Diese außergewöhnliche Kirche in Steinhagen kennen die wenigsten von innen

Steinhagen. Die neuapostolische Kirche ist für viele Menschen noch immer ein Buch mit sieben Siegeln. Kaum jemand weiß genau, was die neuapostolische Gemeinde Steinhagen-Quelle von Protestanten, Katholiken oder anderen Freikirchen unterscheidet - von den 500 Gemeindemitgliedern mal abgesehen. Tatsächlich ist die Gemeinde ziemlich groß, eine der zwei größten in OWL. Nicht nur aus Steinhagen, aus ganz Bielefeld und dem Kreis Gütersloh streben mehr als 150 Menschen sonntags zum Gottesdienst an die Lange Straße in der Niehaus-Siedlung. Derzeit müssen sie ein Baugerüst überwinden, um ihr Gotteshaus zu betreten, denn das 1983 erbaute Gebäude wird grundlegend saniert. Das haben wir zum Anlass genommen, uns die besondere Kirche einmal genau anzuschauen und uns von Priester und Vorsteher Jörg Diekmann den neuapostolischen Glauben erklären zu lassen. Schon von außen fällt auf, dass die neuapostolische Kirche sich deutlich von St. Hedwig und der Dorfkirche unterscheidet. Grund ist nicht das Alter. Es ist ein bisschen der Grundgedanke, wofür eine Kirche da ist. Das große Gebäude an der Langen Straße hat zum Beispiel keinen Turm. Die weitverstreute Gemeinde wird nicht durch Glockengeläut zum Gottesdienst gerufen - eine Tradition, die in digitalen Zeiten sowieso eher aus Nostalgie betrieben wird. Dafür hat das Gebäude aber vieles, das der Besucher in anderen Kirchen nicht finden wird. Priester erlaubt einen Blick hinter den Altar in Steinhagen So fällt das große Atrium ins Auge. Der eindrucksvolle Kreisbau mit einem Durchmesser von rund 15 Metern dient schon seit den 1980er-Jahren als Seminar- und Versammlungsraum. Ursprünglich waren dort Sitzreihen wie in einem Planetarium auf Stufen angeordnet, mit Blick auf eine zentrale Videostele, erklärt Jörg Diekmann beim Rundgang. Heute sind die Sitzreihen Tischen, Stühlen, mehreren Schlagzeugen und einem Billardtisch gewichen. Der große kreisrunde Saal dient als Treffpunkt, auch für den Gemeinde-Nachwuchs. Zusammen mit weiteren Sozialräumen und einer großen, ebenfalls frisch renovierten Küche wirkt die Kirche ein wenig wie ein Freizeitzentrum. Und da ist schon etwas dran, sagt auch der Vorsteher. Tatsächlich kenne man sich in der großen Gemeinde gut, versuche so etwas wie eine große Familie zu schaffen. &bdquo;Zu den meisten hat man schon einen persönlichen Draht, weiß, wie sie ticken“, sagt Diekmann. Eine Krankenliste hängt an der Tür zum Altarraum, darauf eine Liste der alten und kranken Mitglieder, damit andere sie besuchen können. Lesen Sie auch: Stelle entfällt, beliebter Pfarrer aus Halle geht Trotzdem bildet der Gottesdienst natürlich das Zentrum der Gemeinde, auch architektonisch. An einem wuchtigen Altar aus portugiesischem weißen Marmor wird der Gottesdienst gelesen, grundsätzlich frei, wie Jörg Diekmann betont, der sich diese Aufgabe mit acht anderen Priestern teilt. Der freie Vortrag ist eine Eigenart der Neuapostolen. &bdquo;Es geht darum, dass der Heilige Geist in der Predigt mitwirken kann“, erklärt der 56-Jährige. Genauso wie die anderen Priester setzt er sich komplett ehrenamtlich ein. Einige Stunden jede Woche. Hauptberuflich arbeitet der gelernte Physiker als Produktentwickler. Gemeinde renoviert ihre Kirche in Steinhagen Eine weitere Besonderheit des Gottesdienstes: Er wird komplett live-gestreamt. Drei Kameras nehmen alles auf. Im hinteren Teil des Saales ist ein Computerarbeitsplatz mit mehreren Monitoren eingerichtet, an dem in Echtzeit geschnitten wird, damit auch Abwesende teilhaben können. Dabei gehe es sowohl um Menschen, die körperlich nicht im Stande seien, zu kommen, aber auch um Gemeindemitglieder, die verzogen sind, erklärt der Neuapostole. Außerdem wurde ein Eltern-Kind-Raum per Scheibe abgetrennt. So sollen auch Mütter und Väter am Gottesdienst teilnehmen können, ohne sich Sorgen machen zu müssen, dass der Nachwuchs mal zu laut ist. &bdquo;Es muss ja nicht übermäßig heilig sein. Im Gottesdienst kann es schon mal lebendig zugehen“, sagt der Gütersloher. Mehr zum Thema: Kirche macht erstmals eine Frau zum geistlichen Oberhaupt Lebendig - das scheint ein zentraler Begriff im neuapostolischen Glauben zu sein. Der Grundgedanke der Gemeinschaft, die Ende des 19. Jahrhunderts in Norddeutschland entstand, ist, dass ihre Führer, die Aposteln, die Nachfolger Jesu Christi, sie bis zur erwarteten Wiederkunft des Heilands leiten. In Deutschland gibt es mehr als 1.500 neuapostolische Gemeinden. Ihnen gehören rund 300.000 Gläubige an. Weltweit bekennen sich etwa 10 Millionen Menschen zu diesem Glauben. Oberster Führer ist der französische Stammapostel Jean-Luc Schneider. Organisiert wird die Religionsgemeinschaft in der Region von der &bdquo;Neuapostolischen Kirche Westdeutschland“. Die finanziert auch die Renovierungsarbeiten, die rund 230.000 Euro kosten. Nach mehr als 40 Jahren muss die Betonfassade saniert werden. Gleichzeitig werden neue Notüberläufe installiert, um das Flachdach gegen Starkregen zu wappnen, Tore, Türen und Fenster werden erneuert und die Technik auf den aktuellen Stand gebracht. Steinhagener Kirche mit Kicker und Billardtisch Was nur wenige wissen: Die sogenannte &bdquo;Niehaus-Siedlung“ in Steinhagen ist nach einem der wichtigsten Köpfe der Neuapostolen benannt. Das Haus des berühmten Stammapostels Hermann Niehaus steht noch heute direkt neben der Kirche, direkt an der Queller Straße. Der gelernte Landwirt leitete die gesamte Glaubensgemeinschaft von 1905 bis 1930 - und machte Steinhagen damit zum geistigen Zentrum der neuapostolischen Welt, die schon damals 1.600 Gemeinden zählte. Die Zeiten, in denen die Neuapostolen als verschlossen galten, ihnen sogar etwas Sektenhaftes zugesprochen wurde, sind übrigens vorbei, wie Jörg Diekmann gerne betont. Heute lebe man die Ökumene, feiere gerne gemeinsam mit den anderen christlichen Gemeinschaften und lade jeden ein, sich ein eigenes Bild zu machen. Aktuelle News bekommen Sie täglich über den WhatsApp-Kanal des HK

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