„Affront“: Warum 140.000 Beamten-Widersprüche in NRW für Ärger sorgen

Düsseldorf. Als er den Bescheid liest, ist Thomas F. verunsichert und verärgert. Der Verwaltungsbeamte aus OWL (Name geändert) hatte 2022 Widerspruch gegen die Alimentation, also seine Bezahlung, beim Land eingereicht. Jetzt, zweieinhalb Jahre später, erhält Thomas F. die Antwort, dass sein Widerspruch &bdquo;unbegründet“ sei. So wie dem 40-Jährigen geht es gerade Zehntausenden Beamten in NRW. Sie alle müssen sich jetzt eine heikle Frage stellen. Sollen sie den eigenen Dienstherrn verklagen? Thomas F. ist der Meinung, dass seine Bezahlung, die sogenannte Besoldung, zu niedrig und somit verfassungswidrig war. Der Grund: Das Beamtenrecht sieht vor, dass ein Beamter in der untersten Besoldungsgruppe mindestens 15 Prozent mehr netto verdienen muss als ein Empfänger der Grundsicherung. Da sich die Höhe der Grundhilfe beziehungsweise seit 2023 die Höhe des Bürgergelds verändert, hat das auch immer Auswirkungen auf die Besoldung der Beamten. Da es für Beamte wiederum eine Regel gibt, die besagt, dass es auch zwischen den Besoldungsgruppen gewisse Abstände geben muss, überträgt sich eine Besoldungserhöhung in den unteren Gruppen automatisch auch auf Beamte in höheren Besoldungsgruppen. Einige Beamte im Land sind der Meinung, dass jedoch genau das nicht hinreichend passiert ist. Seit 2022 sind in NRW bis heute mehr als 140.000 Widersprüche gegen die Alimentation eingegangen, davon beziehen sich allein rund 55.000 auf das Jahr 2022. Wenn diese Betroffenen nun die negativen Bescheide ihrer Widersprüche nicht akzeptieren - und klagen würden, dann würde das die Gerichte stark beanspruchen. Deshalb hatten Gewerkschaften dem Land NRW vorgeschlagen, die Streitfragen in sogenannten Musterverfahren klären zu lassen. Das heißt: Die Gerichte sollten sich nur mit einigen wenigen Klagen befassen, die exemplarisch für alle weiteren Klagen stehen - und dann übertragen werden. Das Land NRW hält die Besoldung für verfassungskonform Die Idee dahinter: Das soll Gerichte entlasten und zugleich den betroffenen Beamten ersparen, einzeln und aufwendig klagen zu müssen. Doch es kommt anders. Das Land ist grundsätzlich der Meinung, dass die Alimentation verfassungsgemäß war. Das Ministerium verweist auf Anfrage dieser Redaktion auf &bdquo;erhebliche finanzielle Verbesserungen“ für seine Beamten im Jahr 2022 - zum Beispiel durch eine Erhöhung des Familienzuschlags und einen regionalen Ergänzungszuschlag. Demnach soll es also auch keine Nachzahlungen geben, so wie das in den vergangenen Jahren durchaus in einigen Fällen und in beträchtlicher Höhe der Fall gewesen ist - unter anderem beim Familienzuschlag. Mit Verweis auf Maßgaben der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts teilt das NRW-Finanzministerium konkret mit, dass &bdquo;keine klärungsbedürftigen Rechtsfragen zur Verfassungsgemäßheit der Alimentation im Jahr 2022 bestanden“. Ein generelles &bdquo;Ruhendstellen der Widersprüche“ gegen die Alimentation für das Jahr 2022 sowie die &bdquo;Führung von Musterprozessen“ sei &bdquo;mangels grundsätzlicher klärungsbedürftiger Rechtsfragen insoweit nicht angezeigt“, teilt ein Sprecher mit. Der Deutsche Beamtenbund (DBB) in NRW wertet die Entscheidung als &bdquo;Affront“, weil er ein Bruch mit &bdquo;bisherigen Gepflogenheiten“ darstelle. Die betroffenen Beamten würden nun in die &bdquo;Zwangslage“ versetzt, zu entscheiden, ob sie den Klageweg beschreiten. Dafür haben sie vier Wochen Zeit. Der DBB verweist darauf, dass eine Klage mit Kosten verbunden ist - womöglich in Höhe von mehreren Hundert Euro. Meist brauche es dafür einen Anwalt, weil der DBB in diesen Fällen keinen Rechtsschutz gewähren könne. Beamter aus OWL will auf eine Klage verzichten Thomas F. aus OWL hat sich deshalb nach reiflicher Überlegung entschieden, auf eine Klage zu verzichten, weil diese mit Zeit, Aufwand und ungewissem Ausgang verbunden wäre. Zugleich sei es ein mulmiges Gefühl, den &bdquo;eigenen Dienstherrn“ zu verklagen. Doch glücklich ist der Beamte über seine Entscheidung trotzdem nicht. Thomas F. glaubt, dass das Land mit diesem Verhalten &bdquo;Geld sparen“ wolle, weil es einkalkuliere, dass viele Betroffene - so wie er - auf eine Klage verzichten würden. Abgeschlossen ist das Thema damit aber keineswegs. Der Berg unerledigter Klageverfahren und die Zahl der Widersprüche wüchsen kontinuierlich an, moniert der FDP-Landtagsabgeordnete Ralf Witzel. Der Finanzexperte kritisiert NRW-Finanzminister Marcus Optendrenk (CDU) dafür, dass er Musterverfahren für die vergangenen Jahre wie 2022 ausschließe, sie aber für das Jahr 2024 zulassen wolle. Widersprüche für 2024 richten sich vor allem dagegen, dass das Land für die Höhe der Besoldung seitdem ein fiktives Partnereinkommen hinzurechnet, was Auswirkungen auf die Besoldungsberechnung hat. Das ist ein anderes Thema, welches im vergangenen Herbst aber durchaus für Aufregung gesorgt hat - und noch Folgen haben könnte. Offen ist auch, ob es für das Jahr 2023 zu Nachzahlungen kommen könnte. In dem Jahr war das Bürgergeld eingeführt - und dessen Regelsatz ein Jahr später stark um rund 25 Prozent erhöht worden. Das Ministerium erklärt sein Vorgehen damit, dass die Besoldungsanpassungen zunächst immer &bdquo;zwangsläufig“ in Teilen auf &bdquo;Prognosewerten“ beruhten. Eine abschließende Überprüfung könne &bdquo;naturgemäß“ erst nachträglich erfolgen, sobald alle erforderlichen statistischen Daten vollständig vorliegen würden.

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