Interview: Wer sind eigentlich „die“ AfD-Wähler, Sally Lisa Starken?

Frau Starken, auf Menschen zuzugehen und sie zu fragen, warum Sie die AfD wählen – wie viel Mut braucht man dafür? Sally Lisa Starken: Es kostet Überwindung, Menschen spontan anzusprechen. Aber es war viel einfacher, als ich angenommen hatte. Ich habe mir die Menschen aber auch genau ausgesucht, sie auf Wahlkampfveranstaltungen lange beobachtet, bevor ich sie angesprochen habe. Und ich habe viele Situationen erlebt, auf die ich es im echten Leben niemals angelegt hätte. Ich bin eher zurückhaltend. Sie haben sich extra mit einer Gesprächstherapeutin auf diese Gespräche vorbereitet. Ja, das war für mich sehr wichtig. Ich wollte aus der Rolle der Journalistin rausgehen und einfach zuhören, um die Distanz zu überwinden. Weil ich wirklich erfahren wollte, was diese Menschen bewegt, in ihre Lebensrealitäten und Emotionen eintauchen wollte. Ich bin allen Menschen auf Augenhöhe begegnet, und das hat auch etwas mit mir gemacht. Wie waren die Reaktionen? Natürlich haben viele Menschen abgelehnt, überhaupt mit mir zu sprechen. Aber die Gespräche, die ich hatte, waren aufschlussreich. Fast schon: nett. Und es ist mir in vielen Fällen gelungen, nachzuvollziehen, wie Menschen an den Punkt gekommen sind, dass sie glauben, eine in großen Teilen rechtsextremistische Partei liefere die Lösung für ihre Sorgen und Probleme. Was erstaunlich genug ist, angesichts der Szenarien, die Sie erlebt haben: Ein brüllender Björn Höcke auf der Bühne auf dem sonnenbeschienenen Marktplatz in Görlitz, davor Rechtsextreme in Springerstiefeln, daneben ein Zelt, in dem Kinder geschminkt werden. Dieser Marktplatz an diesem Tag bildet für mich ganz realistisch ab, mit was für einer völlig durchmischten AfD-Wählerschaft wir es in Deutschland mittlerweile zu tun haben. Da waren Rechtsextreme, Familien, ältere Männer, junge Frauen, Jugendliche, die sich in der Jungen Alternative verorten. Und auch &bdquo;Lea“. Genau, zumindest habe ich sie Lea genannt. Eine junge Frau in meinem Alter, verheiratet, zwei Kinder, ein Haus in der Nähe der Eltern. Aufgewachsen in der AfD-Hochburg Görlitz, bei Eltern, die in der DDR sozialisiert wurden und gelernt haben: Mit Russland führt man keinen Krieg. Für sie ist Görlitz keine AfD-Hochburg, sondern ihre Heimat, Rechtsextremismus Normalität im Umkreis. Ihre Sorgen: Angst vor Ausländern, vor &bdquo;Überfremdung“ und &bdquo;Kontrollverlust“. Den Menschen in ihrem Umfeld bliebe zu wenig Geld in der Tasche, ihre Mutter habe so eine kleine Rente, das könne nicht gerecht sein. Und Alice Weidel habe in ihren Augen alles Wichtige zu diesen Problemen gesagt. Was hat dieses Gespräch mit Ihnen gemacht? Ich konnte Lea an bestimmten Punkten verstehen, ich konnte das nachvollziehen, was sie sagt. Aber ich wäre zu einer anderen Lösung gekommen – weil wir unterschiedliche Lebensrealitäten haben. Am krassesten fand ich aber unsere selektive Wahrnehmung dieser Wahlkampfveranstaltung. Wir haben das Gleiche gehört, waren am selben Ort, waren aber am Ende doch auf ganz unterschiedlichen Marktplätzen. Sie hat ganz andere Dinge wahrgenommen und mitbekommen. Das ist auch eine Lehre dieser Reise: Du kannst Menschen, die AfD-Parolen erzählen, mit Fakten kommen, und trotzdem