
Werther. Wie vielen Menschen Bianca Michler schon beim Sterben die Hand gehalten hat, kann sie gar nicht sagen. In 24 Jahren als Fachkrankenschwester auf der Intensivstation des Evangelischen Klinikums Bethel (EvKB) und in zehn Jahren als Teil des Palliativnetzes Bielefeld, für das sie unzählige Nachtwachen an den Betten Sterbender im häuslichen Bereich absolviert hat, ist der Tod für sie zwar nichts Ungewöhnliches, aber trotzdem keine Routine.
Es waren bestimmt mehrere Hundert Menschen, denen sie in den letzten Stunden oder Minuten ihres Lebens versucht hat, den Übergang wenigstens ein bisschen zu erleichtern, schätzt sie. Besonders erinnert sie sich an einen 19-jährigen Jungen. Nach einem Motorradunfall kam er auf die Intensivstation. Er hatte keine Papiere bei sich und niemand wusste, wer er war. „Aber es war klar, dass er sterben würde“, sagt Bianca Michler.
„Ich habe mir vorgestellt, was ich mir wünschen würde, wenn es mein Sohn wäre, der da liegt, habe mich zu ihm gesetzt und ihm die Hand gehalten, bis er gestorben ist.“ Dableiben und aushalten - das ist das Wichtigste bei der Begleitung Sterbender. Und das vermittelt Bianca Michler im Tandem mit Monika Riepe von der Hospizgruppe Werther an diesem Vormittag auch den Teilnehmern und Teilnehmerinnen des Letzte-Hilfe-Kurses, der in Haus Werther stattfindet.
Persönliche Motivation und professionelles Interesse
16 Männer und Frauen sind gekommen. Einige, weil sie selbst in absehbarer Zeit enge Familiengehörige beim Sterben begleiten werden. Andere, weil sie als Ehrenamtliche der Hospizgruppe ihr Hintergrundwissen erweitern möchten. Und wieder andere, weil sie irgendwo spüren, dass das Thema Tod eine Bedeutung für sie hat und sie sich mehr damit beschäftigen möchten.
So wie Heinz-Otto Wehmeyer. Als Mitglied der Wertheraner Hospizgruppe ist er zwar auch aus professionellem Interesse da, doch auch aus persönlichen Gründen beschäftigt ihn das Thema. Vor vielen Jahren habe er mal jemanden aus seinem Umfeld beim Sterben begleitet - und auch danach. „Ich war auch dabei, wie er vom Sterbelager umgebettet wurde in den Leichensack und habe auch später seine Wohnung ausgeräumt.“
Bis heute beschäftigt ihn dieses Erlebnis. „Das ganze Prozedere, das war einfach zu dicht dran“, sagt er. Er habe danach viel darüber geredet. „Das hilft“, sagt er. Beim Letzte-Hilfe-Kurs ist er dankbar für die Informationen und Einblicke, die er von den beiden Profis in Sachen Sterbebegleitung erhält.
Einfache Hilfsmittel zur Linderung des Leidens
Wie man das Leiden der Sterbenden lindern kann, das sei für die Kursteilnehmer immer am wichtigsten, sagt Bianca Michler. Dafür muss man kein medizinisches Fachwissen haben. Ein paar ganz einfache Hilfsmittel genügen schon. „Für Sterbende spielen Essen und Trinken keine große Rolle mehr“, sagt Bianca Michler.
Denn im Sterbeprozess stellen die Nieren zuerst die Arbeit ein und der Körper kann keinen Urin mehr ausscheiden. „Durch das Austrocknen in der letzten Lebensphase werden Glückshormone freigesetzt, die zur Schmerzreduktion dienen“, erklärt Bianca Michler.
Und auch Essen ist nicht mehr nötig. „Man sagt nicht umsonst, Essen hält Leib und Seele zusammen“, sagt die Palliativexpertin. „Und wir wollen dem Menschen ja die Möglichkeit geben, dass die Seele sich vom Körper löst. Zum Sterben braucht man keine Kalorien oder Körperfunktionen.“
Individuelle Bedürfnisse im Sterbeprozess
Aber der Geschmackssinn bleibt lange erhalten. Viele Menschen, die beim Sterbeprozess noch geistig anwesend sind, haben zwar keinen Hunger, aber Sehnsucht nach einem bestimmten Geschmack. „Ältere Männer verlangen zum Beispiel besonders oft nach Cola“, weiß Bianca Michler aus der Praxis. Ob Cola, Wein oder Erdbeeren - alles ist möglich, wenn man weiß wie.
Getränke kann man in einer Toffifee-Verpackung in kleinen Portionen einfrieren und den Patienten zum Lutschen geben. „Die Portionen müssen allerdings so klein sein, dass man sich nicht daran verschlucken kann“, sagt Bianca Michler. Das Gleiche gilt für Lebensmittel. „Die kann man pürieren und dann ebenfalls in Mini-Portionen einfrieren.“
Grundsätzlich gilt: Alles, was der oder die Sterbende als angenehm empfindet, ist gut. „Der Sterbende ist der Experte, nicht ich am Bett“, sagt Bianca Michler, die aktuell in der Familialen Pflege des EvKB arbeitet. Aromaöle, Handmassagen und natürlich die Befeuchtung der Lippen oder des Mundes mittels Wattestäbchen, schaffen ein angenehmes Gefühl. Wenn derjenige den Mund nicht öffnen möchte, könn man es auch mit einem Waschlappen versuchen, an dem man saugen kann. „Da schließt sich der Zyklus zwischen Geburt und Tod“, sagt Bianca Michler.
Empathie und Handlungsbereitschaft in der Sterbebegleitung
Um das Gefühl der Atemnot zu erleichtern, die oft nur subjektiv empfunden wird, empfiehlt die erfahrene Krankenschwester einen kleinen Handventilator. Und noch etwas Ungewöhnliches: „Den Blick in die Weite zu richten, hilft auch. Da reicht schon ein Bild mit einer Landschaft oder eine Fototapete.“
Aber egal, welche Erleichterungen Angehörige ihren Lieben verschaffen, eines gilt immer: „Man kann bei der letzten Hilfe nichts falsch machen, außer man macht gar nichts“, sagt Hospizgruppen-Koordinatorin Monika Riepe. Deshalb will sie mit dem Kurs medizinische Laien ermutigen, damit mehr Menschen in Würde zu Hause sterben können.
„Zuwenden, aktiv werden, hingehen und dann schauen, was ich tun kann“, das sei immer der Anfang. Und wenn es am Ende nur ist, die Hand zu halten und gemeinsam zu schweigen. „Sie müssen nicht perfekt sein“, sagt Bianca Michler am Ende zu den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Kurses. „Sie versuchen, Ihrem Angehörigen den Wunsch zu erfüllen, zu Hause zu sterben - und das ist grandios.“