Gütersloh

Eigene Kandidatin: "Die Partei" will "Gurkenfachmann" Adenauer herausfordern

Die Satirepartei "Die Partei" hat im Dezember einen Kreisverband Gütersloh gegründet. Der schlägt unter anderem vor, die ungeliebte A33 für die Binnenschifffahrt zu fluten.

Haben ihr Parteikostüm angezogen: Der Kreisvorsitzende Glenn Krüger und die „Parteisekretärin für irgendwas mit Umwelt und Antidiskriminierung", Lena Horstmann. | © Jonas Damme

Ludger Osterkamp
26.07.2020 | 26.07.2020, 17:00

Gütersloh. Wenn sich die Mitglieder der Partei "Die Partei" zu ihrem Stammtisch treffen, ziehen sie gerne ihren "Parteianzug" an. Das ist ein mausgrauer Dreiteiler, den sie um eine rote Krawatte oder Fliege ergänzen und der sie mit diversen Stickern und Abzeichen ein bisschen wie eine Truppe von Pfadfindern wirken lässt. Den Trägern dieser Uniform reicht es aber nicht, gelegentlich einer Oma über die Straße zu helfen: Sie wollen, dass ihre Kluft zum neuen Schick im Kreishaus wird.

Die Partei - kurz: Satirepartei, lang: Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative - tritt bei den Kommunalwahlen im Kreis Gütersloh an. Erstmals. Und sie meint es ernst. Sie ist zuversichtlich, bis zum Anmeldeschluss am Montag, 18 Uhr, alle 30 Wahlbezirke im Kreis besetzt und jeweils genügend Unterstützerunterschriften dafür eingesammelt zu haben. Sogar eine Landratskandidatin will sie nominieren.

Kandidatin kommt aus der Stadt des Bauern-Revoluzzers

Monika Vorberg heißt sie. 53 Jahre alt, Krankenschwester im LWL-Klinikum, wohnhaft in Rheda-Wiedenbrück und gebürtig aus Mühlhausen, jener Stadt in Thüringen, in der einst der Bauern-Revoluzzer Thomas Müntzer lebte. "Revolution ist genau das, was wir gerade brauchen", sagt Vorberg. Ihre Wahlchancen gegen Amtsinhaber Adenauer, "diesen Gurkenfachmann", seien exzellent. Als Krankenschwester habe sie gewiss ein besseres Verständnis von den Alltagssorgen der Menschen als "dieser Clemens-Kumpel". Für die Bürger habe ihre Kandidatur den Charme, einer Krankenschwester nicht nur applaudieren, sondern sie direkt wählen zu können.

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Der Parteichef will auch Bürgermeister werden

Die Frist für das Einreichen der Wahlvorschläge endet am Montag, 27. Juli, 18 Uhr.

Der Landtag hatte sie wegen der Pandemie um zwei Monate verlängert, um vor allem den kleinen Parteien mehr Zeit für das Aufstellen von Kandidaten und das Sammeln von Unterstützerunterschriften zu geben.

Über die Zulassung der Wahlvorschläge und somit darüber, ob sie auf den Wahlzetteln erscheinen, entscheidet der Wahlausschuss des Kreistages am Donnerstag, 30. Juli, 15 Uhr, in öffentlicher Sitzung.

"Die Partei" tritt eigener Aussage zufolge lediglich auf Kreisebene für den Kreistag und auf örtlicher Ebene in Steinhagen an. Dort, in Steinhagen, kandidiert ihr Kreisvorsitzender Glenn Krüger auch als Bürgermeister.

Für die anderen Kommunen, so Krüger, sei die Zeit zu knapp gewesen, um den Einzug in die Rathäuser anzustreben.

180 Unterstützer-Unterschriften von Wahlberechtigten braucht Vorberg, um antreten zu können. Die seien so gut wie beisammen, inklusive eines gehörigen Puffers für Scherz-Schriftzüge. Viele davon sammelt sie persönlich ein. Manchmal steigt sie dafür auf ihren Tretroller, was ein wenig kindisch wirkt, wegen ihrer Knieprothese aber vernünftig ist. Gerne - ob man das bei dieser Gelegenheit vielleicht erwähnen könnte - brächte sie eine Freizeit-Tretroller-Gruppe ins Rollen, Anmeldungen unter rollergirls2019@gmx.de. Im Parteiprogramm stehe das zwar nicht, mache aber nichts.

