Beängstigende Schilderungen

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„Deutschland den Deutschen“: Rechte Parolen und Pöbeleien in Halle?

Nach dem Haller Oktoberfest soll eine Gruppe junger Männer rechte Parolen gegrölt und einen Mann eingekesselt haben.

Im Bereich zwischen Unterführung und Haller Event Center soll eine Gruppe "Deutschland den Deutschen" skandiert haben. | © Jonas Damme

Jonas Damme
05.11.2025 | 05.11.2025, 05:54

Halle. Was Louis M. (Name der Redaktion bekannt) schildert, klingt schockierend: Es ist Ende September, das beliebte Haller Oktoberfest mit mehr als 1.000 Besuchern, Livemusik und viel Alkohol hat gerade sein Ende gefunden. Der junge Mann, der seit mehreren Jahren als Aushilfskraft im Haller Eventcenter arbeitet, verlässt das Gebäude gegen 0.45 Uhr. Louis M. macht mit einem Kollegen vor dem Eingang eine schnelle Zigarettenpause, bevor es ans Aufräumen geht.

Da sieht er zwei junge, vermutlich betrunkene Frauen, die ebenfalls das Event Center verlassen und wenige Meter weiter anfangen, eine Parole zu grölen. „Explosionsartig“ habe der plötzliche verbale Ausbruch gewirkt, betont er im Gespräch mit dem HK. „Deutschland den Deutschen!“, sei klar herauszuhören gewesen. Dabei bleibt es nicht. „Mehrere Männer haben angefangen, das mitzurufen“, berichtet der 26-Jährige. Dann seien auch noch Ausländer-raus-Rufe hinzugekommen.

Der gebürtige Haller beschließt, die rechten Ausfälle nicht zu überhören. „Ich bin dann hin, habe die angesprochen“, erzählt Louis M. Mutig, aber auch gewagt, wie sich zeigt. Die rechte Gruppe nimmt sich den Eindringling vor, geht ihn verbal hart an. „Die Jungs haben mich eingekesselt. Das waren auf jeden Fall mehr als zehn Leute. Für mich war das eine sehr bedrohliche Situation.“ Zum Glück war der 26-Jährige aber ebenfalls nicht allein.

Gruppe junger Männer kesselt Haller ein

Im Bereich zwischen Unterführung und Haller Event Center soll eine Gruppe "Deutschland den Deutschen" skandiert haben. - © Jonas Damme
Im Bereich zwischen Unterführung und Haller Event Center soll eine Gruppe "Deutschland den Deutschen" skandiert haben. (© Jonas Damme)

„Ein Kollege kam auf dem Gabelstapler vorbei und fragte, ob ich Hilfe brauche. Die anderen haben gesagt ’Nein’, aber ich habe mich sofort an den Gabelstapler drangehängt und wir sind zu zweit weggefahren“, erzählt Louis M. Im gesicherten Logistikbereich habe er sich dann „verbal ausgekotzt“ und vom ersten Schreck erholt. Danach habe er erst mal weitergearbeitet - bevor er die Szene wirklich verarbeiten konnte.

Was Louis M. indes nicht getan hat: die Polizei gerufen. Auch sonst ist vom Vorfall bei Staatsschutz und den Sicherheitsbehörden nichts bekannt. Der Oktoberfest-Veranstalter, die „OWL Sport & Event GmbH & Co. KG“, gibt auf Anfrage ebenfalls an, nichts von den Geschehnissen zu wissen, auch wenn die Aushilfskraft betont, den Vorfall an die Vorgesetzten weitergegeben zu haben.

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Wenn es sich so ereignet hat, sei das natürlich schlimm, man „distanziere“ sich davon, betont Ralf Weber, Geschäftsführer der OWL Sport & Event GmbH & Co. KG, auf Anfrage. Bei ihm seien keine Informationen über den Vorfall angekommen. Wäre es auf dem Oktoberfest selbst passiert, wäre das Sicherheitspersonal eingeschritten, so Weber. Trotzdem sei das Ganze ein Anlass, die Security noch einmal bewusst hinsichtlich rechter Vorfälle zu „briefen“.

Sind die rechten Vorfälle in Halle, auf Sylt und anderswo strafbar?

Ein Grund, dass solche Aktionen nicht zuverlässig zur Anzeige gebracht werden, liegt darin, dass nicht immer klar ist, welche Ausrufe noch unter „Meinungsfreiheit“ fallen und welche bereits strafbar sind. Nach den skandalösen Vorfällen in der Pony-Bar auf Sylt befassten sich viele Juristen mit dieser Frage.

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So hatte die Flensburger Staatsanwaltschaft das Verfahren um die jungen Rechten, die im Sommer 2024 vor der Szene-Bar auf der Nordseeinsel ebenfalls „Deutschland den Deutschen!“ gegrölt hatten, mangels Tatverdacht eingestellt. Der Verdacht der Volksverhetzung habe sich nicht bestätigt. Viele Rechtsexperten, wie der Strafrechtler Vincent Ecke von der Humboldt-Universität zu Berlin, sehen das anders. Grundlegend für Volksverhetzung sei ein „böswilliges Verächtlichmachen“ eines Bevölkerungsteils, das „geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören“. Das sei mit den Slogans „Deutschland den Deutschen!“ und „Ausländer raus!“ deutlich gegeben.

Auch der Staatsschutz in Bielefeld gibt auf Anfrage unserer Zeitung keine eindeutige Antwort. Stattdessen schreibt Polizei-Sprecher Fabian Rickel: „Die Bewertung, ob die Parole strafrechtlich relevant ist, hängt vom Kontext ab und kann unter Umständen den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllen. Prüfung erfolgt durch die Staatsanwaltschaft.“

Zahl der politisch motivierten Straftaten in der Region OWL steigt

Sicher ist: Die Zahl solcher grenzwertigen Vorfälle und eindeutigen Straftaten, die gegebenenfalls der „politisch motivierten Kriminalität“ zugeordnet werden, steigt seit Jahren. 2020 verzeichnete das Polizeipräsidium Bielefeld laut Jahresbilanz noch 574 solcher politisch motivierten Taten (ohne Gewaltdelikte), 2024 waren es bereits 1.141. Den mit deutlichem Abstand größten Anteil machen dabei rechte Parolen, Gesten und Symbole aus. Allerdings werden die Vorfälle, selbst wenn sie zur Anzeige gebracht werden, in zwei von drei Fällen nicht aufgeklärt.

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