in den kommenden Jahren eine massive Personalnot in der Pflege. Infolge des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels wird es nach Angaben der Pflegekammer NRW bereits bis zum Jahr 2030 zu einer drastischen Unterversorgung mit Pflegekräften kommen. Besonders davon betroffen sind zehn Städte und Kreise in NRW, darunter die Kreise Minden-Lübbecke und Höxter in OWL. In diesen Teilen des Landes gehen dreimal mehr Pflegekräfte in Rente, als Nachwuchskräfte in den Arbeitsmarkt eintreten. Die Pflegekammer NRW ist alarmiert: &bdquo;Wir reden hier nicht von einer Entwicklung, die in 20 oder 30 Jahren passieren wird. Es wird schon in den kommenden fünf Jahren so weit sein und liegt unmittelbar vor uns“, warnt Präsidentin Sandra Postel. Zahlen der Kammer zeigen, dass davon neben den Kreisen Minden-Lübbecke und Höxter vor allem die Kreise Coesfeld, Kleve, Neuss, Soest, Steinfurt, Viersen und Warendorf sowie die Stadt Leverkusen betroffen sind. Diese Teile des Landes haben die höchsten Differenzen bei den Pflegekräften zwischen den 19- bis 30-Jährigen und denen, die 55 Jahre oder älter sind und bald das Rentenalter erreichen. Zudem haben die betroffenen Kreise und Städte eine besonders alte Bevölkerung. Wie dramatisch die Situation ist, zeigen die Daten der Pflegekammer für die betroffenen Kreise in OWL. Der Kreis Höxter hat die zweitälteste Bevölkerung in NRW. 42 Prozent der Bürger sind 55 Jahre oder älter. Im Kreis Minden-Lübbecke sind es 39 Prozent. Gleichzeitig ist Höxter der Kreis mit der zweithöchsten Differenz bei den jüngeren und älteren Pflegekräften. 40 Prozent der Fachkräfte sind 55 Jahre oder älter, aber nur zehn Prozent sind im Alter zwischen 19 und 30 Jahren. Im Kreis Minden-Lübbecke sind 37 Prozent der Pflegekräfte 55 Jahre oder älter und elf Prozent im Alter zwischen 19 und 30 Jahren. Postel bewertet diese Entwicklung als besorgniserregend: &bdquo;Wer soll die Menschen in Zukunft pflegen?“ Der Kreis Paderborn ist im OWL-Vergleich am besten aufgestellt Zum Vergleich: Die &bdquo;beste“ Differenz zwischen den jüngeren und älteren Pflegekräften in OWL weist nach Angaben der Pflegekammer der Kreis Paderborn auf. 31 Prozent der Pflegekräfte sind 55 Jahre oder älter und 16 Prozent im Alter zwischen 19 und 30 Jahren. Bessere Differenzen gibt es im NRW-Vergleich nur in Münster mit 31 Prozent älteren und 18 Prozent jüngeren Pflegekräften und dem Kreis Heinsberg mit 31 Prozent älteren und 17 Prozent jüngeren Fachkräften. Postel kritisiert, dass viele Kommunen die Entwicklungen nicht oder nur unzureichend in den Blick nehmen, wenn es darum geht, ihre Pflegeinfrastruktur zu organisieren. &bdquo;Wir haben es mit realen Entwicklungen zu tun.“ Postel fordert deshalb die Kommunen in NRW auf, die drohende Unterversorgung in der Pflege ernst zu nehmen. Andernfalls führe die Entwicklung dazu, dass immer mehr Arbeitnehmer Probleme bei der Organisation der Pflege ihrer Eltern und Großeltern bekämen. &bdquo;Im Endeffekt wird das in vielen Familien dazu führen, dass eine Person nur noch Teilzeit oder gar nicht mehr arbeiten kann, um als pflegender Angehöriger für seine Verwandten da zu sein.