Wertheraner hilft Eltern beim Freitod: Gericht verurteilt den 60-Jährigen

Versmold/Werther/Bielefeld. Es ist ein Fall beinahe unvorstellbarer Tragik: ein Sohn, der vor einer beinahe unzumutbaren Gewissensentscheidung stand. Im vergangenen Jahr hat ein 88 Jahre alter Mann zunächst seine demente Ehefrau (86) und im Anschluss sich selbst getötet. Die dafür notwendigen Informationen und Utensilien hatte auf Bitten des Vaters der Sohn des betagten Paars besorgt. Das Bielefelder Landgericht hat den 60-Jährigen nun wegen Beihilfe zum Totschlag zu einer Bewährungsstrafe von eineinhalb Jahren verurteilt. &bdquo;Unser Urteil fällt in eine Zeit sich wandelnder Wertvorstellungen, wie aufgrund des demografischen Wandels in einer alternden Gesellschaft mit der Frage nach der Gestaltung des eigenen Lebensendes umgegangen werden soll“, sagte der Vorsitzende Richter Christoph Meiring zu Beginn der Urteilsverkündung. Zu befinden hatte die X. Große Strafkammer des Landgerichts über eine Tragödie, die sich im Januar 2024 in Versmold-Bockhorst zugetragen hatte. Dort lebte das betagte Ehepaar. Die beiden waren seit 1959 verheiratet und hatten eine glückliche Ehe geführt. Beide waren sich bereits vor etlichen Jahren darin einig gewesen, dass sie gemeinsam im eigenen Haus sterben wollten, sollte einer von ihnen allzu hilfsbedürftig werden. Der Umzug von einem der Partner in ein Pflegeheim erschien ihnen indiskutabel. Umzug ins Heim kommt für Versmolder Eltern nicht infrage Doch war der Zustand der Mutter bereits nicht mehr der allerbeste, als sie im Oktober 2023 stürzte und sich einen Bruch eines Oberschenkelhalses zuzog. Nachdem sie, die bereits zuvor an Altersdepression gelitten hatte, aus der Kurzzeitpflege ins eigene Haus zurückgekehrt war, verschlechterte sich ihr Zustand weiter. Mit weiterem Fortschreiten der Demenzerkrankung war sie Ende Januar 2024 weitestgehend nicht ansprechbar. Der Prozessauftakt: Nach Suizid-Drama in Versmold: Mann aus Werther (60) jetzt vor Gericht Der 88-jährige Ehemann blickte mit großer Sorge auf den sich rapide verschlechternden Zustand seiner Frau, gleichsam kam für ihn der Umzug der Partnerin in ein Heim nicht infrage. Ambulanten Pflegerinnen gegenüber äußerte er bei Hausbesuchen, dass es ja noch andere Möglichkeiten gebe und er, wenn es so weit sei, wisse, was er tun müsse – ohne auszusprechen, was er genau damit meinte. Unterstützt wurde der Versmolder insbesondere in den letzten Wochen vor dem Tod der Eheleute von seinem Sohn, dem heute 60-jährigen Angeklagten. Die letzten Tage im Leben der beiden Senioren übernachtete der Wertheraner auch in deren Haus. &bdquo;Ich wollte meinem Vater so viele Gänge wie möglich abnehmen. Ich hatte Angst, dass auch er schwer stürzt“, sagte er vor Gericht. Sohn bleibt im Wohnzimmer zurück, als Eltern sich das Leben nehmen Am 28. Januar, einem Sonntag, sah der 88-Jährige schließlich keinen Ausweg mehr. Überfordert von der häuslichen Situation bat er seinen Sohn, dieser möge sich über Möglichkeiten des Freitods informieren. Dieser leistete dem Wunsch des Vaters Folge, wie er zu Verhandlungsbeginn auch eingeräumt hatte. Am Abend des 31. Januars 2024 blieb er schließlich im Wohnzimmer zurück, als sich sein Vater ins Schlafzimmer begab. Als er gegen drei Uhr die Tür zum Schlafzimmer öffnete, lagen seine Eltern tot in ihren Betten. Leben im Alter: Was diese neue WG im Versmolder Ortsteil besonders macht &bdquo;Ich möchte noch einmal betonen, dass es der Wunsch beider Eltern war, nicht von Fremden gepflegt zu werden“, sagte der Wertheraner in seinem letzten Wort vor der Urteilsberatung der Kammer. &bdquo;Ich bin mit mir im Reinen. Ich habe das getan, was meine Eltern von mir wollten.“ Zuvor hatte der Vater einen Abschiedsbrief verfasst und in einem Handyvideo erklärt, dass er auf eigenen Wunsch aus dem Leben scheide. Ein derartiges Dokument, dass den eigenen Sohn entlastet, gibt es hingegen von seiner Mutter nicht. &bdquo;Aus Opfersicht gibt es verständliche Gründe, dem eigenen Leben ein Ende zu setzen“, führte Richter Meiring aus, &bdquo;die Angst davor, auf andere angewiesen oder diesen gar ausgeliefert zu sein. Doch haben wir dabei immer das Bild eines bewussten und klaren Menschen vor Augen.“ Zur Überzeugung des Gerichts war die 86-Jährige zur Tatzeit aufgrund ihrer fortgeschrittenen Demenz jedoch nicht mehr in der Lage, eine derartige Entscheidung zu treffen. Richter verweist auf gesellschaftliche Debatte über den Freitod Es stehe außer Frage, so führte Richter Meiring in der anschließenden Urteilsbegründung aus, &bdquo;dass man sich selber töten darf. Aber ist es in Ordnung damit andere zu beauftragen?“ Die gesellschaftliche Diskussion darüber sei im Fluss, so Meiring – &bdquo;die gesetzliche Lage hingegen ist eindeutig: Die Strafbarkeit von Handlungen wie hier die von Vater und Sohn dienen dem Lebensschutz. Daher hat die Tötung der Mutter die Strafbarkeit von Vater und Sohn zur Folge.“ Denn der 88-Jährige habe seine Ehefrau getötet und sein Sohn dabei Hilfe geleistet. Herausfordernd: Ehepaar pflegt behinderte Söhne seit 45 Jahren Die Kammer verurteilte den bislang nicht vorbestraften Mann aus Werther schließlich zu einer vergleichsweise milden Bewährungsstrafe von 18 Monaten. Zum Ende der Verkündung wandte sich Meiring noch einmal an den Angeklagten: &bdquo;Ich wünsche Ihnen, dass Sie mit diesem wirklich tragischen Fall umzugehen lernen. Denn es hinterlässt Spuren, wenn ein naher Angehöriger so aus dem Leben scheidet.“ Aktuelle News bekommen Sie täglich über den WhatsApp-Kanal des HK

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