Nach Großbrand-Schock: 1875 treffen Wertheraner historische Entscheidung

Werther. Die Lage ist furchtbar. Der große Hof steht bis unters Dach in Flammen, ein Teil des Gebälks ist bereits eingebrochen. Ein einzelner Feuerwehrmann versucht noch, zu retten, was zu retten ist, doch es ist aussichtslos. Einsatzkräfte können nur noch zusehen, wie das stattliche Gebäude abbrennt. Am Ende bleiben nur die Grundmauern. Ein Foto zeigt die ganze Dramatik, die den Hof ereilt hat. Und selbst nachdem vor 150 Jahren die Feuerwehr gegründet ist, passieren große Brände. &bdquo;Jedes Haus und fast jeder Handwerksbetrieb hatte eine offene Feuerstelle“, schildern Rainer Ermshaus und Jürgen Blomeier. Der Löschzugführer und der Pressesprecher nehmen das &bdquo;Haller Kreisblatt“ mit in die wechselvolle Geschichte einer Institution, der Werther viel zu verdanken hat. &bdquo;Natürlich war das Löschen von Bränden auch früher schon ein großes Thema“, erzählen sie. Alle Hausbesitzer seien verpflichtet gewesen, Eimer, Küben und Werkzeuge für den Notfall bereit zu halten. Und zu helfen, wenn Not am Mann war. &bdquo;Aber was konnten sie ausrichten, wenn sie nur Eimer zur Verfügung hatten, die Spritze mit einem Pferdefuhrwerk herbeigeschafft werden musste und es Feuerwehrautos noch gar nicht gab?“ Ein Großbrand in Werther erschüttert die Grundfeste der Menschen Immerhin gibt es ein Spritzenhaus. Anfangs steht es neben der Kirche, 1809 wird es an der Bielefelder Straße errichtet. Den Schlüssel verwahrt der Polizeidiener. Dann, es ist das Jahr 1864, ereignet sich ein Großbrand, der die Grundfeste der Menschen erschüttert – und den Grundstein für die künftige Feuerwehr legt. Es ist so schlimm, &bdquo;alles rennet, rettet, flüchtet“, erinnert sich Leopold Brandes, damals noch ein &bdquo;junger Bursche“ und später erster Hauptmann der neu gegründeten Feuerwehr. Die ganze Stadt ist in jener Nacht auf den Beinen, sogar die Jacobi-Kirche droht, Opfer der Flammen zu werden. Wo das Feuer ausbrach, hat nie jemand herausgefunden. Drei Häuser brennen bis auf die Grundmauern nieder, &bdquo;wir haben noch lange über dieses große Unglück gesprochen“, schreibt Brandes später. Löschwasser liefert der Schwarzbach. &bdquo;Aber die in einer langen Menschenkette herbeigereichten Eimer sind oft schon halb leer, weil einige besonders Wohlmeinende zu schnell machen und Wasser verschütten“, erinnert sich Brandes. Nach dem Großbrand steckt der Schreck allen Wertheranern in den Knochen Die Kirche bleibt stehen – doch der Gemeinde steckt der Schrecken in den Knochen. &bdquo;Alle haben gesehen, dass wir auf solche Ereignisse nicht vorbereitet sind“, schreibt Brandes. &bdquo;Viele liefen aufgeregt herum, ergötzten sich am Spektakel, ohne etwas zu tun, und die Spritzenmannschaft führte sich ein wenig unbeholfen auf.“ Der Entschluss ist gefasst: Werther soll eine Freiwillige Feuerwehr bekommen. Am 1. Mai 1875 schließen sich 18 Männer unter Brandes’ Leitung zur Wertheraner Feuerwehr zusammen – der ersten in der ganzen Region. Das Gründungsprotokoll ist bis heute erhalten. Zu tun gibt es für den Löschzug genug. &bdquo;Meist ging es mehr darum, das Übergreifen der Flammen auf die Nachbargebäude zu verhindern, als den eigentlichen Brand zu löschen.“ Rainer Ermshaus erklärt: &bdquo;Das Werther von 1875 war viel kleiner als heute. Aber die etwa 100 Häuser mit ihren 1.000 Bewohnern standen dicht beieinander.“ Besser der Wehr dienen als sich beim Kartenspiel herumtreiben Die junge Wehr ist rege. Zweimal monatlich trifft man sich zum Dienst, vierteljährlich wird eine Materialprüfung vorgenommen. Übungen finden meist an Sonntagabenden statt. &bdquo;Für die jüngeren Kerls ein besserer Zeitvertreib, als sich bei Trunk und Kartenspiel herumzutreiben“, fasst es Brandes zusammen. Ende des 19. Jahrhunderts gibt es die ersten Schutzjacken, eine Zeit lang hat der Löschzug sogar einen eigenen Musikzug. Der wird in den 1890er Jahren eigentlich gegründet, um Hornisten und Trommler für die Alarmierung heranzuziehen. Um 1900 gehören der Feuerwehr zwischen 30 und 50 Mitglieder an, im Ersten und später im Zweiten Weltkrieg gehen die Zahlen dramatisch zurück – die Männer müssen an die Front. 1924 wird die erste mechanische Leiter angeschafft, vier Jahre darauf die erste Motorspritze. 