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Zum Abschied singt Wolf Biermann: Pfarrer erzählt von bewegten DDR-Jahren

Als Pfarrer Matthias Storck gestern verabschiedet wird, gibt’s ein Ständchen vom Promi. Dass der Liedermacher in der Dorfkirche die Gitarre zupft, hat einen guten Grund.

"Ermutigung" hieß das Lied, das Wolf Biermann in der Dorfkirche sang. Den Titel des Stückes griff Pfarrer Matthias Storck in seiner Abschiedspredigt auf. | © Birgit Nolte

09.05.2022 | 09.05.2022, 14:00

Steinhagen. Rund zwei Jahre gehörte Pfarrer Matthias Storck zum Kirchenkreis Halle. Eigentlich eine zu kurze Zeit, um in einer Gemeinde wirklich Wurzeln zu schlagen. Zu seiner Verabschiedung gestern waren allerdings zahlreiche Besucherinnen und Besucher in die Dorfkirche gekommen. Was womöglich auch ein bisschen an dem besonderen Stargast lag, der extra aus Hamburg anreiste.

Der Liedermacher Wolf Biermann und Pfarrer Matthias Storck sind bereits seit den Achtzigerjahren befreundet. Sie verbindet unglückliche und tragische Erfahrungen in der ehemaligen DDR.

Während Liedermacher Wolf Biermann Anfang der Sechzigerjahre freiwillig in die DDR einreist, später mit einem Auftritts- und Publikationsverbot belegt wird und nach einem Konzert in Köln 1976 nicht wieder in die DDR zurückkehren darf, wird Matthias Storck 1956 in der DDR geboren. Als Kind eines Geistlichen hat er es nicht gerade leicht, darf aber, nachdem er eine Buchhändlerlehre gemacht hat, mit einer Sondergenehmigung an der Universität Greifswald Theologie studieren. Während des Studiums lernt Storck einen Pfarrer kennen, bei dem sich viele Systemkritiker treffen. Was sich wie Freundschaft anfühlte, sollte bitter enttäuscht werden.

Der bekannte Liedermacher Wolf Biermann ist schon lange mit Pfarrer Matthias Storck (rechts) freundschaftlich verbunden. Beide verbindet eine recht unglückliche Zeit in der ehemaligen DDR. Zur Verabschiedung des Geistlichen in den Ruhestand kam Biermann in die Steinhagener Dorfkirche. - © Birgit Nolte
Der bekannte Liedermacher Wolf Biermann ist schon lange mit Pfarrer Matthias Storck (rechts) freundschaftlich verbunden. Beide verbindet eine recht unglückliche Zeit in der ehemaligen DDR. Zur Verabschiedung des Geistlichen in den Ruhestand kam Biermann in die Steinhagener Dorfkirche. (© Birgit Nolte)

Urteil: Vier Jahre Gefängnis

1979 werden Matthias Storck und seine Frau Christine wegen versuchter Republikflucht verhaftet und zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. 1980 werden sie von der Bundesrepublik freigekauft, siedeln in den Westen über. An der Uni Münster schließt Storck sein Theologiestudium ab.

Erst nach der Wende erfährt Pfarrer Matthias Storck, dass die evangelische Kirche in der DDR alles andere als ein sicherer Hafen für Andersdenkende gewesen ist. Der Pfarrerfreund in Greifswald, der Gefängnispfarrer im Zuchthaus Cottbus – selbst der eigene Vater: Alle diese Geistlichen waren Spitzel und fütterten als sogenannte Informelle Mitarbeiter (IM) die Stasi mit Informationen. Diese bitteren Erkenntnisse hat Pfarrer Matthias Storck in seinem Buch „Karierte Wolken" 2008 aufgeschrieben.

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Das Vorwort hat Wolf Biermann beigesteuert. 1981 nämlich fasste sich Pfarrer Matthias Storck ein Herz und besuchte den von ihm bewunderten Liedermacher in Hamburg. Daraus entstand eine Freundschaft, die bis heute hält.

„Ich fühle mich so geehrt wie sonst was"

Trotzdem ist der Besuch des Hamburgers für Storck alles andere als eine Selbstverständlichkeit. „Ich fühle mich so geehrt wie sonst was", zeigte sich der Geistliche sehr bewegt, dass Wolf Biermann und dessen Frau Pamela für ihn das Lied „Ermutigung" in der Steinhagener Dorfkirche anstimmen.

Von 1988 bis 2008 war Matthias Storck als Pfarrer in Kirchlengern tätig, wechselte dann nach Herford. 2019 erkrankt er an Depressionen und war seit 2020 als Pfarrer mit einem Beschäftigungsauftrag im Kirchenkreis Halle tätig. Seine Amtszeit endet offiziell am 30. Juni. Konkrete Pläne hat er für seinen Ruhestand nicht. „Das lass ich auf mich zukommen."

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