Eine Insel, ein See, ein Gutssitz: Die vergessenen Orte von Werther

Werther. Manchmal fällt es schwer, zu glauben, was Hartmut Derr in Werther schon alles gefunden hat. Wer würde glauben, dass man früher mitten im Ortskern Boot fahren konnte, dass der Bereich des ZOBs mal eine Insel gewesen sein soll oder dass es in der Böckstiegelstadt eine Gutsanlage gab, neben der das Haus Werther geradezu unscheinbar wirkte. Gleichzeitig vermag der Lehrer &bdquo;im Unruhestand“ die historischen Zahlen und Daten mit emotionalen Geschichten zum Leben zu erwecken. Für das &bdquo;Haller Kreisblatt“ hat der 73-Jährige einige der schönsten seiner &bdquo;Lost Places“ herausgekramt. Der Niedergang des Hauses Meinders Hartmut Derrs eigene Suche nach verschwundenen Orten begann mit einem Buch, in dem die &bdquo;Domäne Deppendorf“ erwähnt wurde. &bdquo;Ich fand gleich, das klingt verheißungsvoll“, erinnert sich der 73-Jährige. Wie er nun weiß, gab es am Rande Deppendorfs einst ein &bdquo;riesiges Gut, noch repräsentativer als das Haus Werther. Eine wunderschöne Anlage“. Das Gut verfügte über ein großes, mehrstöckiges Herrenhaus mit Anbauten, das von einer Gräfte umgeben war. Drumherum erstreckten sich die Anlagen. Sogar einen Lustgarten soll es gegeben haben. Die &bdquo;Domäne“ lag nahe der heutigen Freiwilligen Feuerwehr in Deppendorf, das mittlerweile zu Bielefeld gehört. &bdquo;Heute stehen nur noch zwei Gebäude, die Zehntscheune und die Wassermühle“, berichtet der Heimathistoriker. In der Zehntscheune wurden die Pflichtabgaben der Bauern, die &bdquo;Zehnten“, gelagert. Die dortige Wassermühle (nicht zu verwechseln mit der Deppendorfer Mühle an der Schloßstraße) sei auch der Grund gewesen, warum das Gut verschwunden sei. &bdquo;Sie war der Auslöser eines großen Streits“, weiß Derr zu berichten. Der Bau der Mühle habe zum Streit der Gutsherrenfamilie Meinders mit den Eigentümern des Hauses Werther, der Familie von Hatzfeld, geführt. &bdquo;Die von Hatzfelds hatten Sorgen, dass ihnen die Bauern abwandern würden“, erklärt der Pädagoge. Es sei vor Gericht gegangen, über lange Jahre gestritten worden. Schließlich habe Friedrich-Wilhelm I., der berühmte preußische Soldatenkönig, die Familie Meinders 1725 enteignet und vertrieben. Offenbar fielen sie politischen Abwägungen zum Opfer. Der Dauerstreit habe sein Übriges getan, die Domäne zum Ärgernis werden zu lassen, glaubt Derr. Einige Jahrzehnte später seien dann das Land aufgeteilt und die Gutshäuser abgebrochen worden. &bdquo;Es sind vermutlich einige Gebäude in Deppendorf mit dem Material der Domäne gebaut worden“, vermutet der langjährige Mathematiklehrer. Was Werther mit Venedig gemein hat Für ältere Wertheraner ist es kein Geheimnis: Dort wo heute die Grundschule neben dem Rathaus steht, lag früher ein großer Teich, ein kleiner See. Grund für den künstlichen Wasserspeicher war die Mühle Hokamp. Das Gebäude steht noch heute als unscheinbares Wohnhaus gegenüber dem Rathaus an der Mühlenstraße. Direkt am Haus lag der Mühlteich, an dem über viele Jahre Mehl gemahlen wurde. Gespeist wurde er von der kleinen Quelle, die noch heute den kleinen Dorfteich am Leben hält. Die Mühle gehörte der Adelsfamilie von Hatzfeld, bis sie Müller Hokamp übernahm. &bdquo;Der Teich war so groß, dass dort auch Boote fuhren“, weiß Derr zu berichten. &bdquo;Dort hatten sie wohl auch eine Badeanstalt mit Kurzellen. Und im Winter wurde Schlittschuh gelaufen. Daran erinnern sich manche Alten noch.