Exklusive Einblicke: Spur der Geldautomatensprenger führt auch nach Halle

Bielefeld. Diese Geschichte beginnt im Juni 2023, ein paar Kilometer hinter der Grenze von Ostwestfalen. Um kurz nach drei Uhr, mitten in der Nacht, fliegt in einem kleinen Örtchen im Kreis Soest ein Geldautomat mit einem lauten Knall in die Luft. So, wie es alleine in NRW in den vergangenen Jahren Hunderte Male passiert ist. Als keine Stunde später einige Kilometer weiter ein Blitzer in Hamm auslöst und mindestens zwei Maskierte in einem weißen hochmotorisierten Boliden ablichtet, kommen die Ermittler schließlich nicht nur den Geldautomatensprengern auf die Spur. Den weißen Audi RS 3 finden Ermittler ein paar Stunden nach der Explosion, bei der die Kriminellen mehrere Tausend Euro erbeuteten und einen noch größeren Schaden hinterließen, im niederländischen Utrecht. Das Fahrzeug ist ein gern genutztes Modell der sogenannten Sprenger-Szene. Und die Stadt ist neben der Hauptstadt Den Haag und der Metropole Amsterdam die Hochburg der Szene. Aus diesen Städten kommen die Kriminellen nach NRW und in andere Bundesländer, um das schnelle Geld zu machen. Zumindest in ihrer Theorie. Für ihre Taten nutzen sie Sportautos, die das Tempo von 250 Stundenkilometern locker toppen. Sie setzen Sprengstoff ein, den sie selbst anmischen und der tödlich sein kann. Und sie rasen so schnell wieder über die Grenze, dass Polizisten eine Verfolgung oft schon frühzeitig abbrechen - zu gefährlich. Und sowieso sind die Streifenwagen viel langsamer als die &bdquo;Sprenger-Kutschen“. Etwa 1.000 &bdquo;Sprenger“ in den Niederlanden &bdquo;Die Sprenger-Szene in den Niederlanden umfasst nach unseren Kenntnissen etwa 1.000 Personen“, sagt Kriminaloberrat Michael Jaks vom Landeskriminalamt (LKA) in NRW. &bdquo;Innerhalb der Szene gibt es viele verschiedene Zusammenschlüsse.“ Recherchen zeigen, dass es immer wieder Überschneidungen untereinander zu geben scheint. In den allermeisten Fällen haben die Sprenger einen marrokkanischen Migrationshintergrund. &bdquo;Die Personen sind 17 oder 18 Jahre alt, manche sind in den 20ern. Höher in der Hierarchie aber auch mal Anfang 30“, sagt Jaks. &bdquo;Die Vita der Sprenger liest sich in vielen Fällen aber gleich: sozial schwaches Wohnumfeld, wenig Perspektiven, in kriminellen Milieus sozialisiert und auch schon früh straffällig.“ Zurück zu der Sprengung im Kreis Soest. Dank des Blitzerfotos sowie einer weiteren Radaraufnahme, noch vor der Tat, haben die Ermittler früh eine Spur. Das Vorgehen auch hier: typisch. Kennzeichen klauten die Kriminellen zuvor in Deutschland. Der Wagen stammte aus einer Autovermietung im Raum Gronau. Den Mietvertrag unterzeichneten wohl Personen, denen Ermittler zumindest eine Nähe zur Sprenger-Szene attestieren. Kriminelle haben verschiedene Rollen Laut LKA-Kriminaloberrat Jaks gibt es innerhalb dieser Szene verschiedene Rollen. &bdquo;Manche Leute organisieren Sprengstoff oder Fahrzeuge, andere spähen im Vorfeld Banken aus oder sorgen in manchen Fällen für einen Unterschlupf.“ Jaks berichtet außerdem: &bdquo;Werden Personen verhaftet, rücken unmittelbar neue Akteure nach.“ Zudem gelten Sprenger in kriminellen Szenen unter Jugendlichen regelrecht als Vorbilder. Generell sind sich niederländische Behörden und Jaks einig: Das Netzwerk der Sprenger ist weit verzweigt, reicht in gewissen Fällen selbst bis nach Deutschland. So finden Ermittler etwa schnell heraus, dass im Netz der Automatensprenger die deutsche Autovermietung aus Gronau keine unwichtige Rolle zu spielen scheint. Bei mehreren Sprengungen im gesamten Bundesgebiet tauchten Fahrzeuge des Unternehmens auf, Fahrzeugdaten legen zudem nahe, dass die Autos auch für weitere Sprengungen genutzt worden sein könnten. Ermittler meinen: Der Vermieter soll seine hochmotorisierten Autos wissentlich Kriminellen überlassen haben. Im Netz sind seine Fahrzeuge auch heute noch zu finden: zum Beispiel ein Audi RS 5 oder ein Mercedes AMG. Der Vermieter sitzt seit gut einem Jahr in Untersuchungshaft. Gegen ihn sowie seine Lebensgefährtin läuft aktuell der Prozess. Mann aus Halle im Fokus der Ermittler Der junge Autovermieter von der deutsch-niederländischen Grenze ist bei Weitem nicht der einzige, der von den Geldautomatensprengungen zumindest indirekt zu profitieren scheint. 