Tipps für Weihnachten mit Demenzerkrankten: So vermeiden Familien Streit

Bielefeld. Weihnachten ist ein Familienfest, darin sind sich die meisten einig. Diese besondere Zeit ist jedoch auch mit hohen Erwartungen verbunden, und so kann der Wunsch nach dem perfekten Weihnachtsfest für Stress sorgen. Das gilt besonders für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen. Während sich Demenzerkrankte schnell von vielen Menschen, Lärm und Trubel überfordert fühlen, ist die Enttäuschung bei Kindern und Enkeln groß, wenn die Feiertage nicht so ablaufen wie erhofft. Das führt immer wieder zu Ärger unter dem Weihnachtsbaum. Das muss jedoch nicht sein, sagt Bianca Michler von der familialen Pflege des evangelischen Klinikums Bethel. Die Pflegeexpertin gibt Tipps, wie das Weihnachtsfest trotz der Herausforderung Demenz harmonisch werden kann. Warum kommt es zu Problemen? Demenz ist nach Angaben Michlers ein neurologisches Krankheitsbild, das durch den fortschreitenden Verlauf kognitiver Fähigkeiten gekennzeichnet ist. Zu Beginn seien häufig die Merkfähigkeit und das Kurzzeitgedächtnis gestört, und im weiteren Verlauf verschwinden auch Inhalte des Langzeitgedächtnisses. &bdquo;Wenn man sich jedes Lebensjahr als Buch in einem Regal vorstellt, kippen bei Demenzerkrankten nach und nach die Bücher aus dem Regal. Das führt bei Betroffenen dazu, dass oft nur noch Erinnerungen aus der Kindheit übrig bleiben“, erklärt Michler. &bdquo;Menschen mit Demenz verlieren so mehr und mehr die während ihres Lebens erworbenen Erinnerungen und Fähigkeiten.“ Für Betroffene seien deshalb Routinen wichtig, sagt Michler. &bdquo;Die Tage sollten immer gleich strukturiert sein. Immer zur gleichen Uhrzeit aufstehen, die Mahlzeiten einnehmen und ins Bett gehen.“ Das sorge für Sicherheit. &bdquo;Sicherheit bietet auch die gewohnte Umgebung, ob im eigenen Zuhause oder im Pflegeheim.“ Trubel, Lärm und viele Menschen, der typische Dreiklang an Weihnachten, führen nach Angaben der Pflegeexpertin deshalb bei Demenzerkrankten schnell zu einer Überforderung. &bdquo;Darauf reagieren Betroffene mit Stille, sie beteiligen sich nicht mehr an Gesprächen und möchten zurück nach Hause. Andere reagieren gereizt und suchen Streit. Und oft kommt es vor, dass sich Betroffene einnässen, weil sie sich in anderen Häusern nicht mehr zurechtfinden“, erklärt Michler. &bdquo;Auf der anderen Seite sorgen diese Reaktionen bei den Angehörigen, die ein perfektes Weihnachtsfest für die Oma organisieren wollten, zu Unverständnis, Enttäuschung und Wut.“ Die Folge: Das Weihnachtsfest eskaliert. Wie sollten sich Angehörige verhalten? &bdquo;Angehörige von Demenzerkrankten müssen sich klarmachen, dass sie Betroffene nicht mehr mit Logik erreichen, sondern nur über Gefühle“, erklärt Michler. &bdquo;Wenn der erkrankte Vater fälschlicherweise behauptet, dass sein Portemonnaie von seiner Tochter gestohlen wurde, hilft es nicht, wenn die Tochter ihm erklärt, dass das nicht stimmt, und sauer wird, wenn er das nicht glaubt.“ Michler rät dazu, dass Angehörige in solchen Fällen Verständnis zeigen, erklären, dass das Portemonnaie verlegt wurde und es dann gemeinsam suchen. &bdquo;Demenzerkrankte erleben ständig Zurechtweisungen und Misserfolge, wenn sie darauf aufmerksam gemacht werden, dass sie doch wissen müssen, wo das Portemonnaie liegt, wie die Enkelin heißt oder wo die Toilette ist“, sagt Michler. &bdquo;Da sie an Demenz erkrankt sind, vergessen sie solche vermeintlichen Selbstverständlichkeiten aber und können daran auch nichts ändern.“ Angehörigen rät Michler deshalb dazu, sich immer in die Erkrankten hineinzuversetzen und sich zu fragen, auf welchem Stand sie gerade sind. &bdquo;Wenn sich Menschen nur noch an ihre Kindheit erinnern können, dann vergessen sie, dass sie verheiratet sind, Kinder und Enkel haben, oder verwechseln ihren Sohn mit ihrem Vater, weil sie sich so ähnlich sehen.