„Schulen sind davon überrollt worden“: Haller Lehrerin will Bildungsreform

Altkreis Halle. Nachdem in Australien ein allgemeines Social-Media-Verbot für Kinder unter 16 Jahren erlassen wurde, erwägt inzwischen auch Schwedens Regierung, solche Einschränkungen einzuführen. Damit wollen die politischen Entscheidungsträger kriminellen Banden Einhalt gebieten, die sich ihre jungen Mitglieder vornehmlich über Social-Media-Kanäle suchen. Gefährlich sind diese Plattformen nicht nur deswegen, sondern auch weil sie dem Menschen Fähigkeiten des gesellschaftlichen Zusammenlebens abgewöhnen. Darüber sind sich Experten weitgehend einig. Die Landesregierung von Baden-Württemberg hat bereits auf die Trends der Zeit reagiert und im Rahmen einer Bildungsreform beschlossen, dass jede Jahrgangsstufe eine Unterrichtseinheit zu Künstlicher Intelligenz, Medienbildung und Informatik erhält. Ute Knemeyer ist Lehrerin für Biologie, Pädagogik und Physik am Kreisgymnasium Halle. Sie erlebt täglich, wie sich der veränderte Medienkonsum auf die Jugendlichen auswirkt, die sie unterrichtet. Die sinkende Aufmerksamkeitsspanne durch zu viele digitale Angebote und der unreflektierte Medienkonsum seien Probleme, derer sich die Schule künftig annehmen müsse. Dafür aber müssten erst mal die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sein. Pädagogik-Lehrerin aus Halle bemerkt sinkende Konzentrationsfähigkeit &bdquo;Die Schulen sind davon überrollt worden“, sagt Knemeyer. Längst sind Social-Media-Plattformen zu alltäglichen Begleitern geworden, auch bei der heutigen Eltern-Generation. Angemessener Konsum werde dementsprechend auch in vielen Elternhäusern nicht vorgelebt beziehungsweise vermittelt. &bdquo;Viele Dinge passieren jenseits der Schule. Wir müssen die Eltern da mit ins Boot holen“, findet die Pädagogik-Lehrerin. &bdquo;Manche Fünftklässler erzählen mir, dass sie das Handy uneingeschränkt nutzen dürfen“, sagt Knemeyer mit gut hörbarem Unverständnis. Durch die vielen technischen Geräte sowie Tablets – auch im Schulalltag – entstehe &bdquo;ein großes Ablenkungspotenzial“. Das mache sich auch beim Lesen von Texten bemerkbar. Beim analogen Lesen sei die Konzentration der Schüler demnach wesentlich höher als auf Bildschirmen, so Knemeyer. Die Anonymität sei ein weiteres Problem der heutigen Vernetzung, das zu Enthemmung führe. &bdquo;Die Konsequenzen des eigenen Handelns sind verschleiert“, weiß sie. Maßnahmen zum Thema: Handys in der Pause oder Unterricht? Diese Regeln gelten an Haller Schulen Trotz all dieser bekannten Tendenzen geschieht verhältnismäßig wenig an den Lehranstalten. Zwar gebe es auf Initiative der Landesanstalt NRW sogenannte Medienscouts an den Schulen. Das sind Schüler aus der Mittelstufe, die von Beratungslehrern dahin gehend geschult werden, jüngeren Mitschülern Grundsätze des verantwortungsvollen Umgangs mit Medien beizubringen. &bdquo;Der Output dieses Projekts hält sich allerdings in Grenzen“, sagt Knemeyers Kollege Ansgar Jaschke, der sich dem Pressegespräch angeschlossen hat. Er selbst bildete früher Schüler zu Medienscouts aus. Jaschke und Knemeyer sind sich einig: Ein Fach wie Medienerziehung oder zumindest eine regelmäßige Auseinandersetzung mit dem Thema im schulischen Rahmen würden sie begrüßen. &bdquo;Das Thema ist grundsätzlich unterrepräsentiert in der Schule“, hält Knemeyer fest. Landtagsabgeordneter aus Versmold warnt vor Manipulation auf Social Media Ein neues Schulfach einzuführen, ist indes Sache der Landespolitik. Thorsten Klute aus Versmold sitzt als Abgeordneter im Landtag und ist dort unter anderem stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Schule und Bildung. Mit der Anfrage zum Thema Medienerziehung rennt das HK offene Türen beim SPD-Politiker ein – das wird schnell deutlich. Die gesellschaftlichen Entwicklungen rund um Social Media bereiten ihm große Sorgen. &bdquo;Wir haben in der Fraktion zu diesem Thema beraten“, berichtet Klute. &bdquo;Das Bedrohungspotenzial ist riesig.