Nach Suizid-Drama in Versmold: Mann aus Werther (60) jetzt vor Gericht

Werther/Versmold/Bielefeld. Es sind grausige Bilder von aufgeblähten Lungenflügeln. Aufgenommen vom zuständigen Rechtsmediziner aus Münster, sieben Tage nach dem Tattag. Weitere Aufnahmen von der Tatnacht zeigen die beiden Leichen im Ehebett in Versmold-Bockhorst, daneben zwei rosa-farbene, mit Helium gefüllte Gasflaschen und ein Abschiedsbrief auf dem Nachttisch. Ein Wertheraner, 60 Jahre alt, muss sich seit Dienstag vor der X. Großen Strafkammer des Bielefelder Landgerichts wegen des Verdachts auf Beihilfe zum Totschlag verantworten. Am Abend des 31. Januar 2024 soll er seinen Eltern (88 und 86 Jahre) beim Suizid geholfen haben. Dass der Vater freiwillig aus dem Leben scheiden wollte, scheint offenkundig, da ein Video und ein Abschiedsbrief existieren, die den Sohn entlasten. Die Mutter hingegen litt zuletzt an einer Demenz und war in den Tagen vor der Tat nicht mehr ansprechbar. Entsprechend konnte sie keinen eigenen Willen bekunden. Und entsprechend schwer ist nachzuhalten, wie freiwillig ihr Tod war. Beim Prozessauftakt am Dienstag wird die ganze Tragik des Falls deutlich. Mit teils brüchiger Stimme schildert der Angeklagte die letzten Wochen, Tage und Stunden vor dem Freitod der Eltern. Einige Male muss die Sitzung aufgrund seines angeschlagenen Zustands unterbrochen werden. Der 60-Jährige befindet sich nach eigener Aussage in psychologischer Behandlung, war dreimal Patient der LWL-Klinik in Gütersloh. Er ist ledig, aus einer früheren Ehe, die bereits nach einem Jahr geschieden wurde, stammt eine Tochter. Zu Ex-Frau und Tochter hat er jedoch keinen Kontakt mehr. Vor dem Tod der Eltern hat er dort viel geholfen, eingekauft, sich um den Garten gekümmert. &bdquo;Jetzt lebe ich in den Tag hinein. Es ist nur noch ein Dahinvegetieren“, sagt er mit stockender Stimme. Angeklagter aus Werther wollte Eltern vor dem Heim bewahren Wie aus der Anklageschrift zu entnehmen ist und wie der Angeklagte bestätigt, lebten die Eltern bis zuletzt im eigenen Haus in Versmold-Bockhorst. Es soll eine glückliche Ehe gewesen sein, beide waren 65 Jahre verheiratet. Der Vater war für sein Alter noch sehr fit, der Gesundheitszustand der Mutter hingegen wurde zunehmend fragiler. Dazu litt sie an Schmerzen und einer Altersdepression, nahm deshalb starke Medikamente. Bei einem Sturz im Oktober 2023 brach sich die Mutter den Oberschenkelhals. Nach der OP kam sie erst in eine Reha nach Harsewinkel und dann in eine Kurzzeitpflege in ein Pflegeheim nach Halle. Doch genau dies, einen Heimaufenthalt, hätten weder seine Mutter noch sein Vater je gewollt, schildert der Angeklagte: &bdquo;Meine Eltern wollten nicht ins Heim.“ Wie ein Wunder: Haller war innerhalb von fünf Tagen drei Mal klinisch tot Das sagt der Wertheraner in der Verhandlung viele Male. Und dass die Eltern schon Jahre vor ihrem Freitod davon gesprochen hätten, dass sie gemeinsam aus dem Leben scheiden und nicht einen von ihnen zurücklassen wollten. &bdquo;Und sie wollten zu Hause sterben.“ Wertheraner hilft den Eltern, lebt vom Ersparten Als die Mutter Anfang Dezember aus der Kurzzeitpflege wieder nach Hause kommt, übernimmt der Vater den größten Teil der Pflege seiner Frau. Der Angeklagte fährt fast täglich aus Werther nach Bockhorst, um zu kochen und den Vater zu unterstützen. Seit 2020 kann er aufgrund seiner psychischen Erkrankung nicht mehr arbeiten. Vorher war er lange Jahre bei der Firma Stockmeyer in Füchtorf in der Produktion tätig. Aktuell lebt er von seinem Ersparten, berichtet er, ein eigenes Einkommen habe er nicht. Anders als der Sohn sieht die Tochter, die in der Wohnung über den Eltern lebt, den Vater und die Mutter nicht täglich. Das Verhältnis war offenkundig schwierig, wie ihren eigenen und den Schilderungen ihres Bruders zu entnehmen ist. Weil Vater und Sohn die Pflege der Mutter, die im Rollstuhl sitzt und eine zunehmende Demenz entwickelt, nicht mehr vollständig leisten können, unterstützt ab Mitte Januar 2024 ein Pflegedienst. In dieser Zeit muss das Vorhaben des Vaters, gemeinsam mit seiner Frau aus dem Leben zu scheiden, konkretere Formen angenommen haben. Sohn sucht im Internet nach Methoden für den Suizid Die Eltern hatten offenbar schon häufiger über das Thema gesprochen. Vor Jahren soll sich die Mutter bereits einmal fast das Leben genommen haben, mithilfe von Tabletten, die ihr der Ehemann gerade noch aus dem Mund nehmen konnte. In einem Abschiedsbrief schrieb die Frau: &bdquo;Ihr Lieben, ich kann nicht mehr, ich bin mit meiner Kraft am Ende.