Dissen/Kreis Gütersloh. Sandra Kuros-Vahrenhorst ringt am Donnerstag um Fassung. Ebenso wie ihre Kollegen Nathalie Bräuer und Stefan Ahlborn. Alle drei sind Angestellte der LVD Fleisch GmbH, der am 10. Juni vom Landkreis Osnabrück im Kühlhaus der Nagel Transthermos GmbH in Dissen die Produktion untersagt wurde. Der Grund: massiver Kotbefall durch Ratten – das HK berichtete am Mittwoch exklusiv.
„Seit 2006 waren wir Untermieter in dem Gebäude", berichtet Sandra Vahrenhorst. „Der Raum, in dem wir gearbeitet haben, ist vielleicht gerade mal 240 Quadratmeter groß und damit nur ein sehr kleiner Bereich des Kühlhauses", ergänzt Stefan Ahlborn. Er ist der Sohn des Firmengründers Dirk Ahlborn. Nach dessen Tod im Jahr 2011 wurde die Firma an Chinesen verkauft; das erklärt auch die (nahezu jährlich wechselnden) chinesischen Geschäftsführer, die im Handelsregister geführt werden. Gemeinsam wehren sich die drei nun gegen die Aussagen von Nagel Transthermos gegenüber unserer Zeitung, denen zufolge LVD „die gesetzlichen Hygienestandards nicht ausreichend befolgt" hätte. „Das Gegenteil ist der Fall", sagt Stefan Ahlborn. „Wir sind nur das Bauernopfer."
Aufgabe der etwa 13 Mitarbeiter der LVD Fleisch GmbH sei das Abschwarten gewesen, also das Trennen von Speck und Schwarte bei Schweinerücken. „Teile wie Pfoten, Herzen oder Schweinefüße, also alle Nebenprodukte, kamen ansonsten auf ein Förderband und wurden von dort aus in Kartons verpackt", erklärt Ahlborn. Die frische Ware sei dann an Nagel Transthermos gegangen, um sie zu frosten und einzulagern. Ratten hätten hier keinen Schaden anrichten können.
„Wir haben Nagel den Produktionsausfall in Rechnung gestellt und die haben gezahlt"
„In einem zweiten Raum, etwa 200 Quadratmeter groß, durch einen Flur von unserem Produktionsraum getrennt und den wir auch angemietet hatten, haben wir Transthermos erlaubt, zu arbeiten", fährt Stefan Ahlborn fort. „Wessen Fleisch hier verarbeitet wurde, wissen wir nicht. Nur so viel: Das war der Bereich, in dem gefrostetes Fleisch in Kisten ankam und umgestülpt wurde."
Sandra Vahrenhorst öffnet einen großen Ordner mit Unterlagen. Als erstes legt sie eine Nebenkostenabrechnung vor: „Die LVD hat pro Jahr 1.270 Euro an Nagel Transthermos für Schädlingsbekämpfung gezahlt. Also nicht wir waren für die Schädlingsbekämpfung zuständig, sondern Transthermos." Dann, fährt Stefan Ahlborn fort, sei der 27. April 2020 gekommen. „Als wir nach dem Wochenende in den Produktionsraum gekommen sind, haben wir auf dem Tisch Rattenkot entdeckt. Für uns war klar, dass wir an diesem Tag nicht produzieren können." Deshalb habe man Nagel Transthermos den Produktionsausfall in Rechnung gestellt – 357 Euro. Eine Kopie der Rechnung mit dem Hinweis „Nach wiederholtem Schädlingsbefall konnten wir aufgrund der Verunreinigungen (Fäkalien auf dem Produktionstisch) die Produktion am 27. April 2020 nicht aufnehmen" legt Sandra Vahrenhorst vor. Ebenso einen Kontoauszug vom 13. Mai 2020 mit dem Zahlungseingang von Transthermos. „Insgesamt drei Rechnungen haben wir Nagel Transthermos aufgrund von Produktionsausfällen bis Mitte Mai geschrieben – immer montags, also auch am 4. und am 11. Mai, denn nach dem Wochenende war es immer besonders schlimm", ergänzt Nathalie Bräuer. „Und alle Rechnungen wurden auch bezahlt, so dass wir schriftlich dokumentieren können, dass wir auf den Rattenbefall hingewiesen haben", sagt Sandra Vahrenhorst. Passiert sei allerdings nichts. „Nagel Transthermos ist nie auf uns zugekommen und hat sich