1925 feiert Werther das 50-jährige Jubiläum mit 2.000 Kameraden aus dem gesamten Bezirk. Im Zweiten Weltkrieg sind Werthers Feuerwehrwagen grün Im selben Jahrzehnt wird die Wehr der Stadtverwaltung unterstellt und der Fuhrpark aufgerüstet – der nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten polizeigrün lackiert werden muss, da die Feuerwehr von da an der Ortspolizei unterstellt ist. Als ab 1939 immer mehr Mitglieder zum Kriegsdienst eingezogen werden, helfen ältere Kameraden sowie Jungen und Mädchen aus. Ebenfalls zum Thema: Brandstiftung in Werther hat Folgen für jugendliche Täter Anfang der 1960er Jahre hat der Löschzug sogar mal eine eigene Fußballmannschaft. Drei Spiele soll es gegeben haben, eins gegen eine Bundeswehrmannschaft, zwei gegen die Kameraden aus Oesterweg. Spielstand: torlos. 1967 wird das lang ersehnte Gerätehaus an der Blumenstraße eingeweiht, 1978 werden Rettungsschere und Spreitzer angeschafft, die ersten im Altkreis Halle. Denn es passieren immer mehr Verkehrsunfälle, bei denen eingeklemmte Personen aus den Fahrzeugen befreit werden müssen. Zwei Menschen starben beim Brand in einer Wertheraner Gaststätte Das 100-jährige Bestehen 1975 wird groß gefeiert, mit dabei auch die Jugendfeuerwehr, die ein Jahr zuvor gegründet worden ist. Am letzten Tag des Festes muss das Zelt wegen Überfüllung geschlossen werden. Drei Jahre später gibt es bei einem Einsatz zum ersten Mal Menschenleben zu beklagen: Beim Brand in der Gaststätte Paar an der Bielefelder Straße sind zwei Personen nicht mehr zu retten. Ebenfalls 1978 kommt es zu einem der größten Brände, die Werther je gesehen hat: Das Weco-Werk steht in Flammen. &bdquo;Giftgas trieb die Leute aus den Häusern – über fünf Millionen D-Mark Sachschaden“ titelte das &bdquo;Haller Kreisblatt“ damals. Werthers Feuerwehrfrauen wimmeln neugierige Anrufer ab Im Jahr 2000 feiert der Löschzug sein 125-jähriges Bestehen – mit den ersten Frauen, die ab dieser Zeit im aktiven Dienst tätig sind. Was anfangs wohl &bdquo;einige Unruhe“ ausgelöst haben soll, heißt es in einer früheren Chronik. Hinter den Kulissen sind Frauen allerdings immer schon im Einsatz. So werden bis Mitte der 1970er Jahre Notrufe über die 112 von bestimmten Feuerwehrmännern oder eben deren Ehefrauen zu Hause entgegengenommen. Dann heißt es für sie: Sirene auslösen, sich um die Kinder kümmern – und Anrufe neugieriger Bürger abwimmeln, wo es wohl brennen würde. Jetzt sind Ermshaus und Blomeier an der Reihe. Was war für sie der schlimmste – oder lustigste – Einsatz? Mehrere Tage sucht Werther nach einem Papagei &bdquo;Für mich vor rund drei Jahren die Suche nach einem Papagei“, erzählt Rainer Ermshaus. &bdquo;Draußen waren es minus zehn Grad, der Vogel war entflogen und am Friedhof gesehen worden. Mehrere Tage haben wir dem Tier nachgestellt und versucht, es mit einem Netz zu fangen und in einen Käfig zu locken. Nach der zweiten Frostnacht dachten wir, der Papagei würde am nächsten Morgen mit den Krallen nach oben vom Baum hängen. Stattdessen ist er wohlbehalten nach Hause geflogen.“ Lesen Sie auch: Warum diese Feuerwehr-Garage in Werther fast 90.000 Euro gekostet hat Jürgen Blomeier erinnert sich an zwei ernste Vorfälle: &bdquo;Ein Verkehrsunfall in den 1990er Jahren auf der Bielefelder Straße. Die Feuerwehr sollte eigentlich nur die Unfallstelle ausleuchten. Als wir ankamen, sahen wir, dass ein Wertheraner mit seinem Motorrad mit hoher Geschwindigkeit in einen Pkw gefahren war. Kurze Zeit später kamen die Angehörigen zur Unfallstelle. Ich kann die Mutter noch schreien hören. Es war schrecklich. Ihr Sohn muss auf der Stelle tot gewesen sein.“ Als Kind habe er außerdem den Weco-Brand von 1978 miterlebt. &bdquo;Wir wohnten nicht weit entfernt, man hörte die ganze Nacht das Knallen. Und ich darf es gar nicht sagen: Aber beim Sonntagsspaziergang sind meine Eltern und ich zur Brandruine gelaufen. Ich fand das total aufregend.“ Der Löschzug Werther plant Mitte Mai große Feierlichkeiten Heute zählen 70 Aktive zum Wertheraner Löschzug, dessen Mitglieder viel Zeit investieren, um zu retten, zu löschen, zu bergen und zu schützen. Ein Ehrenamt, so lebenswichtig wie kaum ein anderes. Mitte Mai will der Löschzug sein Jubiläum groß feiern. Der offizielle Festakt mit geladenen Gästen ist für den 16. Mai geplant, am 18. Mai findet dann rund um das neue Gerätehaus an der Blumenstraße ein Tag der Feuerwehr statt, mit Vorführungen, Aktionen für Jung und Alt, Speis, Trank und vielem mehr. 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