“ Tage vor dem 31. Januar baut die Mutter rapide ab, liegt zum Schluss dämmernd im Bett, ist nicht mehr ansprechbar. &bdquo;Manchmal dachte ich, sie wäre schon tot“, schildert ihr Sohn. Und er habe mit ansehen müssen, wie schlecht es dem eigenen Vater damit ging. &bdquo;Ich konnte verstehen, dass meine Eltern des Lebens müde waren.“ Die Vorgeschichte: Prozess gegen Sohn: Eltern beim Sterben geholfen? Auf Drängen des Vaters geht der Sohn im Internet auf die Suche, wie sich ein Freitod möglichst schmerzlos realisieren lässt. Und so stößt der Sohn auf die Methode von Helium. Browser-Protokolle, von der Polizei sichergestellt, dokumentieren dies. Eingeatmet soll es auch nach Aussage des Rechtsmediziners nahezu schmerzlos sein. &bdquo;Man schläft praktisch ein.“ Am 31. Januar setzen Vater und Sohn ihr Vorhaben in die Tat um. Danach bleibt der Sohn im Wohnzimmer zurück. Den Eltern beim Sterben zusehen kann er nicht. &bdquo;Das hätte ich nicht gepackt.“ Der Vater geht schließlich allein ins Schlafzimmer. Was dann genau passiert ist, lässt sich nur vermuten. Rechtsmediziner stellt keine Hinweise auf Gewalteinwirkung fest Erst um kurz vor 3 Uhr in der Nacht öffnet der Sohn die Tür, findet seine toten Eltern nebeneinander im Bett, mit einer Decke bis zum Gesicht zugedeckt. So zeigt es auch ein Foto, das die Polizei später aufnimmt. Der Sohn nimmt den beiden die Masken vom Gesicht und ruft den Rettungsdienst an. Der kann nur noch den Tod feststellen. Herausfordernd: Ehepaar pflegt behinderte Söhne seit 45 Jahren Rechtsmediziner Maximilian Hagen findet bei der späteren Obduktion der Leichen keinerlei Hinweise auf Gewalteinwirkung und stellt als Todesursache die Heliuminhalation fest. Schmerzen hätten die Eltern vermutlich keine gehabt, sie seien einfach eingeschlafen, schildert er dem Gericht. Der Vater war offenkundig auch so weitsichtig, dass er sicherstellen wollte, dass sein Sohn keine nachteiligen Konsequenzen aus dem Freitod der Eltern erleidet. Daher hat er noch am 31. Januar einen Abschiedsbrief geschrieben. Außerdem hat er von seinem Sohn ein Handyvideo anfertigen lassen, in dem er erklärt, der Freitod von ihm und seiner Frau sei im beiderseitigen Einvernehmen erfolgt. Schwester macht Eltern des Wertheraners Vorwürfe Dass es weder ein Video noch einen Brief seiner Mutter gibt, bedauert der Angeklagte: &bdquo;Wir hätten dies machen sollen, als es meiner Mutter noch besser ging. Jetzt ist das Kind in den Brunnen gefallen.“ Warum er seinen Eltern beim Freitod geholfen hat, beschreibt der Angeklagte so: &bdquo;Ich hatte die besten Eltern der Welt. Ich habe gesehen, wie sie gelitten haben, und wollte ihnen etwas von dem zurückgeben, was sie für mich getan haben.“ Gemeinsam von der Welt zu scheiden, sei ihr letzter Wunsch gewesen. Die Schwester des Angeklagten, die in der Verhandlung als Zeugin gehört wird, beschreibt, dass es &bdquo;ganz schlimm“ gewesen sei, von der Polizei über den Freitod der Eltern befragt worden zu sein. &bdquo;Unsere Eltern haben meinen Bruder dazu benutzt, ihnen zu helfen. Jeder kann mit seinem Leben machen, was er will – solange er keinen anderen damit reinzieht. Mein Bruder war meinen Eltern hörig – er hätte alles getan, was sie wollten.“ Der Prozess wird an diesem Donnerstag, 31. Juli, fortgesetzt. Aktuelle News bekommen Sie täglich über den WhatsApp-Kanal des HK

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