
Da kündigt also die Nummer eins einer Branche an, die Nummer zwei übernehmen zu wollen. Und die Wettbewerbshüter, die doch darüber wachen sollen, dass keine marktmächtigen Unternehmen entstehen, die künftig die Kundinnen und Kunden schröpfen, winken das alles durch? Immerhin wird durch die Fusion doch ein noch gigantischeres Unternehmen entstehen. Was auf den ersten Blick verwundert, entpuppt sich zwischen den Zeilen der Begründung des Kartellamtes als dramatische Machtverschiebung im Markt.
Und zwar nicht, indem die Premium Food Group (PFG, früher Tönnies) als mächtige Krake ihre Fangarme noch weiter auf die nachgelagerte Wertschöpfungsstufe ausdehnt, bei den Wurstwarenherstellern die Konditionen bestimmt und die eigenen Töchter womöglich bevorzugt. Natürlich ist diese Gefahr gestiegen - allerdings war die PFG-Tochter „zur Mühlen“ auch bislang schon die Nummer eins auf dem Wurstmarkt. Und dennoch sieht das Bundeskartellamt auch durch diesen Mega-Deal so gut wie keinen relevanten Teilmarkt, auf dem der Konzern jetzt einen Marktanteil von mehr als den als grenzwertig angesehen 40 Prozent aufweist.
Eine entscheidende Frage darf nicht außer Acht gelassen werden: Was wäre denn gewesen, wenn die Übernahme nicht genehmigt worden wäre? Es hätte mutmaßlich die Insolvenz von The Family Butchers bedeutet - das Unternehmen wäre vom Markt verschwunden. Bisherige Konkurrenten hätten seine Reste nach anderen Regeln unter sich aufgeteilt: Das wären in jedem Fall noch schlechtere Nachrichten für den Wettbewerb gewesen.
Mächtige Händler dominieren die Fleischwaren-Branche

Doch eigentlich ist der Blick auf die Begründung des Bundeskartellamtes für die Genehmigung des Deals aus ganz anderen Gründen spannend: In den Nebensätzen wird deutlich, wie sich die Kräfte mittlerweile verschoben haben. Denn die Wettbewerbshüter machen sich eher wenig Sorgen darum, dass die Lebensmitteleinzelhändler künftig nur noch zu „Mondpreisen“ von wenigen Wurstgiganten kaufen können und das Fleisch im Supermarktregal deshalb für uns alle teurer wird.
Im Gegenteil: Sie betonen, dass die mächtigen Händler ja mittlerweile selbst Werke für Fleisch- und Wurstwaren aufgebaut hätten. Mit denen sie den traditionellen Herstellern Mengen in den eigenen Regalen wegnehmen. Was wiederum zur Folge hat, dass diese ihre Werke nicht mehr auslasten können und in Schieflage geraten - wie eben TFB.
Der Hintergrund zum TFB-Deal: Darum darf das Versmolder Unternehmen übernommen werden
Die Macht in dieser neuen Welt, sie liegt also längst bei Lidl, Edeka, Kaufland und Co. Und gerade Lidl spielt diese Position auch gnadenlos aus, wie aus Branchenkreisen immer wieder zu erfahren ist. Nach HK-Informationen verkaufte TFB zu Spitzenzeiten 60 Prozent seiner Erzeugnisse an die Lidl-Märkte der Schwarz-Gruppe. Und selbst im Zuge der Sanierung sank dieser Anteil nur unwesentlich. Was unter dem Strich totale Abhängigkeit von einem Abnehmer bedeutet.
TFB in Versmold leidet unter gewaltigem Druck durch Lidl
Lidl - und das berichten seit Jahren auch andere Manager aus der Branche - übt gewaltigen Druck auf seine Lieferanten aus, um Konditionen und Bedingungen durchzudrücken. Die Drohung, Marken auszulisten, schwingt immer mit. Für „The Family Butchers“ hätte sie angesichts dieser Mengen die Pleite bedeutet. Lidl selbst könnte in einer solchen Situation die Kapazitäten der eigenen Werke erhöhen - unter dem Strich hat der Discounter den Wursthersteller in der Hand.
Chronik einer Krise: Wie das Unternehmen Reinert sich grundlegend wandelt
Und das ist auch der Grund, warum es in Versmold und Nortrup - an den Stammsitzen des aus der Fusion von Reinert und Kemper entstandenen Konzerns TFB - so ein großes Interesse gibt, die Übernahme durch die Premium Food Group jetzt vertraglich möglichst schnell perfekt zu machen. Der angeschlagene Fleischwarenhersteller braucht den mächtigen Mehrheitseigentümer im Rücken, um in den jetzt beginnenden Verhandlungen mit Lidl und Co. zu bestehen. Denn der Handel wird weiter Druck machen.
Es scheint so, als ob der Kampf um die Perspektive von TFB und die wertvollen Industrie-Arbeitsplätze gerade erst begonnen habe. Und dafür muss sich auch die PFG wappnen - immerhin kennt sie die Kämpfe auf dem Wurstmarkt durch „zur Mühlen“ schon zu Genüge.
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