Steinhagens Bürgermeisterin: „Diese Stimmung macht mir Angst“

Steinhagen. Es ist ein nebliger Dezembertag, als Bürgermeisterin Sarah Süß am Eingang zum Tierpark Olderdissen zum HK-Interview erscheint. Zur Abwechslung findet das Gespräch zum Jahreswechsel mal nicht im Rathaus statt. Sarah Süß liebt Tiere, hat selbst drei Katzen. Der Tierpark ist einer ihrer Lieblingsorte. Frau Süß, zu welchen Tieren müssen wir denn jetzt auf jeden Fall? Sarah Süß: Zu den Waschbären. Die schaue ich mir sehr gerne an, wenn sie emsig durchs Gehege laufen. Die sind ja schon ganz putzig. Wenn ich mehr Zeit hätte, hätte ich zuhause auch gerne Tiere im Garten. Schafe oder Alpakas zum Beispiel - das wäre schon cool. Wann gehen Sie in den Tierpark? Für mich ist das ein guter Ort, um nach einem stressigen Tag zu entspannen. Dann sag ich zu meinem Mann: Komm wir gehen ’ne Runde durch Olderdissen. In Steinhagen gehen wir auch gerne spazieren. Zum Beispiel auf dem Hexenpatt in der Patthorst, oder wir wandern auf dem Bergweltenweg. Den Bedarf, mal auf andere Gedanken zu kommen, habe gerade viele Menschen. Das Wort des Jahres lautet &bdquo;Krisenmodus". Erst Corona, dann Ukraine-Krieg und jetzt auch noch der Krieg im Nahen Osten. Wie gehen Sie damit um? Die aktuelle Weltlage macht schon etwas mit uns als Gesellschaft. Ich denke, das ist eine große Gefahr für unsere Demokratie im Moment. Ich habe das Gefühl, dass bei den Menschen immer mehr Misstrauen entsteht. Gegen den Staat, gegenüber der Regierung. Das erzeugt eine ganz merkwürdige Stimmung, die mir Angst macht, wenn ich an die nächsten Wahlen denke. Wenn ich an die AfD denke, macht es mir sogar große Sorgen. Die Auswirkungen der Krisen bekommt aber auch jeder von uns am eigenen Leib zu spüren. Das erzeugt Stress bei den Menschen. Dass Sie im Rathaus einen Krisenmanager eingestellt haben, ist eine Reaktion darauf. Stimmt. Weil wir gemerkt haben, dass die Aufgaben, die auf uns zukommen, immens sind. Ein akutes Beispiel wäre ein drohender Stromausfall in Folge einer Energiekrise. Das war vor einem Jahr in Folge des Ukraine-Kriegs plötzlich ein ganz reales Szenario. Dafür trifft der Krisenmanager Präventionsmaßnahmen. Wobei man natürlich sagen muss: Wir machen das alles in der Hoffnung, dass wir es nie brauchen werden. Als Sie nach dem Terrorangriff auf Israel als Zeichen der Solidarität vor dem Rathaus eine Israel-Flagge aufgehängt haben, wurde diese entwendet und der Fahnenmast zerstört. Der Mast ist wieder da, aber die Israel-Flagge weht nicht. Warum? Wir benötigen noch eine neue, und die ist noch nicht da. Um das klar zu sagen: Das ist sehr ärgerlich, was da vor dem Rathaus passiert ist. Aber ich scheue mich nicht davor, die Flagge deshalb nicht wieder aufzuhängen. Das wäre auch das falsche Signal. Von den Waschbären ist nichts zu sehen. Zu ungemütlich draußen. Stattdessen biegt eine schwarze Ziege um die Ecke und kommt direkt auf die Bürgermeisterin zugelaufen. Die geht sofort in die Knie und verteilt Streicheleinheiten. Gibt es auch Tiere, vor denen Sie Angst haben? Nein, nicht wirklich. Respekt vor wilden Tieren habe ich aber durchaus. Als wir dieses Jahr auf Borneo im Urlaub waren, wollten wir Fotos von Tieren in freier Wildbahn