Mitgliederzuwachs von 36 Prozent

Parteiprogramm ist ohnehin so ein Wort, das für "Die Partei" altbacken klingt. 2004 von der Redaktion des Satiremagazins Titanic gegründet, guckt sie lieber, was politisch gerade Trumpf ist. Oft, wenn nicht meistens, reagiert sie mit Spott darauf, aber falls nötig, auch mit Ernst. Auf diese Weise ist sie auf dem Weg, von einer belächelten zu einer relevanten Kraft zu mutieren, ob beabsichtigt oder nicht. Keine andere Partei verzeichnet ähnliche Beliebtheitszahlen: 36 Prozent Mitgliederzuwachs im vergangenen Jahr, da werden selbst die Grünen grün vor Neid. 50.000 Mitglieder zählt "Die Partei" inzwischen bundesweit, davon 150 im Kreisgebiet. "Sehr erfreulich, das alles", findet der Kreisvorsitzende Glenn Krüger. "Wir erfahren viel Zuspruch, und alle sind supermotiviert."

Der 48-jährige Steinhagener, ein diplomierter Sozialarbeiter, hatte darauf gedrängt, dass sich im Dezember der Gütersloher Kreisverband gründete. Seit langem Fan der Partei und deren Leuchtgestalt Martin Sonneborn, war er es leid, ständig für die Bielefelder Genossen Hallodri zu machen, im Kreisgebiet aber einen blinden Fleck zu finden, wenn es darum ging, mal der "sogAfD" und der "Spaßpartei FDP" Kontra zu geben. Krüger trägt Schiebermütze, seine Diplomarbeit hat er über das Thema "Humor als Handlungskonzept in der Altenpflege" geschrieben. Hauptberuflich ist er im Ordnungsamt der Stadt Bielefeld angestellt, dort sei er "Politesse".

Sehr beliebt ist der Posten des Destillationsexperten

Als weiteres Gründungsmitglied taucht Lena Horstmann auf, "Parteisekretärin für irgendwas mit Umwelt und Antidiskriminierung". Sie ist eine von nur wenigen Frauen. Um die Quote zu erhöhen, hat Horstmann daher unlängst einen 100-Tage-Aufnahmestopp für Männer verhängt. Der ist nun vorbei, mittlerweile liege der Frauenanteil bei 27 Prozent, sagt Krüger. Ämter vergibt die "Partei" ohnehin gerne: Es gibt einen Destillationsexperten (ein gefragter Posten), einen Bienenbeauftragten, einen Sekretär für Bildung und Unrat oder einen Verantwortlichen für Gesundheit und Familiengedöns. Diese Ironie kommt vor allem bei jungen Leuten an: "Wir haben einen hohen Anteil an 18- und 19-Jährigen", sagt Krüger. Mit seinen 48 Lenzen sei er beinah der Älteste.

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Die A 33 sei gut für die Binnenschifffahrt geeignet

Als reine Horde von Spaßvögeln will er seine Gruppe nicht abgekanzelt wissen. "Wenn wir wollen, können wir auch ernst." Freilich ist der Übergang fließend. So kursiert in der Partei die Idee, die ungeliebte A 33 für die Binnenschifffahrt zu fluten. Das sei effektiver Lärmschutz, und Steinhagen könne zur Hansestadt werden. "Hört sich lächerlich an", sagt Krüger, "aber wenn das mit dem Klima so weitergeht, steht die Nordsee in 40 Jahren bei Minden." Vorsichtshalber habe er kürzlich den Sportbootführerschein gemacht, kein Witz.

Dass bis Montagabend alle 30 Wahlbezirkskandidaturen eingetütet sind, daran zweifele er kaum, so Krüger. Sein Wahlziel? "100 Prozent plus X, das ist das, was wir immer anstreben." Alternativ sei das Ergebnis bei der letzten Europawahl okay: 2,4 Prozent, und drittstärkste Kraft bei den Erstwählern. Für einen Sitz im Kreistag würde das reichen. Spitzenkandidatin Vorberg sagt, sie könne sich dort dann auch als Krankenschwester hervortun: "Nötig wär's."