Versmolder Unternehmen steuert seit 100 Jahren durch Höhen und Tiefen

Versmold. Auf dem Besprechungstisch an der Speckstraße liegen noch einige Glückwunschkarten. Die Feier zum 100-Jährigen ist noch nicht so lange her. Direkt daneben befinden sich mehrere gerahmte Bilder, die einen Einblick in die Firmengeschichte geben, die auch für ein wichtiges Stück Versmolder Stadt- und Wirtschaftsgeschichte steht. Das genaue Jahr der Aufnahme kann Dieter Lohmann nicht nennen. Etwa 1925 muss es entstanden sein, erzählt er und zeigt auf eines der Motive. Auf dem Schwarz-Weiß-Foto ist die erste Flotte seines Vaters Heinrich Lohmann auf dem damaligen Betriebsgelände an der Ravensberger Straße zu sehen. Mit auf dem Bild sind die Brüder Wrobbel, damals noch Mitarbeitende, später selbst Gründer der gleichnamigen Spedition. Mit am Tisch sitzt der heutige Chef, Dieter Lohmanns Sohn Henry Lucas Lohmann. 2006 gründete er die heutige Lohmann Logistik Service GmbH, die mittlerweile an der Speckstraße im Versmolder Industriegelände ansässig ist. In den 100 Jahren hat das Unternehmen viele Höhen, aber auch Tiefen durchfahren - nicht nur einmal stand die Zukunft auf der Kippe. Alles beginnt 1924. Heinrich Lohmann leistet seinerzeit mit der Firmengründung Pionierarbeit. Er ist der Erste in der Region, der ins Transportgeschäft mit Kraftfahrzeugen einsteigt. Vier Jahre danach (1928) machen sich die Brüder Wrobbel selbstständig. 1935 folgen die Gebrüder Kurt und Rudolf Nagel, heute gehört die Nagel-Group zu Europas größten Lebensmittellogistikern. Die Spedition Wrobbel am Westheider Weg stellte vor gut 20 Jahren ihren Betrieb ein, das bekannte Gelände liegt seitdem weitgehend brach. Lohmann ist trotz schwieriger Phasen geblieben. &bdquo;Klein, aber fein“, wie der heutige Firmenchef sagt. Meilensteine der Wurstproduktion in Versmold Versmolds Stadtarchivar Rolf Westheider geht in einem Beitrag für das Fachmagazin &bdquo;Fleischwirtschaft“ auf die Meilensteine der Wurstproduktion in der Stadt ein und widmet sich darin zwangsläufig der Geschichte des Speditionswesens. Im Jahr 1900 habe Versmolds ungünstige Verkehrslage mit dem Anschluss an das Eisenbahnnetz zwar eine Verbesserung erfahren. In der Praxis aber erwies sich die private Teutoburger-Wald-Eisenbahn für den Transportbedarf von Fleisch und Wurst als ungeeignet. &bdquo;Aufgrund des gemischten Zugbetriebs für Personen und Güter, mangelnder Transportkapazitäten und des Umladens der Waren in die Waggons der Reichsbahn ließen die Wurstfabrikanten bereits vor dem Ersten Weltkrieg ein noch sehr junges Verkehrsmittel vorfahren: den Lastkraftwagen.“ Der Transport von Fleisch und Wurst führte rasch zu einem blühenden Speditionsgewerbe; Lkw aus Versmold fuhren im Linienverkehr bis Süddeutschland und Ostpreußen. Aktuelle News bekommen Sie täglich über den WhatsApp-Kanal des HK In den Anfangsjahren nach der Gründung fährt Heinrich Lohmann Zwischenhändler nach Dortmund, damit diese dort ihre Waren - nicht allein Fleisch oder Wurst - verkaufen können. Aus der kleinen Idee wachsen verschiedene Geschäftszweige rund um Fahrzeuge: Taxi, Tankstelle, Werkstatt, Omnibusbetrieb sowie Autohaus. &bdquo;Kurz: In allem, was mit Kraftverkehr zu tun hatte, hatte Heinrich seine Finger im Spiel“, schreibt das Unternehmen auf seiner Internetseite. Vor Ausbruch des Krieges gehören mehr als 60 Mitarbeitende und an die 30 Fahrzeuge zum Betrieb. Der frühe Tod des Firmengründers 1943 sei für den Betrieb eine &bdquo;richtige Bremse“ gewesen, so Henry Lucas Lohmann. Nach einer Operation in jungen Jahren hatte Heinrich Lohmann zeit seines Lebens gesundheitliche Probleme. Im Alter von nur 51 Jahren verstirbt der Familienvater an den Folgen, und das Unternehmen verliert seinen Inhaber. Dazu kommen die Kriegswirren. &bdquo;Wer weiß? Wenn er gesundheitlich fit gewesen und nicht so früh