Versmolds Ex-Pfarrer ist jetzt Reisender und berät ein Unternehmer-Paar

Versmold. Nach dem Termin in den Redaktionsräumen des &bdquo;Haller Kreisblatts“ in Versmold gilt es, noch ein Foto in der Innenstadt zu machen. Als das geschafft ist, schwingt sich Dirk Leiendecker auf sein E-Bike - nicht ohne zuvor noch von einem Passanten angesprochen zu werden und ein paar Worte zu wechseln. Und auch als er davonradelt, muss er nicht nur wegen des Verkehrs wachsam sein. Er winkt und grüßt. Die Menschen in Versmold kennen ihn, sie mögen ihn. Alles andere hätte den Beobachter auch überrascht. 36 Jahre Pfarrer - damals bis heute Denn schließlich war Dirk Leiendecker seit 1985 nicht weniger als 36 Jahre Pfarrer für die evangelische Kirchengemeinde in der Innenstadt. Er prägte das Gemeindeleben entscheidend mit, war Ansprechpartner in der Not und in der Freude. Als das HK ihn trifft, hat auch eine der ersten Erinnerungen des heute 66-Jährigen im Gespräch damit zu tun: &bdquo;Mein Neffe aus dem Sauerland hat neulich mal gesagt: Immer, wenn wir bei euch zu Besuch waren, hat das Telefon geklingelt - oder jemand stand vor der Tür.“ Dirk Leiendecker schmunzelt: &bdquo;Das war mir gar nicht so bewusst. Weil mich die Arbeit immer bereichert hat.“ Stets verfügbar Anfangs hätten glückliche Paare am späten Samstagabend direkt nach dem Antrag bei ihm angerufen, um das Aufgebot zu bestellen. &bdquo;Ich habe verstanden, dass die solche Glücksmomente sofort teilen wollten, war verwurzelt in der Gemeinde und zufrieden - auch wenn es mit dem Familienleben nicht immer einfach war.“ Als Leiendecker vor 20 Jahren auch noch die Aufgabe als Feuerwehrseelsorger übernahm - inklusive Pieperbereitschaft - , war seine Frau Birgit zunächst allerdings wenig begeistert. Doch letztlich verspürte der gebürtige Altenaer stets großen familiären Rückhalt. Ein kongeniales Duo Das war auch im kirchlichen Miteinander so. Im Presbyterium saß Dirk Leiendecker gemeinsam mit Rainer Wolf im Bauausschuss. &bdquo;Wir haben uns immer gut ergänzt und blind verstanden“, sagt der langjährige Freund und Wegbegleiter heute, der immer noch mit Leiendecker kegelt. &bdquo;Er hatte als Pfarrer aktuelle Entwicklungen auf dem Schirm. Wenn samstags Lady Di starb, redete er sonntags darüber.“ Zugleich sei der Freund bis heute offen und zugewandt: &bdquo;Er hat seinen Glauben nicht an jeder Stelle raushängen lassen.“ Der sanfte Ausstieg Wenn man so eingebunden, so ausgefüllt ist, muss der Abschied vom Beruf doch eine große Herausforderung sein, oder? Zum 1. September 2021 wechselte Dirk Leiendecker in den Ruhestand. &bdquo;Aber ich hatte noch zwei Aufgaben. Zum einen habe ich den Neubau der Kindertagesstätte an der Neustädter Straße in Halle weiter mitbegleitet, die ich als als stellvertretender Superintendent des Kirchenkreises übernommen hatte.“ Das habe ihm beim Abschied vom Berufsleben genauso geholfen wie das Lösen vom Pfarrhaus. &bdquo;Mein Nachfolger Christian Stephan war ja noch in Paraguay. Er hat Möbel und Ausstattung bestellt, ich habe das koordiniert und angenommen, der CVJM hat aufgebaut.“ Von Februar 2022 bis Sommer 2022 habe er so Gelegenheit gehabt, Abschied von Vertrautem zu nehmen. Der Weg zur Mutter Kontinuität erlebt Dirk Leiendecker auch in seiner Beziehung zum Pflegeheim Katharina-von-Bora-Haus. Für die diakonische Einrichtung war er eine Zeit lang als Pfarrer zuständig. Und ist dem Haus heute noch verbunden, denn seine 88-jährige Mutter lebt seit mittlerweile fünf Jahren dort. &bdquo;Ich versuche, sie täglich zu besuchen“, sagt Dirk Leiendecker. Und gibt Einblicke in sein Gefühlsleben. &bdquo;In Altena kannte ich sie als total aktiven Menschen, heute hat die Demenz sie verändert.“ Auch er müsse sich immer sagen, dass eine solche Phase zum Leben dazugehöre. Wenn der Glaube an Grenzen gerät &bdquo;Aber der Perspektivwechsel ist schwierig. Bei meiner Pension saß sie noch in der ersten Reihe; heute gibt es Tage, an denen sie kaum etwas sagt.“ Empfindet man ein solches Nachlassen der körperlichen und geistigen Kräfte auch als Christ nicht als ungerecht? &bdquo;Natürlich hadert man auch. Mein Glaube ist immer wieder mal an Grenzen gekommen“, sagt Dirk Leiendecker. &bdquo;Aber nie darüber hinaus.“ Wofür der frühere Pfarrer dankbar ist: &bdquo;Dass ich meine Mutter begleiten kann. Mein Vater starb plötzlich.