“ An den aktuellen Erinnerungsstand können Angehörige anknüpfen. Wichtig sei dabei zudem, dass sich Angehörige zurücknähmen, rät Michler. &bdquo;Wenn Demenzerkrankte ihre Kinder nicht erkennen oder negativ auf den Trubel um den Weihnachtsbaum reagieren, ist das keine böse Absicht, sondern die Folge der Erkrankung.“ Auch die hohen Erwartungen, die Angehörige an ein perfektes Weihnachtsfest oder runden Geburtstag haben, sollten sie laut Michler reduzieren. &bdquo;Auch wenn man es gut meint – diese Überforderung kann schnell dazu führen, dass Betroffene danach völlig durch den Wind sind und schlimmstenfalls ins Krankenhaus eingewiesen werden.“ Wie kann Weihnachten harmonisch laufen? Um Demenzerkrankten gerecht zu werden, rät Michler Familien zu kleinen Runden an Feiertagen, Geburtstagen oder Festen. &bdquo;Angehörige hören das nicht gerne, aber je kleiner die Runde, desto besser.“ Das sei kein Abschieben, sondern Rücksichtnahme, sagt Michler. Die Pflegeexpertin rät dazu, Demenzerkrankte zu besuchen, damit sie in ihrer sicheren Umgebung bleiben können. &bdquo;Zeit mit vier oder weniger Familienmitgliedern, die mit Kaffee und Kuchen vorbeikommen, an einem Tisch sitzen und sich dann langsam und verständlich unterhalten, können Demenzerkrankte genießen und überfordern sie nicht.“ Mit alten Fotoalben oder bekannten Liedern und Spielen könne man die gemeinsame Zeit ergänzen. &bdquo;Oft kennen Demenzerkrankte trotz ihrer Einschränkungen noch alte Liedtexte oder die Regeln von Mensch ärgere dich nicht. So können Angehörige Betroffene über die Gefühlsebene erreichen.“ Die lasse sich auch über bekannte Gerüche ansprechen, sagt Michler. &bdquo;Beim Essen würde ich nicht experimentieren, sondern das anbieten, was Oma noch von früher kennt.“ Wer demenzerkrankte Angehörige zu sich einladen möchte, sollte nach Angaben Michlers unbedingt darauf achten, Betroffene nicht zu überfordern. &bdquo;Auf keinen Fall sollte eine Familie die Oma jeden Tag von einem anderen Familienmitglied abholen lassen und den ganzen Tag Programm planen. Ein bis zwei Stunden in kleiner Runde zum Kaffee oder Abendessen reichen aus, damit der Rest des Tagesablaufs beibehalten werden kann.“ Auch beim Schenken rät Michler zu &bdquo;weniger ist mehr“. &bdquo;Ein Geschenk pro Treffen reicht aus, und am besten ist, wenn man Zeit verschenkt. Große Familien könnten der Oma Besuche für jeden Sonntag im Jahr schenken, dann aber in kleinen Gruppen. Das ist sehr wertvolle gemeinsame Zeit.“ Für Demenzerkrankte seien große Familientreffen eine Tortur. &bdquo;Auch wenn Oma das große, trubelige Weihnachtsfest früher selbst organisiert und geliebt hat, kann das heute fatal enden.“ Familien, die weit entfernt voneinander leben, laden Angehörige auch gerne über Nacht ein. Bei Demenzerkrankten sei dafür jedoch viel Vorbereitung nötig, warnt Michler. &bdquo;Nötig ist ein Raum als Rückzugsort zum Schlafen und für Pausen am Tag, am besten mit der eigenen Bettdecke oder anderen bekannten Gegenständen.“ Das Badezimmer sollte immer beleuchtet und die Tür geöffnet sein. &bdquo;Am besten hängt man ein Schild an die Tür mit dem Symbol einer Toilette. Und wenn sich die Tür von innen verschließen lässt, sollte man eine Lösung zum Öffnen von außen parat haben.“ Gibt es Hilfe für den Umgang mit Demenzerkrankten? Das Team der familialen Pflege des evangelischen Klinikums Bethel bietet Angehörigen von Demenzerkrankten und anderen pflegebedürftigen Menschen Hilfe und praktische Tipps in Workshops und Kursen an. Weitere Informationen finden Sie hier auf der Webseite des Klinikums. Zudem bieten die Stadt Bielefeld sowie die Kreise in OWL Hilfsangebote über die Pflegestützpunkte an. Bielefeld: Telefon: 0521/513499 oder Online Kreis Minden-Lübbecke: Telefon: 0571/80722807 oder Online Kreis Gütersloh: Telefon: 05241/850 oder Online Kreis Paderborn: Telefon: 05251/308 5077 oder Online Kreis Höxter: Telefon: 05271/9653130 oder Online Kreis Herford: Online Kreis Lippe: Online Die Deutsche Alzheimer-Gesellschaft engagiert sich ebenfalls in der Unterstützung von Angehörigen. Informationen dazu gibt es online oder unter der Hotline 030 259379514.

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