“ 89 Prozent der ambulanten Pflegedienste müssen Neukunden ablehnen Die drohende Unterversorgung in der Pflege betrifft nach Angaben Postels immer mehr Menschen in NRW. Wie die Daten des Landesverbands der Alzheimer-Gesellschaften NRW zeigen, hat NRW 2023 1,38 Millionen Pflegeversicherungsempfänger gezählt. Bei einer Gesamtbevölkerung von etwa 18 Millionen Menschen entspricht das fast acht Prozent. &bdquo;Dies zeigt deutlich, wie hoch der Bedarf an Pflege schon jetzt ist“, sagt Postel. Seit 2013 ist die Zahl der Pflegeversicherungsempfänger nach Angaben des Statistischen Landesamts IT NRW um 137 Prozent gestiegen. &bdquo;Die Zahlen lassen daher auch in Zukunft eine Steigerung vermuten, die bei Kreisen wie Minden-Lübbecke oder Höxter die Alarmglocken läuten lassen sollten.“ Der Personalmangel in der Pflege hat deshalb jetzt schon verheerende Auswirkungen im Alltag vieler Menschen. So zeigt eine Umfrage der Diakonie Deutschland und des deutschen evangelischen Verbands für Altenarbeit und Pflege, dass bereits aktuell 89 Prozent der ambulanten Pflegedienste Neukunden ablehnen und 72 Prozent der Pflegeheime ihre Angebote einschränken müssen. Pflegeanbieter befürchten, dass sich aus der Krise eine Katastrophe entwickelt &bdquo;Die Zahlen zeigen es. Wir sind bereits mitten in einer akuten Pflegekrise. Nötig ist ein radikales Umdenken in der Politik, wenn wir die Pflege vor dem Kollaps bewahren wollen“, erklärt die Sozialvorständin der Diakonie Deutschland, Maria Loheide. &bdquo;Wir brauchen eine gemeinsame gesellschaftliche und politische Anstrengung, um das Pflegesystem zu heilen.“ Die Pflegeversicherung benötige eine gesicherte Finanzierung, damit sie die pflegebedürftigen Menschen, die pflegenden Angehörigen und die Pflegedienste und -einrichtungen entlasten und handlungsfähig machen könne, fordert Loheide. &bdquo;Sonst steuern wir von der akuten Krise in die Katastrophe, in der Pflegebedürftige nicht mehr professionell versorgt und pflegende Angehörige unterstützt werden können.“ Pflege im Koalitionsvertrag: Pflegekammer sieht keinen Fortschritt Die neue Bundesregierung aus Union und SPD hat im Koalitionsvertrag angekündigt, die drängendsten Probleme zu lösen. Dabei will die Koalition an zwei Gesetze der Ampelregierung anknüpfen: die Gesetze zur Pflegeassistenz und Pflegekompetenz. Zusätzlich ist eine &bdquo;große Pflegereform“ geplant, für die eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe Vorschläge in diesem Jahr erarbeiten soll. Postel sieht darin jedoch keinen echten Fortschritt. &bdquo;Das grundsätzliche Verständnis gegenüber der Pflege hat sich nicht verändert. Pflege wird weiterhin als Lückenfüller gedacht, nicht als Lösung“, moniert Postel. &bdquo;In Passagen zur Krankenhausreform, zur Digitalisierung und zur psychischen Gesundheit taucht Pflege nicht einmal auf.“ Das evangelische Johanneswerk in Bielefeld als Träger von 38 stationären Alteneinrichtungen in NRW fordert zudem seit Langem Systemanpassungen, um leichter Arbeitskräfte aus dem Ausland zu gewinnen. &bdquo;Knapp 1.000 unserer Mitarbeiter haben eine ausländische oder doppelte Staatsbürgerschaft. Viele weitere Mitarbeiter haben einen Migrationshintergrund. Insgesamt beschäftigen wir Menschen aus 95 Nationen“, erklärt der stellvertretende Vorsitzende der Johanneswerk-Geschäftsführung, Bodo de Vries. &bdquo;Ohne Migration funktioniert die Pflege in Deutschland nicht.“ Fachkräfte-Abkommen mit einzelnen Ländern reichten für Verbesserungen jedoch nicht aus, sagt de Vries. &bdquo;Gebraucht werden auch Hilfskräfte. Zudem profitieren die Menschen, die bereits in Deutschland sind, nicht davon.“

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