Kreis Gütersloh

Frau tot geprügelt - Mörder wird 20 Jahre später durch Zufall gefunden

Tatort GT (5): Im September 1985 wird Martha Riewe (63) tot in ihrem einsam gelegenen Kotten gefunden. Sie wurde über einen längeren Zeitraum geprügelt. Fast 20 Jahre später führt ein Zufallstreffer zum Mörder.

In ihrem einsam gelegenen Haus wird die Rentnerin Martha Riewe (63) 1985 brutal ermordet.  | © Archivfoto/Herbert Gontek

Nicole Donath
16.12.2020 | 16.12.2020, 09:57

Kreis Gütersloh. Als Martha Riewe am Nachmittag des 14. Septembers 1985 in ihrem Anwesen am Bußberg in Steinhagen gefunden wird, liegt sie auf dem Fußboden vor ihrem Bett. Der Kopf ruht auf einem Kissen, der Körper, bekleidet mit Nachtwäsche, zugedeckt mit einen Oberbett – sie ist tot.

Staatsanwalt Hans Dieter Heidbrede ist schon damals ein Strafverfolger mit Erfahrungen, als er sagt: „Ich habe noch nie einen Menschen gesehen, der so bearbeitet worden ist." Offenbar ist die alleinstehende Frau von ihrem Mörder über einen längeren Zeitraum geprügelt worden. Im Nachhinein stellt sich heraus, dass die 63-Jährige bereits zwei Tage zuvor gestorben ist. Bis jener Mann überführt werden kann, der sie so grausam zugerichtet hat, sollen allerdings fast weitere 20 Jahre vergehen.

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Sie hatte kaum Kontakt zu anderen Menschen

Was die Ermittlungen so schwierig macht: Martha Riewe lebt sehr zurückgezogen und hat nur mit wenigen Menschen engeren Kontakt. Sie ernährt sich von dem, was auf ihrem Land wächst. Ihren Lebensunterhalt bestreitet die unscheinbare Frau derweil von Pacht- und Mieteinnahmen ihres „beachtlichen Immobilienbesitzes", wie es damals heißt. Luxus ist für Martha Riewe dennoch ein Fremdwort, vielmehr führt sie eher ein karges Dasein und für die Beamten ist es daher völlig unersichtlich, wie jemand ein größeres Vermögen bei der Frau vermuten kann.

Es wird eine Mordkommission unter der Leitung von Kriminalhauptkommissar Küchenmeister gegründet und ein Team von 15 Beamten arbeitet sich mühsam voran. Das soziale Umfeld des Mordopfers wird mit Unterstützung der Steinhagener Gemeindeverwaltung ebenso untersucht wie die Umgebung des großen Anwesens.

Eine Funkstreife patroulliert regelmäßig in dem einsamen Bergtal. Doch auch nach Tagen konstatiert Heidbrede: „Bisher konnte niemand ermittelt werden, der in den vergangenen Wochen und Monaten in dem Haus der Toten war. Und da nicht bekannt ist, was vorhanden war, können wir auch nicht sagen, ob etwas fehlt."

Plötzlich rückt ein junges Paar in den Fokus

Weil das Haus an einem Wanderweg liegt, werden Zeugen gesucht. Dabei gibt es nicht mal ein neueres Foto der Getöteten: In den letzten zehn Jahren ihres Lebens hat sie sich keinen neuen Pass mehr ausstellen lassen, auch einen aktuellen Personalausweis besitzt Martha Riewe nicht.

Eine Woche nach ihrem Tod scheint plötzlich Bewegung in den Fall zu kommen: Die Polizei sucht jetzt nach einem jungen Paar, das wenige Tage zuvor – angeblich im Auftrag der Getöteten – eine Besorgung erledigt hat. Die jungen Leute sind auf ihrem Weg ins Dorf mit Fahrrädern aus Richtung des Riewe-Anwesens gekommen und können gut beschrieben werden. Indes, der Aufruf ist nicht von Erfolg gekrönt. Nachdem Martha Riewe in aller Stille beigesetzt wird, gibt es einen weiteren Hoffnungsschimmer, dem Täter auf die Spur zu kommen.

Mit einer Spielzeugpistole fordert der Täter die Frau auf, ihr das Geldversteck zu verraten. Als sie sich wehrt, ermordet er sie. - © Polizei
Mit einer Spielzeugpistole fordert der Täter die Frau auf, ihr das Geldversteck zu verraten. Als sie sich wehrt, ermordet er sie. (© Polizei)

Herrensakko, Kindersonnenbrille und Plättchenpistole gefunden

Als Polizisten den Wald rund um das Anwesen durchkämmen, finden sie ein beiges Herrensakko der Größe 48, eine rote Kindersonnenbrille und eine Plättchenpistole. Dieser Spielzeugrevolver ist aus Kunststoff und in jedem Geschäft für Spielwaren erhältlich. Wieder ruft die Polizei Zeugen auf, sich zu melden – doch der entscheidende Durchbruch gelingt auch mit Hilfe der Fundstücke nicht. Vorerst.

Ein Dreivierteljahr ermittelt die Mordkommission im Fall Martha Riewe. Mehr als 160 Spuren werden überprüft, es gibt viele Verdächtige, doch die Tat wird nicht aufgeklärt. Stattdessen übermitteln die Beamten sichergestelltes Material mit DNA-Spuren ans Landeskriminalamt. Und klappen die Akten für den Augenblick zu.

Und dann: Ein Zufallstreffer

Doch als die Hoffnung fast geschwunden ist, den Mord an der 63-Jährigen jemals aufzuklären, geschieht das: 2001 wird ein Mann, der bis zur Berufsunfähigkeit in der Fleischindustrie gearbeitet und unbehelligt mit Frau und zwei Kindern in Steinhagen gelebt hat, als Drogenkurier überführt. Seine DNA wird getestet.

Und als die Ermittler etwas später mit Hilfe moderner Analysemethoden ungeklärte Tötungsdelikte neu aufrollen und diese DNA mit Ergebnissen aus der Datenbank abgleichen, landen sie den erhofften Treffer: Die Erbinformationsträger des Mannes befinden sich bereits dort! Es sind dieselben, die an einer Zigarettenkippe auf dem Grundstück von Martha Riewe sowie an einer Blutspur neben ihrer Leiche gefunden wurden.

Vom Einbrecher zum Mörder

Als es im Herbst 2005 zum Prozess vor dem Bielefelder Landgericht kommt, gesteht der Serbe die grausame Tat. Nachdem er beim Glücksspiel Schulden gemacht und davon gehört hatte, dass sich in dem Haus viel Geld befinden soll, wollte er sich so finanzielle Luft verschaffen. Mit vorgehaltener Spielzeugpistole, so sein Plan, wollte er die Rentnerin dazu bringen, ihm das Geldversteck zu verraten. Aber die Frau wehrte sich – und der heute 68-Jährige wurde vom Einbrecher zum Mörder.

„Lebenslänglich" lautete das Urteil der Richter. Allerdings hat der Mann in Deutschland nur zwölf Jahre seiner Strafe verbüßt: Im April 2017 wurde er aus der Haft entlassen, dem Ausländeramt übergeben und nach Serbien abgeschoben. Verbunden mit der Auflage, nie wieder nach Deutschland einzureisen – andernfalls käme er sofort wieder in Haft.