Die Entdeckung der Langsamkeit: Ein Wertheraner Antiquar und sein Kultbulli

Werther. Oldtimerfahrer sind über 60, reden ständig über Ventilspiel oder Lackpflege und verpesten mit ihren veralteten Chromschiffen die Landschaft. So in etwa das Klischee. Zumindest, was das Alter angeht, darf Fritz Bremer im Klub mitmachen. Davon abgesehen, ist er ein eher untypischer H-Kennzeichen-Nutzer. Beispielsweise fiel in mehr als 20 Folgen der "Blechgeschichten" im "Haller Kreisblatt" dieser Satz noch nie: "Ich habe ja keine Ahnung von Fahrzeugtechnik." Nicht nur diese ehrliche Unwissenheit macht den Wertheraner Bücherhändler zu einem Exot unter Oldtimerfahrern. Sein etwas verbraucht aussehendes Gefährt hebt sich ebenso ab. Bremers Liebe gilt dem Bulli. Genauer dem "VW Transporter Typ 3" - kurz T3. Der jüngere Bruder der legendären Hippie-Kutsche hat heute nicht nur in Deutschland denselben Kultstatus wie T1 und T2. Für Sondereditionen werden schon mal 20.- bis 30.000 Euro gefordert. "Vor allem Kinder reagieren darauf" Zu Zeiten, als die Transporter zigtausendfach von Handwerkern zuschanden gefahren wurden, undenkbar. Für den Wertheraner Buchhändler auch heute noch. "Ich brauche einfach was zum transportieren, für Bücher und Gartengeräte", sagt der gelernte Gärtner, der ein kleines Antiquariat betreibt. Und da kam ihm das ehemalige Postauto vor zehn Jahren natürlich genau recht. 2.500 Euro zahlte er damals. Dank der knallgelben Lackierung und der aufgeklebten Bremer-Stadtmusikanten eine wunderbare Werbung für sein Geschäft an der Schloßstraße. "Vor allem Kinder reagieren darauf", weiß Bremer mittlerweile. Aber natürlich ist er auch Fan. "Ich finde die Form einfach schön. Das sind die 80er Jahre: klare Linien, kein Schickimicki. Und: Es ist ein einfaches Auto!", sagt der 67-Jährige. "Einfach" kann dabei allerdings auch als romantische Verklärtheit verstanden werden. Denn "einfach" bedeutet nicht nur, keine elektrischen Fensterheber oder Bordcomputer. "Einfach" bedeutet auch: 57 PS und eine Reisegeschwindigkeit wie ein voll beladener Lkw. "Warum soll ich so eine alte Karre wegwerfen?" "Technik, die nicht notwendig ist, sollte man weglassen", das ist Bremers Meinung. Auch wenn er seinen Wagen nicht selbst reparieren könne, erkenne er die augenscheinlichen Schwächen des modernen Trends zu immer mehr Elektrik und Elektronik-Gimmicks. "Die sparsamen Motoren heutzutage werden doch durch mehr Leistung und schwerere Autos wieder aufgehoben", sagt er. Ein heutiger SUV sei teilweise größer, auf jeden Fall aber schwerer, als sein 35 Jahre alter Transporter. "Mein Verbrauch liegt zwischen 6,5 und 7 Litern." Es sei doch paradox, dass heutige Autos nicht wirklich sparsamer seien. "Für mich sind SUVs sowieso die Steingärten der Automobilbranche", sagt der überzeugte Linke, der mit seiner Ökogesinnung nicht hinterm Berg hält. Er findet, Oldtimerfahren kann durchaus ökologisch sein. "Warum soll ich alter Sack so eine alte Karre wegwerfen und mir für die paar Jahre, die ich noch fahre, ein E-Auto kaufen?" "Bin für das Tempolimit von 130" Bedenkt man die Unmengen CO2 und Schadstoffen, die die Produktion eines neuen Autos verursacht, sicherlich eine vertretbare Position. Experten gehen davon aus, dass die Herstellung eines Pkw je nach Größe deutlich mehr als zehn Tonnen CO2-Emissionen verursacht. Dafür kann ein existierender Pkw noch viele Jahre auf den Straßen unterwegs sein. "Ich bin auf jeden Fall für das Tempolimit von 130, selbst wenn ich das mit meinem Auto gar nicht schaffe." Fritz Bremers Oldi ist ein Beispiel dafür, dass manche Autos mehr sind, als pragmatisches Fortbewegungsmittel oder teure Protzobjekte. Der 67-Jährige würde sicher bejahen, dass es seine Lebensqualität erhöht, im Bulli zu sitzen und durch Werther zu fahren, um eine Ladung Bücher abzuholen. Noch lieber nutzt er ihn allerdings, um mal ganz aus dem Altkreis Halle rauszukommen. "Was ich wirklich klasse finde, ist: Scheibe runter, WDR 4 an - und dann die Entdeckung der Langsamkeit. Urlaub in Holland, ganz relaxed." In loser Folge stellen wir Ihnen spannende Autos, interessante Menschen und die Geschichten vor, die sie verbinden. Egal ob Trabant oder Lamborghini, Baujahr 1922 oder 2022: Wenn Sie ein außergewöhnliches Fahrzeug Ihr Eigen nennen, freuen wir uns über eine E-Mail an jonas.damme@haller-kreisblatt.de. Mehr Blechgeschichten finden Sie hier.

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