glauben sie dir nicht. Dann nennst du die Quellen und sie sagen: Systemmedien. Ich hab Lea Videos gezeigt von Alice Weidel, wie sie auf der Bühne steht und Afghanen &bdquo;Bestien“ nennt. Und sie hat es dennoch nicht gehört. .responsive23-R7Yy1GHg8nZsf8yb-atlas-slideshow-umfragen-sachsen-2024 { width: 100%; padding-top: 100%; } @media (max-width: 600px) { .responsive23-R7Yy1GHg8nZsf8yb-atlas-slideshow-umfragen-sachsen-2024 { padding-top: 100%; } } @media (max-width: 360px) { .responsive23-R7Yy1GHg8nZsf8yb-atlas-slideshow-umfragen-sachsen-2024 { padding-top: 142.86%; } } Im Buch gibt es mehrere dieser Personen, denen Sie fiktive Namen geben und die einen bestimmten Wählertyp darstellen. &bdquo;Frank aus Erfurt“ ist ein weiteres Beispiel. Frank ging mir nah. Er lebte benachbart einer Ferienwohnung, die wir für die Reise gemietet hatten. Wir haben ihn tagelang beobachtet, er war so nett zu uns. Und ganz klar AfD-Wähler, das teilte er jedem lautstark mit. Für mich war klar: Mit ihm möchte ich sprechen. Aber das Gespräch war ganz und gar nicht das, was ich mir erhofft hatte. Warum? Weil das ein ganz anderer Frank war. Wir hatten ihn als liebenswürdigen Menschen in unser Herz geschlossen und saßen auf einmal einem verzweifelten und gleichzeitig so wütenden Menschen gegenüber, der auf keine Frage zugänglich reagierte und der hoffte, dass die AfD ihm sein altes Leben in der DDR zurückbringen könne. Wie eine Welle überrollten uns Verschwörermythen, rechtsextreme Quellen und Fake News. Er erzählte Geschichten aus den sozialen Medien, die so abstrus waren, dass man sie nicht glauben kann. Aber Frank glaubte sie. Warum ging Ihnen das so nah? Weil man ganz klar gemerkt hat: Dieser Mann ist nicht mehr in der demokratischen Mitte verortet – eher im rechtsextremen Strudel verloren. Er ist nicht mehr einzufangen oder zurückzuholen. Und da war bei mir ein starkes Gefühl von Ohnmacht, dass ich erkennen musste: Es gibt Fälle, da ist nichts mehr zu machen, zumindest nicht ohne professionelle Hilfe von Extremismus-Beratungsstellen. .responsive23-DfHiZqKTvpb1A6E5-atlas-slideshow-thueringen-2024 { width: 100%; padding-top: 100%; } @media (max-width: 600px) { .responsive23-DfHiZqKTvpb1A6E5-atlas-slideshow-thueringen-2024 { padding-top: 100%; } } @media (max-width: 360px) { .responsive23-DfHiZqKTvpb1A6E5-atlas-slideshow-thueringen-2024 { padding-top: 142.86%; } } &bdquo;Der nette Stefan“ ist ein weiteres Beispiel, er spiegelt den scheinbaren Protestwähler wider. Sie erzählen seine Geschichte über Jahre, weil sie ihn über Freunde kannten, bilden ab, wie aus einem frustrierten Familienvater, der aus Neugier in die AfD eintritt, ein Rechtsradikaler wird. Sie haben sogar mit seiner mittlerweile erwachsenen Tochter gesprochen, die um einen Umgang mit ihrem Vater ringt. Stefans Geschichte zeigt zum einen sehr klar auf, dass alles, was bei der AfD passiert, und was sie mit den Leuten macht, von Emotionen getrieben ist. Sie zeigt aber auch, wie wenig Gegenwind Menschen in Deutschland in den vergangenen Jahren erhalten haben, wenn sie sich auf den rechten Rand zubewegt haben. Viele Menschen sind bei dem Thema sehr konfliktscheu, möchten das gern von sich weghalten oder der Wahrheit nicht in die Augen sehen. Ich denke, ein Ausweichen ist