“ Die Gefahr entstehe vor allem durch gezielte Manipulation von Algorithmen aus dem Ausland, mit deren Hilfe Einfluss auf das politische Klima genommen werde. &bdquo;Es wird gezielt so viel Dreck in die Köpfe unserer Kinder geschleudert“, sagt er mit bitterem Unterton. &bdquo;Wer ein Beispiel dafür sucht, der braucht sich nur mal die Präsidentschaftswahl in Rumänien anschauen“, sagt Klute. Besagte Wahl war Ende 2024 für ungültig erklärt worden, nachdem Nachrichtendienste eine erhebliche Manipulation des Wahlausgangs von russischer Seite aus festgestellt hatten. Laut übereinstimmenden Medienberichten hatte der prorussische Kandidat Călin Georgescu, dem vorher kaum Chancen zugesprochen worden waren, über die Plattform TikTok erhebliche Unterstützung mithilfe koordinierter Konten, Empfehlungsalgorithmen und bezahlter Werbung aus Russland erhalten. Klutes Vorschlag: Schulen sollten Medienerziehung in Fächer einbinden &bdquo;Wir müssen lernen, den Unterschied zischen Wahrheit und Manipulation zu erkennen“, ist Klute überzeugt. Das gelte sowohl für Kinder als auch für Erwachsene, deswegen seien nicht nur Schulen, sondern etwa auch Betriebsräte in der Pflicht, ein Bewusstsein für die Tücken von Social Media zu schaffen. &bdquo;Ob ein neues Schulfach das Richtige ist, da mache ich mal ein Fragezeichen dahinter“, fügt Klute hinzu. Dabei liege die Schwierigkeit nicht im Beschluss eines neuen Fachs, sondern in der Umsetzung. &bdquo;Wissenschaft und Schule müssten da erst mal in Vorleistung gehen – es gibt ja gar keinen Lehramtsstudiengang für diesen Bereich.“ Vielmehr sei es an der Zeit, die Gefahren moderner Medien, wie Manipulation durch Social-Media-Beiträge, in den Deutsch-, Englisch- oder Religionsunterricht zu implementieren. Damit müsse früh begonnen werden, so Klute. Ein Social-Media-Verbot für Jugendliche hält er für wenig zielführend. Bei Grundschulkindern halte er aber zumindest ein Handyverbot innerhalb der Schule für sinnvoll. &bdquo;Der Unterricht darf nicht an der Lebensrealität der Schüler vorbeigehen“, findet der Versmolder. Diese Lebensrealität bedeutet für Fridolin Flocke, Neuntklässler an der Haller Gesamtschule, etwa zweieinhalb Stunden, die er täglich mit Social Media und seinem Smartphone verbringt, wie er selbst sagt. Der 14-Jährige nutzt dann vor allem TikTok, YouTube und manchmal Snapchat. &bdquo;Man findet zum Beispiel auf TikTok viele praktische Sachen, wie Rezepte oder so etwas – aber auch viele Fake-News“, weiß er. Zwar traue er sich noch zu, zwischen seriösen Quellen und solchen, die das nicht sind, zu unterscheiden. Ob jüngere Kinder das auch können, bezweifelt er allerdings: &bdquo;Die sind oft noch sehr leichtgläubig.“ Die Regeln, mit denen auf TikTok gespielt wird, kennt er genau: &bdquo;Dort wird alles mit viel Trara berichtet, sehr emotional und mit viel eigener Meinung – im Fernsehen sind die Nachrichten deutlich professioneller und sachlicher.“ Hier sollte die Schule ansetzen, wenn es nach ihm geht: &bdquo;Ich finde schon, dass die Schule da mehr aufklären sollte. Im Unterricht sollte vermittelt werden, wie das Echte vom Fake zu trennen ist.“ Aktuelle Nachrichten bekommen Sie täglich über den WhatsApp-Kanal des HK

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