Der Wochenkommentar

Warum wir um das Ehrenamt im Altkreis Halle kämpfen müssen

Viele Dinge, die wir in der Freizeit genießen, kommen nur durch den Einsatz vieler Engagierter zustande. Doch diese Säule unseres Zusammenlebens ist auch im Altkreis Halle auf vielen Ebenen bedroht.

Ehrenamtliches Engagement - wie hier bei "Hessis Helden" der Spvg. Hesselteich - bildet die Basis für das Fortbestehen von Vereinen. | © Dennis Bleck

Marc Uthmann
05.04.2025 | 05.04.2025, 09:01

Okay, ich muss Sie jetzt ein wenig mit Sport belästigen. Liegt daran, dass wir zu Hause zu fünft sind - und vier von uns begeisterte Handball-Fans. Nur der Jüngste verweigert sich der Ball-Besessenheit beharrlich und ist damit sehr glücklich. Aber keine Angst, mein Handball-Gleichnis soll gleich noch zu einer grundlegenden Botschaft führen – bitte jetzt nicht abschalten!

Als Handballer jedenfalls habe ich die Nachricht der Versmolder Vereine SF Loxten und Spvg. Hesselteich registriert. Die Vereine wollen ihre Jugendarbeit in der JSG Hesselteich-Loxten auf eine professionellere Basis stellen, indem sie in Ex-Profi Julian Possehl einen hauptamtlichen Koordinator engagieren.

Die Gründe dafür sollten uns allerdings Sorgen machen. Denn natürlich ist das visionär – aber auch der blanken Not geschuldet. Markus Bohnemeier, Vorsitzender der Spvg. Hesselteich, hat das Problem auf den Punkt gebracht: Es fehlt an allen Ecken und Enden – und zwar nicht an Leidenschaft, sondern an Personal. Vorstände, Funktionäre, Betreuer sind unerlässlich, um Sportvereine erfolgreich zu führen. Doch sie gehen den Klubs verloren.

DOSB meldet Rekordzahlen – und doch schlagen die Vereine Alarm beim Ehrenamt

Unsere Vereine bluten also aus. Aber wie kann das sein, wenn der Deutsche Olympische Sportbund Ende 2024 Rekordzahlen vermeldet hat? 28 Millionen Menschen in Deutschland sind in 87.000 Sportvereinen organisiert. Die Corona-Krise sei überstanden, heißt es da. Auch in NRW legten die Vereine bei den Mitgliedern um 4,35 Prozent zu.

Wie passt das zu der von den heimischen Vereinen erkannten Not? Nun, da muss man wohl zunächst die Besonderheit des Handballs betrachten. Der leidet aktuell nämlich so richtig unter den Ausläufern der Corona-Krise. Seit dem Ausbruch der Pandemie haben viele kleine Kinder gar nicht erst mit dem Sport begonnen und andere aufgehört – und die fehlen jetzt bei den älteren Jugendklassen und im Seniorenbereich schmerzhaft. Weniger Spielerinnen und Spieler, weniger Teams, kleinere Klassen und weitere Fahrten. Dieser Sport dünnt aus.

Der demografische Wandel mit einer zunehmend älteren Gesellschaft und kleineren Geburtenjahrgängen verschärft dieses Problem noch. Unter diesen vielfältigen Effekten leidet – Achtung: Überleitung zum großen Ganzen – eben nicht nur der Sport.

Chöre schrumpfen weiter, politischer Nachwuchs ist nicht existent

Ohne Engagierte wären auch Jugendfreizeiten auf Spiekeroog wie die der Evangelischen Kirchengemeinde nicht möglich. - © Evangelische Kirchengemeinde Halle
Ohne Engagierte wären auch Jugendfreizeiten auf Spiekeroog wie die der Evangelischen Kirchengemeinde nicht möglich. (© Evangelische Kirchengemeinde Halle)

Mein Kollege Tobias Barrelmeyer hat vor Kurzem über die politischen Nachwuchsorganisationen der Parteien im Altkreis Halle berichtet. Fazit: Sie sind kaum noch aktiv, de facto eigentlich nicht mehr existent. Noch einen Schritt weiter sind da schon die einst so beliebten Chöre: Der Sängerkreis Halle stellt sich seinem Schrumpfen zwar trotzig entgegen – doch eine Trendumkehr wird ihm nicht mehr gelingen.

In einer Gesellschaft ändern sich nun mal Bedürfnisse und Interessen, könnte man jetzt entgegenhalten. Hobbys und Trends kommen auf und verschwinden, das ist der Lauf der Zeit. Dabei gilt es allerdings zu beachten: Egal, in welchem Bereich unseres Lebens man unterwegs ist: Es braucht Engagierte und Ehrenamtliche, um andere zu begeistern, um mitzureißen und Strukturen aufzubauen oder zu erhalten, ohne die es nicht weitergeht. Das trifft Sport, Politik und Kultur gleichermaßen.

Wichtige Unterstützer: Um diese 70 engagierten Menschen wird Werther weithin beneidet

Zurück zum Handball, da kenne ich mich aus: Nun hat etwa die Spvg. Hesselteich – ebenso wie viele andere Vereine im Altkreis Halle – beim Minihandball eine rappelvolle Halle mit fröhlichen, tobenden Kindern. Aber es braucht unglaublich viel ehrenamtliche Arbeit in einem Verein, diese Mitglieder auch bei sich zu behalten, wenn sie älter werden.

Soziale Netzwerke treiben Individualisierung voran

Und hier kommt eine möglicherweise veränderte Mentalität bei uns allen zum Tragen. Den „Wunsch nach persönlicher Flexibilität“ nennt Hesselteichs Vereinschef Markus Bohnemeier das – und meint das Bedürfnis, sich nicht festlegen zu müssen, Freiheiten zu haben, sich nicht für eine Aufgabe zu verpflichten. Möglicherweise verständlich in einer immer komplexer erscheinenden Welt. Hinzu kommt die durch soziale Netzwerke immer weiter befeuerte Individualisierung: Wir alle präsentieren uns, inszenieren uns selbst – vielleicht ist die Darstellung der jüngsten Leistungen im Fitnessstudio heute attraktiver, als bei einem Handball-Spiel die Zeitnehmer-Uhr zu bedienen.

Eins sollte uns indes bewusst sein: Wenn sich niemand engagiert, kann auch niemand genießen: kein packendes Handballspiel vor großer Kulisse, kein berührendes Konzert, keine Kundgebung, die sich womöglich für unsere Interessen einsetzt.

Ehrenamtlichem Engagement einen professionellen Rahmen zu geben, wie das jetzt schon in vielen Vereinen aus unterschiedlichsten Bereichen passiert, ist darum ein vielversprechender Ansatz. Aber zugleich ist es wieder mal an uns selbst, uns zu fragen: Wo könnte ich mich denn erfüllend einbringen? Bevor uns irgendwann keine Alternative mehr zum Rückzug ins Individuelle bleibt.