gestorben wäre, wäre die Verteilung vielleicht anders gewesen“, mutmaßt Henry Lucas Lohmann und spielt auf die Entwicklung des Speditionswesens in Versmold an. Wende bringt der Logistikbranche Chancen und Probleme Das Vermächtnis wird schließlich auf die Nachfahren verteilt. Dieter Lohmann übernimmt einige Jahre später, als er alt genug ist, die Spedition. &bdquo;Ich wollte eigentlich Biochemie studieren“, erinnert sich der 85-Jährige. Dann studiert der Versmolder doch Betriebswirtschaft und übernimmt 1964 als geschäftsführender Gesellschafter. Lange Zeit ist er zusammen mit seinem Bruder zuständig, doch es gibt Unstimmigkeiten. Mitte der 80er-Jahre gehen die Brüder beruflich getrennte Wege. Dieter Lohmanns Kinder wachsen im Speditionsbetrieb mit auf. Henry Lucas Lohmann erinnert sich, dass er schon als Jugendlicher beim Verladen mit anpackte. Die Wende bringt den Speditionen im Land zunächst reichlich Arbeit - &bdquo;ein ganz besonderer Tag auch für die Logistikbranche“, heißt es in einer Veröffentlichung der &bdquo;Deutschen Verkehrs–Zeitung“ aus dem Jahr 2014. &bdquo;Denn mit dem Mauerfall eröffneten sich für Industrie und Handel neue Märkte - in den neuen Bundesländern zunächst, aber dann auch in den übrigen osteuropäischen Ländern, die zuvor mehr oder weniger verschlossen waren. Mehr Konsum, mehr Handel, mehr Produktion, mehr Logistik lautet die simple Gleichung.“ Neue Märkte bedeutet im zweiten Schritt aber mehr Wettbewerb. Osteuropäische Transportunternehmen machen es den Spediteuren schwer. &bdquo;Der Druck wurde größer und Fahrermangel war spürbar“, schildern die Versmolder. Die Entwicklungen machen vor dem Familienbetrieb nicht Halt. Versmolder Unternehmen schafft Elektro-Lkw an Dieter Lohmann zieht sich Anfang der 2000er aus dem Speditionsgeschäft zurück. Sein Sohn forciert die Logistiktätigkeit als Dienstleistung und firmiert in die Lohmann Logistik Service GmbH um. Zwischenzeitlich hat das Unternehmen keinen einzigen eigenen Lkw mehr, sondern organisiert für die Kunden den Transport. &bdquo;Als mittelständischer Betrieb sind wir organisch gewachsen und konnten uns über die Zeit einen Kundenstamm aufbauen, ohne dabei unseren lockeren und familiären Umgang untereinander opfern zu müssen“, beschreibt der 47-Jährige seine Philosophie. Lesen Sie auch: Investor hält Versmolder Stadtvilla als Denkmal und Aushängeschild am Leben Heute gehören wieder 20 Mitarbeitende zum Team. Mit seinem Neffen, der Wirtschaftsinformatik studiert, ist die vierte Generation bereits mit im Betrieb. Transportiert wird alles, &bdquo;außer lebende Tiere, Kunst und Möbel“, fasst Henry Lucas Lohmann zusammen. Auch wenn zehn eigene Lkw zum Unternehmen gehören, Schwerpunkt ist weiterhin die europaweite Logistik überwiegend für die Lebensmittelindustrie. Größter Lohmann-Kunde ist ein Importeur für Geflügel und Garnelen. Für mehr Lagerkapazitäten nutzt Lohmann inzwischen im Interkommunalen Gewerbegebiet an der A33 in Borgholzhausen zusätzliche Hallenfläche. Auf dem Betriebsgelände an der Speckstraße wurde jüngst ein früheres Wohnhaus abgerissen. Dort entsteht im nächsten Schritt eine Ladeinfrastruktur: Der erste Elektro-Lkw für die Lohmann-Flotte ist bestellt. Auch an anderer Stelle finden seit einiger Zeit Bautätigkeiten statt: Am früheren Standort an der Ravensberger Straße 49 (B476) entsteht Wohnraum. Das einstige Betriebsgebäude wurde schon vor einigen Monaten dem Boden gleichgemacht. Für Dieter Lohmann ist das der Lauf der Zeit, viel Wehmut kommt da nicht auf. &bdquo;Das ist Vergangenheit“, sagt der 85-Jährige. Wichtig war dem früheren Unternehmer dagegen, das 100-Jährige zu feiern. Das habe auch mit Wertschätzung des Geleisteten und der Tradition zu tun. Die Bilderrahmen auf dem Besprechungstisch erzählen von dieser langen Geschichte.

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