“ Was bleibt Hört man im Ruhestand eigentlich auf, ein Seelsorger zu sein? &bdquo;Die Kenntnis des Themas verschwindet ja nicht, das ist wie beim Steuerberater. Vom Beruf bleibt nichts, aber von der Berufung“, sagt Dirk Leiendecker. &bdquo;Manchmal spricht man mit Menschen und erwischt schnell den wunden Punkt.“ Was fehlt? Also vermisst der Ruheständler nichts von seinem früheren, so dichten Leben? &bdquo;Ich habe natürlich wesentlich weniger persönliche Kontakte. Früher klingelte 15 Mal am Tag das Telefon, heute ein Mal. Damals war das manchmal lästig, aber es brachte auch Austausch mit sich“, sagt der Versmolder. Zukunft als Prediger Ab und an fehlt Dirk Leiendecker sein altes Arbeitsfeld. &bdquo;Darum ist es mir eine große Freude, in diesem Jahr mein Patenkind und ein weiteres Paar kirchlich trauen zu dürfen“, erzählt der 66-Jährige - und fügt an: &bdquo;Zum Glück leben beide nicht in Versmold, denn hier dürfte ich das nicht.“ Die Misstöne Es hat eine deutliche Entscheidung des Versmolder Presbyteriums gegeben, dass die in den Ruhestand gewechselten Pfarrerinnen und Pfarrer - neben Dirk Leiendecker sind das noch Elisabeth Hübler-Umemoto und Christiane Becker - nicht mehr auf der Kanzel stehen und auch keine anderen Aufgaben in der Gemeinde mehr übernehmen. Dass Seelsorger im Ruhestand als Vertretung einspringen, war zuvor in Versmold durchaus üblich. Und ist es in anderen Gemeinden noch. &bdquo;Das ist nicht nur bei mir auf großes Unverständnis gestoßen“, sagt Dirk Leiendecker ganz offen. &bdquo;Ich hätte mich – natürlich nur bei Bedarf - gern noch freiwillig eingebracht.“ Ihm sei klar, dass es nach dem Wechsel in den Ruhestand Distanz brauche. &bdquo;Niemand will doch dem Nachfolger in die Suppe spucken oder sich einmischen in Dinge, für die nun andere zuständig sind, und alle Kolleginnen und Kollegen hier sind hochkompetent.“ Abschied als Feuerwehr-Seelsorger Die eigenen Grenzen zu erkennen, sei ihm wichtig. Er selbst wolle schließlich nicht, dass jemand bei seinem Anblick irgendwann sagt: &bdquo;Da kommt der Opa wieder“, betont Dirk Leiendecker. &bdquo;Darum ist es gut und richtig, dass ich meine Aufgabe als Feuerwehr-Seelsorger im kommenden Jahr beende.“ Wechsel ins neue Leben Auch wenn er sich manches sicher anders gewünscht hätte, so ermöglichte der harte Schnitt Dirk Leiendecker doch die Freiheit für einen echten Neustart. Der hatte sich indes schon 2018 angebahnt, als sein ehemaliger Konfirmand und heutiger Unternehmer Oliver Risken (Heristo AG) bei ihm anrief. &bdquo;Er hatte gesehen, wie bedürftigere Familien bei Weihnachtsgeschenken zu kämpfen hatten. Wir haben angefangen und Kontakte geknüpft, Hilfe vermittelt - schnell kam der Gedanke auf, das größer aufzuziehen“, erinnert sich Leiendecker. Die neue Aufgabe Das war der Startschuss für die &bdquo;Risken Family Foundation“. &bdquo;Für die war ich im Februar 2023 schon unterwegs, bevor sie im Juli überhaupt gegründet wurde“, erzählt der Versmolder. Die Stiftung engagiert sich für Menschen, denen es nicht so gut geht, in erster Linie Kinder. Dirk Leiendecker steht einem dreiköpfigen Kuratorium vor, das den Stiftungsvorstand mit Silke und Oliver Risken berät. Alle acht Wochen tagen die fünf Personen, besprechen Projekte, forcieren oder verwerfen sie - es gilt auch ein Budget einzuhalten. Zwischendurch ist Dirk Leiendecker immer wieder mal unterwegs, um sich Ideen anzusehen. &bdquo;Bisher haben wir nach Projekten gesucht, jetzt sind wir auch für Vorschläge offen“, sagt der Pfarrer im Ruhestand. &bdquo;Das positive Feedback, wenn wir helfen konnten, tut gut.“ Der Reisende Und ganz am Ende des Gesprächs fällt ihm dann noch ein, dass er ja noch eine weitere Aufgabe mit seiner Frau Birgit übernommen hat. Für das Unternehmen Sieckendiek fungieren die beiden als Reisebegleiter. &bdquo;Im Februar ging es nach Namibia, im November stehen Vietnam und Kambodscha auf dem Programm“, verrät Leiendecker. Und was gibt es da zu tun? &bdquo;Wir sehen uns als Kümmerer und sorgen für gutes Klima innerhalb der Reisegruppe.“ Die Lehrerin und der Pfarrer - gelernt ist eben gelernt. Das Foto Für das Foto hat Dirk Leiendecker übrigens das Relief der Innenstadt als Motiv gewählt. &bdquo;Weil ich mich nach so vielen Jahren hier natürlich zu Hause und zugehörig fühle. Und die Kirche steht ja auch im Zentrum.“

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