der falsche Weg. Wie meinen Sie das? Wir brauchen Zivilcourage, wir brauchen Menschen, die sich einmischen und sich mit Dingen auseinandersetzen. Das macht niemand gern, und viele haben mittlerweile Angst vor Gewalt. Das kann ich alles auch sehr gut nachvollziehen und nachempfinden. Aber wenn zum Beispiel jemand laut in der Bahn einen rechtsradikalen oder rassistischen Spruch ablässt: Wenn man da nicht widerspricht und Kontra gibt, dann bleibt das, was derjenige sagt, unwidersprochen und im Raum stehen. Und damit normalisiert sich Rechtsextremismus immer weiter. Das ist übrigens auch ein Unterschied zwischen West- und Ostdeutschland. Was genau? In ostdeutschen Bundesländern sieht man in den Städten sehr viel Zivilcourage, die Leute sind so engagiert und wach, auch in Demokratievereinen, weil AfD und Rechtsextremismus omnipräsent sind. Davon können wir im Westen lernen, auch hier noch aktiver zu werden, denn im Westen gibt es viel mehr AfD-Wähler. Sie geben im Buch auch eine Anleitung, wie man aktiv werden kann, einen Handlungsleitfaden gegen rechtsextreme Parolen. Ich glaube: Der größte Hebel, den wir haben, um Menschen zurückzuholen, ist, die Beziehungen nicht aufzugeben. Es mag eine Floskel sein, aber: Man sollte im Gespräch bleiben. Genau das tun wir aber oft nicht. Wir reden oft nicht miteinander oder wir hören uns nicht immer wirklich zu. Sicherlich kann man damit die AfD auch nicht kleiner machen, das ist inhaltliche Aufgabe der Politik. Aber man kann trotzdem im Kleinen etwas bewirken, wenn man in Kontakt bleibt, mit Menschen spricht. Und vor allem hilft diese Selbstwirksamkeit auch einem selbst, mit der Situation besser umgehen zu können. Also gilt: Politik am Frühstückstisch. Am Frühstückstisch, beim Familienspaziergang, wo immer es die Zeit dafür gibt. Ganz wichtig dabei ist, dass man seine eigenen Grenzen kennt. Die muss man auch kommunizieren und wahren. Und man kann probieren, mit Fakten zu arbeiten, muss aber damit rechnen, dass das in vielen Fällen nicht funktioniert. Aber den Kontakt nicht abzubrechen und im Gespräch bleiben, das ist eine Herausforderung, der man sich immer weiter stellen muss. Sonst finden sich diese Menschen nur noch in einer Bubble, wo ihnen niemand mehr Kontra oder andere Perspektiven gibt. Und was passiert dann? Trotz des schweren Themas ist das Buch optimistisch. Aber haben die Begegnungen Sie nicht auch total desillusioniert? Vor dem Buch ging es mir schlechter. Da hatte ich oft das Gefühl: Wo steuern wir da gerade hin? Danach hatte ich Antworten auf viele meiner Fragen, konnte vieles einordnen. Und ich habe gesehen: Das sind alles Menschen – bei denen ich zumindest nachvollziehen konnte, wie sie dahin gekommen sind. Und dass es Lösungsansätze gibt für Politik und Gesellschaft, diesen Menschen wieder zu begegnen. Aber was ist, wenn wir es überwiegend mit den Franks und den Stefans, den Unbekehrbaren zu tun haben? Haben wir es aber nicht. Ich glaube, dass der Großteil der Leute, die jetzt mit der AfD sympathisieren, sich zur Mitte zählt und vorher eine andere Partei gewählt hat. Und dass man die auch wieder zurückholen kann. Das haben auch viele gesagt in den Gesprächen. Dazu aber muss Politik sich verändern. Jetzt.

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