machen. Da gab es Elefanten und Orang-Utans. Wunderschön. Aber als wir einem Affenbaby zu nahe kamen, gab’s Ärger mit der Affenfamilie. Die haben dann ihre Zähne gefletscht und uns danach die ganze Zeit durch den Dschungel verfolgt. Da habe ich dann doch ein bisschen Angst gehabt. Was war der schönste Ort, den Sie 2023 besucht haben? Borneo und Malaysia habe ich in diesem Jahr während der Osterferien mit meinem Mann besucht. Das waren beeindruckende Orte. Aber ich habe es in diesem Jahr auch endlich geschafft, alle drei Steinhagener Partnerstädte zu besuchen: Fivizzano in Italien, Woerden in den Niederlanden und Rujiena in Lettland. Das hatte ich mir immer vorgenommen, war zu Corona-Zeiten aber leider nicht möglich. Zurück nach Steinhagen. An zwei Orte, an denen es seit geraumer Zeit nichts zu sehen gibt: das ehemalige Gronemeyer & Banck-Gelände und Detert/Langebrede. Wann geht es dort weiter? Die ehemalige Fläche von Gronemeyer & Banck an der Waldbadstraße gehört inzwischen einem Investor. Ein Bauantrag liegt uns bis heute nicht vor. Das ist schade, weil die Fläche längst Gewerbefläche sein könnte. Zu Detert: Nach Weihnachten wird die alte Hofstelle abgerissen. Wenn der neue Regionalplan rechtskräftig wird, können wir endlich weitermachen mit dem Bebauungsplan. Parallel läuft die Vermarktung. Wie läuft es da, nachdem Hörmann bekanntlich abgesprungen ist? Es hat sich ein anderes namhaftes Unternehmen aus der Region gemeldet, das Interesse an einer großen Fläche angemeldet hat. Um welches es sich handelt, möchte ich noch nicht sagen. Darüber hinaus wollen sich einige heimische Firmen hier gerne erweitern. Auf einer Aussichtsplattform blickt Sarah Süß ins Rotwild-Gehege. Der Nebel, die dunklen Tannen - &bdquo;sieht aus wie in einem Gruselfilm", meint die Bürgermeisterin schmunzelnd, als sie die Fotos davon im Kameradisplay sieht. Ein echtes Gruselszenario gab es im Februar in Steinhagen. Der Brand bei Bestpool war in diesem Jahr ein großes Thema. Wir wirkt dieses Ereignis nach? Wir konnten uns mit der Versicherung von Bestpool inzwischen einigen. Bekanntermaßen sind bei dem Feuerwehreinsatz und den folgenden Reinigungsarbeiten für die Gemeinde Steinhagen Kosten in einem hohen sechsstelligen Bereich entstanden. Es wird einen Vergleich mit der Versicherung von Bestpool geben, und mit diesem Vergleich sind wir zufrieden. Das heißt, die Versicherung wollte erst nicht zahlen? Das liegt in der Natur einer Versicherung, dass sie die Kosten nicht komplett übernehmen möchte. Aber ja, das war der Fall. Die Versicherung hat zunächst keine Anspruchsgrundlage gesehen. Es wurde ja bis heute keine Brandursache festgestellt. Wir und der Kreis Gütersloh, für den ebenfalls Kosten entstanden sind, haben uns deshalb in der Angelegenheit anwaltlich vertreten lassen - und hätten unsere Ansprüche im Zweifelsfall auf dem Klageweg geltend gemacht. Sie sind jetzt seit drei Jahren im Amt. Was nervt Sie an der Verwaltungsarbeit am meisten? Was ich tatsächlich nicht so gut haben kann, ist diese Not-in-my-Backyard-Mentalität, die ich in Steinhagen oft beobachte. Ganz oft sträuben sich Leute gegen Projekte, weil sie sie nicht vor ihrer Haustür haben möchten. Ich kann die Sorgen