um die Reinigung der Produktionsräume gekümmert", widerspricht Stefan Ahlborn den Ausführungen von Transthermos, die gegenüber dem HK versichert hatten, dass man „nach dem Bekanntwerden dieses Befalls unmittelbar ein internes Expertenteam zusammengestellt, gemeinsam mit den Behörden und dem Schädlingsbekämpfer umfangreiche Gegenmaßnahmen eingeleitet" habe. „Dabei hätten wir uns genau das gewünscht", sagt Ahlborn. Denn während Nagel Transthermos ebenso erklärt hatte, „Vermieter haben keinen Zugang zu den Räumen ihres Untermieters und können daher nur im eigenen Bereich beziehungsweise im Außenbereich kontrollieren", versichert Stefan Ahlborn: „Ich habe mehrmals mit zwei zuständigen Transthermos-Mitarbeitern hier auf dem Gelände gesprochen, mehrmals hieß es: Ja, wir kümmern uns! – aber nichts ist geschehen." Stattdessen habe man die Produktionsräume fortan auf eigene Kosten morgens und abends gereinigt. In Gesprächen mit Kollegen aus anderen Bereichen des Kühlhauses habe er erfahren, dass es überall Ratten geben. „Ich selber habe eine laufende Ratte im Gebäude gesehen."
Den Hauptgrund dafür, dass Ratten überhaupt in das Gebäude eindringen konnten, sehen die drei Mitarbeiter von LVD vornehmlich in einem Sturmschaden am 17. Februar dieses Jahres. „Im Bereich unseres Kartonlagers war das Dach runtergekommen", berichtet Stefan Ahlborn. Schon lange Zeit vorher habe er auf Löcher in der Fassade hingewiesen: "Passiert ist allerdings nichts." Weil der Lagerraum für die Mitarbeiter von LVD fortan nicht mehr zugänglich war, hätte man einen Schaden im mittlereren fünfstelligen Bereich erlitten. „Eine Gutschrift haben wir allerdings nicht erhalten." Erst nachdem man LVD die Produktion im Juni untersagt hatte, seien die Reparaturen vorgenommen worden.
„Wir haben jetzt schon verloren, weil wir uns einen Prozess gar nicht leisten können"
Zwar heißt es in der Verfügung des Landkreises Osnabrück, dass LVD die Produktion wieder aufnehmen dürfe, wenn Rattenbefall und Gebäudeschäden beseitigt seien. „Aber weil Transthermos das Gebäude ja zum 31. Juli aufgibt, haben wir keine Produktionsstätte mehr und stehen somit vor dem Aus", sagt Sandra Vahrenhorst. „Die meisten von uns haben bereits die Kündigung erhalten – stattdessen sitzen wir auf einem riesigen Berg an Schulden." Dann holt sie weitere Belege aus dem Ordner und rechnet vor: „Bislang haben wir 90 Tonnen Ware entsorgt und zahlen pro Tonne 107 Euro zuzüglich Warenwert und Personalkosten – 400 Tonnen liegen hier aber noch. Und dann kommen noch Regressansprüche hinzu."
Ein Kunde im Kongo, der Waren im Wert von 18.000 Euro bekommen hat, fordere von der Ahlborn GmbH, die Handelsgesellschaft der LVD, nun 89.000 Euro. „Können Sie sie sich vorstellen, welche Summen aufgerufen werden, wenn erst mal Kunden wie Tönnies oder Coppenrath & Wiese, die hier im Kühlhaus Ware gelagert haben, Regressansprüche anmelden?", stellt Stefan Ahlborn eine rhetorische Frage. „Aus unserer Sicht sollen wir hier mit unserem kleinen Raum in dem großen Kühlhaus das Bauernopfer werden. Und wir haben jetzt schon verloren, weil wir uns einen Prozess gar nicht leisten können, weil wir keine Arbeitsstätte mehr haben, weil es die Firma bald gar nicht mehr gibt."
Wie Burkhard Riepenhoff, Sprecher des Landkreises Osnabrück auf Anfrage erklärte, wurden seit Mitte Januar dieses Jahres 748 Tonnen Fleisch an 37 Betriebe in 22 Ländern ausgeliefert – davon 14 EU-Länder inklusive Deutschland. Detailliertere Angaben seien aufgrund des Datenschutzes nicht möglich.

