Interview

„Dann würde der Mitgliedsbeitrag in Steinhagens Sportvereinen viel teurer“

Nadine Kuster ist im Steinhagener Rathaus zuständig fürs Ehrenamt. Wie sehr eine Gesellschaft auf bürgerschaftliches Engagement angewiesen ist, erläutert sie hier.

Nadine Kuster ist Ansprechpartnerin für alle Ehrenamtliche im Generationenbüro des Steinhagener Rathauses. | © Frank Jasper

Frank Jasper
02.11.2025 | 02.11.2025, 13:02

Frau Kuster, wie viele Ehrenamtliche gibt es in Steinhagen überhaupt?

Nadine Kuster: In Steinhagen haben wir für den aktuellen Gültigkeitszeitraum 2025/2026 bisher 794 Ehrenamtsausweise ausgestellt. Aber längst nicht jeder Ehrenamtliche beantragt den Ausweis. Darum gehe ich davon aus, dass sich in Steinhagen deutlich mehr Menschen ehrenamtlich engagieren. In Vereinen, den Kirchengemeinden oder im privaten Bereich.

Mal angenommen, all diese Menschen wären nicht ehrenamtlich tätig. Wie würde das Leben in Steinhagen aussehen?

Das würde jeder zu spüren bekommen. Viele Angebote würden wegfallen, oder sie würden teurer, weil zum Beispiel Trainer und Betreuer in Vereinen durchgängig finanziert werden müssten. Es gäbe plötzlich nur noch kommerzielle Hobbys. Der Mitgliedsbeitrag im Sportverein zum Beispiel würde in der Folge deutlich teurer. Wir müssten aber auch überlegen, wie wir eine Berufsfeuerwehr bezahlen. Denn auch dort sind Ehrenamtliche tätig. Wir hätten übrigens auch keinen Weihnachtsmarkt mehr in Steinhagen, denn auch der wird von Ehrenamtlichen organisiert. Nicht nur viele ältere Menschen würden unter Umständen sehr einsam zu Hause bleiben müssen.

Was sind das für Menschen, die sich ohne finanzielles Interesse, für andere einsetzen?

Das ist total unterschiedlich. Viele ältere Menschen suchen nach dem Ende ihres Berufslebens nach einer sinnstiftenden Tätigkeit und finden sie im Ehrenamt. Manche haben womöglich Befürchtungen, im Ruhestand in ein „Loch“ zu fallen, oder wollen in ihrem Leben noch etwas mitgestalten. Junge Menschen übernehmen über ihre Mitgliedschaft im Sportverein, beim CVJM oder der Jugendfeuerwehr gemeinnützige Aufgaben. In Steinhagen engagieren sich übrigens in etwa genauso viele Männer wie Frauen im Ehrenamt.

Ohne Ehrenamtliche bräuchte Steinhagen eine Berufsfeuerwehr. - © Feuerwehr Steinhagen
Ohne Ehrenamtliche bräuchte Steinhagen eine Berufsfeuerwehr. (© Feuerwehr Steinhagen)

Man hört oft, dass die Begeisterung fürs Ehrenamt in der Gesellschaft nachlässt. Wie stellt sich die Situation in Steinhagen dar?

Diese Beobachtung kann ich so nicht bestätigen. Das läuft ganz gut in Steinhagen. Hier nimmt die Zahl der Ehrenamtlichen tendenziell sogar zu. Eine aktuelle Statistik sagt jedoch, dass sich junge Leute nicht mehr so gerne über einen längeren Zeitraum ehrenamtlich binden und sich eher projektbezogen engagieren möchten. In Steinhagen ist dieser Trend noch nicht so ausgeprägt. Aber wir möchten, dass Kinder und Jugendliche die Möglichkeit haben, Ehrenamt kennenzulernen. In der Realschule verpflichten sich Schülerinnen und Schüler zum Beispiel als Schulsanitäter oder sie betreuen den Pausen-Laden. Das läuft über den Zeitraum eines Schuljahres - ein tolles Projekt!

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Warum lohnt sich ein Ehrenamt?

Im Idealfall ist das Ehrenamt eine Win-win-Situation. Man gibt etwas, aber man bekommt auch etwas zurück. Die Liste der Benefits ist lang. Ehrenamtliche kommen mit anderen Menschen zusammen und erleben ein Zugehörigkeitsgefühl. Je nach Tätigkeit lernt man dazu und sammelt wertvolle Erfahrungen. Und man erfährt Dankbarkeit und Wertschätzung. Den bereits erwähnten Rentnern kann so ein Amt eine Tagesstruktur geben. Und bei den ebenfalls schon angesprochenen Schülern macht sich freiwilliges Engagement natürlich später auch ganz gut im Lebenslauf.