der Anwohner immer gut verstehen und nehme sie auf jeden Fall ernst. Aber wir müssen die Sorgen abwägen, und müssen eine Lösung für die gesamte Gemeinde treffen. Die Menschen wollen ja den Arbeitsplatz vor Ort haben, sie möchten kurze Wege benutzen, sie wollen einen Spielplatz für ihre Kinder haben - aber sie möchten das alles bitte nicht vor der eigenen Tür haben. Sie haben gut reden. In Obersteinhagen wohnen Sie ruhig und abgeschieden. Das stimmt schon, wir wohnen dort – abgesehen von der Autobahn - recht ruhig. Aber auch das ist eine gewöhnliche und gemischte Siedlung mit Ein- und Mehrfamilienhäusern. Wir können uns gegenseitig in die Gärten schauen. Warum interessieren sich immer weniger junge Leute für Politik? Wir haben tatsächlich keine aktive politische Jugendorganisation in Steinhagen. Ich weiß nicht, woran das liegt. Wenn ich in Schulen bin, oder Schüler mich im Rathaus besuchen, habe ich durchaus den Eindruck, dass sich die Jugendlichen für politische Themen interessieren. Vielleicht reicht neben dem Ganztag in der Schule und Hobbys einfach nicht die Zeit, sich auch noch in politischen Organisationen zu engagieren. Ich versuche über alle Kanäle, auch junge Leute zu erreichen. Etwa über Instagram. Die sind doch längst alle bei TikTok. Ja, vielleicht muss ich mich damit auch mal befassen. Früher waren die jungen Leute bei Facebook, dann bei Instagram. Das wandelt sich total schnell. Von den Waschbären ist noch immer nichts zu sehen. Stattdessen stampft ein Wildschwein auf die Bürgermeisterin zu und schaut sie erwartungsvoll an. Vielleicht ein guter Moment, um über die Erwartungshaltung der jungen Verwaltungschefin zu sprechen. Sie sind ja sehr jung Bürgermeisterin geworden. Wo sehen Sie sich in 20 Jahren? Dann bin ich 51, und hoffentlich bin ich dann noch Bürgermeisterin von Steinhagen. Gibt es da keine anderen Ambitionen? Tatsächlich werde ich das immer mal wieder gefragt. Die Leute deuten dann an, dass es doch irgendwann mal nach Düsseldorf oder Berlin gehen könnte. Ich sage dann immer: Was soll ich in Düsseldorf oder Berlin, wenn ich in Steinhagen sein kann? Ich habe da echt keine Ambitionen. Ehrlich nicht? Ehrlich nicht. Das reizt mich gar nicht, weil ich Politik immer nur mit der Kommune verbunden habe, in der ich lebe. Bei mir hat das ja alles damit angefangen, dass ich mich in Steinhagen engagieren wollte und selber Bürgerin dieser Gemeinde bin und weil ich hier einen engen Draht zu den Menschen habe. Genau das gefällt mir. Der Spaziergang durch den Tierpark endet. Ohne Waschbären. &bdquo;Aber die wurden inzwischen ja auch schon bei uns in Steinhagen gesichtet", weiß Sarah Süß.

Meistgelesen

Steinhagens Bürgermeisterin Sarah Süß überrascht mit einem Auto-Verbot

„Mein Hausarzt ist verschwunden“: Verzweifelte Patienten in Steinhagen

Steinhagen kämpft gegen Lärm: Wird Tempo 30 die Lösung?

Mit Baby im Chefsessel: Großes Interview mit Steinhagens Bürgermeisterin

Steinhagener Liebesgeschichte: Beim Brötchenkaufen in die Bäckerin verliebt Marc-André Noak und Katjana Milosevic haben sich jetzt im Steinhagener Rathaus das Jawort gegeben.

Beruflicher Neuanfang mit 62 Jahren: Gütersloher wird sein eigener Chef Andreas Kämpf kündigt nach 18...