“ 1957 ist der Teich schließlich abgelassen worden, nachdem die Mühle nicht mehr genutzt wurde, und die Volksschule wurde errichtet. Am Standort des Teiches weist noch heute eine Stele auf das Gewässer hin. &bdquo;Wegen des feuchten Untergrunds ist die Schule übrigens auf Pfählen gebaut worden, wie die Gebäude in Venedig“, sagt Hartmut Derr. Schon immer habe er herausfinden wollen, wie viele Pfähle dafür nötig waren. Was Werther mit Berlin gemein hat &bdquo;Übrigens war Werther auch einmal geteilte Stadt“, fällt dem Lokalhistoriker da noch ein. &bdquo;Wir haben also auch einen Touch von Berlin.“ Ab 1807 herrschte Jerome Bonaparte, der jüngste Bruder vom französischen Kaiser Napoleon, über das Königreich Westphalen. &bdquo;Aber Bruder Jerome war wohl ziemlich unfähig“, polemisiert Hartmut Derr. Napoleon habe ihm deshalb bald wieder einige Teile seines Königreiches weggenommen und dem französischen Kaiserreich zugeschlagen - wirtschaftspolitische Erwägungen spielten wohl auch eine Rolle. &bdquo;Von da an lief die Grenze mitten durch Werther, am Schwarzbach entlang“, weiß der 73-Jährige. Von 1811 an seien sogar französische Zolbeamte in Werther stationiert gewesen, um die Grenze zu kontrollieren. &bdquo;Es gab Zoll, Schmuggel und wilde Räuberpistolen.“ Wie der Heimatverein bereits erforschte, soll Salz ein beliebtes Schmuggelgut gewesen sein. Wer aber erwischt wurde, hatte gute Chancen, in einem französischen Gefängnis zu landen. Jemand habe ihn mal auf einen Grenzstein hingewiesen, der heut auf dem Gelände des Böckstiegelmuseums stehe. Ob der wirklich an dieser Grenze gewacht habe, sei heute nicht mehr zu erkennen: &bdquo;Aber es ist durchaus denkbar.“ Die Geschichte der geteilten Stadt Werther währte allerdings deutlich kürzer als die der Berliner Mauer. Sie endete mit dem Zusammenbruch des Königreichs Westphalen nach der Völkerschlacht von Leipzig im Jahre 1813. Die Insel am Busbahnhof Wo heute der Busbahnhof liegt, erstreckte sich bis zum 18. Jahrhundert eine Insel. Der vom Blotenberg kommende Schwarzbach teilte sich oberhalb des Bereiches und floss darunter wieder zusammen. Auf der Insel standen zwei Häuser, ein privates Wohnhaus und die Schmiede Tiede, ein Vorläufer des gleichnamigen Landmaschinenhändlers. &bdquo;Streng genommen war der Bereich also eine Insel“, erläutert Derr. &bdquo;Wer dort entlang wollte, musste zwei Mal durch das Wasser. Es gab lange keine Brücken“, hat sich der ehemalige Lehrer angelesen. Später habe man dann erst hölzerne und dann steinerne Brücken errichtet, um die Schmiede erreichbar zu machen. Allerdings sei der Insel-Bereich wohl einige Male überschwemmt worden. Hägers untergegangenes Schwimmbad Deutlich jünger ist die Geschichte von Hägers untergegangenem Schwimmbad. 1931 und ’32 soll das errichtet worden sein. Viele Anwohner hatten gemeinsam ein Becken in einem Tal des Mühlenbaches gegraben. Ein lokaler Bauer hatte das Land zur Verfügung gestellt. Anschließend wurde ein 50 Meter langes Becken gekachelt, die Namen vieler Engagierter wurden auf den Kacheln verewigt. Bevor die Anwohner ihr Freibad allerdings genießen können, wird der Lohn ihrer Arbeit von den Nationalsozialisten gestohlen. Die nutzen die Arbeit der Hägeraner für ihre eigene Propaganda. Trotzdem wird das große Bad samt Sprungtürmen und Umkleiden noch einige Jahre genutzt, bevor es ab den 1950er Jahren in Vergessenheit gerät. Noch heute erstreckt sich dort - nahe der Nähe der Straße Hägerfeld - ein See. Wer genau hinschaut, erkennt noch die Startblöcke. Mit Hartmut Derr auf Erkundungstour Mehrmals im Jahr ist der Pädagoge mit Neugierigen auf dem Fahrrad unterwegs, um seine &bdquo;Lost Places“ vor Ort zum Leben zu erwecken. Neben den genannten Fundstücken weiß er auch von den früheren Landwehren zu berichten, von blau-gefärbten Feldern, der besonderen Geschichte Langenheides und vielem mehr. Anmeldungen nimmt Sandra Wursthorn von der Stadt Werther unter Tel. 05203 70520 oder sandra.wursthorn@stadt-werther.de entgegen.

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