Und wo hapert es schon mal?

Es gibt Situationen, in denen Ehrenamtliche schon mal in Grenzbereiche geraten, die ihnen nicht zumutbar sind und die mit ihrem Ehrenamt auch nichts mehr zu tun haben. Ein Seniorenbesuchsdienst zum Beispiel ist kein Putzdienst. Und die AWO-Wichtel renovieren einem natürlich auch nicht das ganze Haus. Den meisten, die die Unterstützung in Anspruch nehmen, ist das bewusst. Manchmal müssen Ehrenamtliche in den vielen verschiedenen Aufgabenfeldern aber auch schon mal Grenzen aufzeigen und deutlich machen, dass sie nur für zeitlich begrenzte bestimmte Tätigkeiten zur Verfügung stehen. Darum ist der Austausch wichtig zwischen denen, die ihre Dienste unentgeltlich in ihrer Freizeit anbieten und den Vereinen oder Trägern, an die sie angebunden sind.

Wie unterstützt die Gemeinde Steinhagen die Ehrenamtlichen?

Wir haben in Steinhagen den Ehrenamtsausweis eingeführt, um die Arbeit von Ehrenamtlichen in der Gemeinde zu würdigen. Mit diesem Ausweis kommen die Ehrenamtlichen in den Genuss zahlreicher Vergünstigungen. Sie erhalten zum Beispiel 50 Prozent Ermäßigung für die Nutzung des Hallenbades und beim Kauf von Eintrittskarten des Kulturwerks und der Kulturtage. Auch das Anrufsammeltaxi kann zum halben Preis genutzt werden. Die Gebühr für die Gemeindebibliothek kostet für diesen Personenkreis lediglich 5 Euro. Darüber hinaus bieten wir Schulungen an, zum Beispiel Erste-Hilfe-Kurse. Die Gemeinde Steinhagen stellt auch Ehrenamtszertifikate aus, die sich bei Bedarf in Bewerbungsunterlagen gut machen.

Nadine Kuster leitet seit Anfang 2023 das Generationenbüro im Steinhagener Rathaus. - © Frank Jasper
Nadine Kuster leitet seit Anfang 2023 das Generationenbüro im Steinhagener Rathaus. (© Frank Jasper)

Wie wichtig ist ehrenamtliches Engagement für unsere Demokratie?

Ich denke, da spielen mehrere Faktoren eine zentrale Rolle. Das Ehrenamt ist eine Möglichkeit für Bürgerinnen und Bürger, sich gesellschaftlich zu beteiligen, und es entsteht bestenfalls eine Verbundenheit mit anderen Menschen. Außerdem werden Solidarität, Toleranz und Vielfalt gefördert. Dort, wo Menschen partizipieren, selbst Verantwortung übernehmen und die Abläufe dazu kennenlernen, wächst im Optimalfall auch das Vertrauen in Institutionen. Das stärkt meiner Überzeugung nach die Demokratie. Wir müssen als Gesellschaft aber auch aufpassen, dass Ehrenamtlichen nicht zu viele Aufgaben zugeschoben werden, die eigentlich Hauptamtlichen und Experten überlassen werden sollten. Im Bereich der Pflege beispielsweise. Pflegeleistungen können nicht komplett auf Ehrenamtliche abgewälzt werden. Oder nehmen wir Personen, die sich im Krisendienst engagieren. Ein Ehrenamtlicher kann und soll auch keinen Therapeuten ersetzen.

?? Nadine Kuster leitet in der Steinhagener Gemeindeverwaltung seit Anfang 2023 das Generationenbüro. Das Büro dient als zentrale Anlaufstelle für Informationen, Beratung und Koordination zu verschiedenen sozialen Themen. Hier bekommen Bürgerinnen und Bürger Auskünfte zu ehrenamtlichem Engagement und ehrenamtlicher Unterstützung. Dabei spielt die Vernetzung von Generationen eine entscheidende Rolle. Unterstützt wird Nadine Kuster im Rathaus von Larissa Rathmer-Löw. Erreichbar ist das Generationenbüro im Rathaus, Zimmer 204, unter Tel. 05204 997207.

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