2022 klickten beispielsweise im Kreis Gütersloh die Handschellen. Bei mehreren Sprengungen in Deutschland, darunter 2021 in Rheda-Wiedenbrück, tauchten PS-starke Autos der Marke Audi auf, die auf einen Mann aus Halle zugelassen waren. Über einen weiteren Autovermieter aus den Niederlanden sollen die Fahrzeuge schließlich in der Sprenger-Szene gelandet sein. Zwei der Wagen wurden Anfang 2022 in dem Nachbarland gefunden. Ausgebrannt. Der Mann aus dem Kreis Gütersloh wurde später für seine mutmaßliche Unterstützung der Sprenger verurteilt, ging aber in Revision. &bdquo;Crime as a Service“, nennt Jaks solche Autovermieter, die Sprengern Fahrzeuge zur Verfügung stellen. &bdquo;In der Regel dürften die Sprenger über gemeinsame Bekannte an entsprechende Vermietungen gelangen. Und wir wissen mittlerweile, dass es nicht nur eine Handvoll solcher Angebote in NRW gibt“, sagt der LKA-Experte. &bdquo;Die Dunkelziffer wird noch weitaus höher sein.“ Fahrzeuge der Sprenger werden modifiziert Nicht immer sind es aber Mietfahrzeuge, die Sprenger nutzen. &bdquo;Einige Tatfahrzeuge sind im Besitz der Kriminellen. Einige wurden sogar modifiziert, beispielsweise mit Blaulicht, um andere Verkehrsteilnehmer zu täuschen und die Flucht zu erleichtern“, berichtet Jaks. Automatensprenger beschäftigen die Sicherheitsbehörden seit Jahren. Das Vorgehen: meist identisch. Kriminelle Experten mischen aus starker Pyrotechnik eigene Päckchen mit Sprengstoff an. Mit PS-starken Autos kommen die Sprenger über die Grenze, meist zwei bis vier Personen. Ein beliebtes Outfit: Skimasken und Regenanzüge der Marke Hema oder dunkle Sportkleidung. Die Sprengung selbst dauert meist wenige Sekunden. Mit einer Brechstange hebeln die Kriminellen den Automaten auf und platzieren ihren Sprengstoff der Marke Eigenbau. Bei erfolgreicher Sprengung winken Summen im fünfstelligen bis in den sechsstelligen Bereich, die sie in Sporttaschen verstauen, ehe sie die Flucht in halsbrecherischer Geschwindigkeit ergreifen. Mehrere Sprengungen in OWL - ein Schwerpunkt? &bdquo;Das Vorgehen hat sich in den vergangenen Jahren kaum verändert“, sagt Jaks. &bdquo;Früher haben die Kriminellen eher ein Gasgemisch zum Aufsprengen genutzt, das hat sich aber schon lange geändert.“ Einzig beim Fluchtverhalten gab es vereinzelt neue Vorgehensweisen. &bdquo;Manchmal haben Kriminelle versucht, sich in abgelegenen Garagen, Scheunen oder Waldstücken für ein paar Stunden zu verstecken“, berichtet Jaks. So einen Fall gab es offenbar auch in OWL, als vor geraumer Zeit Kriminelle einen Automaten in Bad Oeynhausen sprengten. Die Regel sei so ein Vorgehen aber nicht gewesen. In der Region Ostwestfalen krachte es in den vergangenen Jahren mehrfach. Einen Schwerpunkt sehen Ermittler hier aber nicht - trotz vorteilhafter Gegebenheiten für Sprenger: Viele Geldautomaten liegen in Nähe von Autobahnen, die innerhalb kurzer Zeit in die Niederlande führen, teils stehen sie zudem recht weit weg von den nächsten Polizeistationen. Jaks ist ein Fall jedoch genau im Kopf geblieben: 2023 schoss ein Jäger aus Bad Oeynhausen auf das Fluchtfahrzeug, beschädigte die Hydraulikleitung des Autos. Das erleichterte die Spurensuche der Polizei. Die Täter wurden später tatsächlich ermittelt und bereits verurteilt. Sprengungen gehen rapide zurück So oder so: Die Ermittlungsbehörden haben mittlerweile Dutzende Automatensprenger festgenommen. Die Zahlen der Sprengungen gehen rapide nach unten. &bdquo;Ein klarer Beweis für erfolgreiche Polizeiarbeit“, urteilt Jaks. Früher rappten Personen aus der Szene noch über das Sprengen von Geldautomaten und ließen die ganze Welt wissen, was sie von der deutschen Polizei hielten. Mittlerweile, so scheint es, ist es ruhiger um die Szene geworden, öffentlich thematisiert werden nun vor allem Prozesse gegen verhaftete Sprenger. &bdquo;Was die Szene jetzt macht, lässt sich aber kaum sagen. Da gibt es verschiedene Überlegungen“, sagt Jaks. &bdquo;Dass sie ihren Lebensstil ändern, ist aber sehr unwahrscheinlich“.

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