Haller lehnt Reha ab und riskiert Gesundheit für Comeback seiner Pizzeria

Halle. Seit Tagen zeigt das Thermometer über 30 Grad, in den Straßencafés genießen die Menschen den Sommer, Jannik Sinner gewinnt die Terra Wortmann Open, die Squadra Azzurra stürmt ins EM-Finale und Domenico Gentili steht fröhlich an seinem Pizzaofen, während ihm die Kundschaft die Bude einrennt. So hätte es in diesen Monaten laufen können. Un’estate italiana - ein italienischer Sommer, wie ihn einst Gianna Nannini besang. Aber es kam anders. Fragen Sie mal einen Meteorologen oder einen Schweizer Nationalspieler, die können Ihnen sagen, wie es wirklich war. Oder fragen Sie besser Domenico Gentili. Der weiß es erst recht und nimmt dabei kein Blatt vor den Mund: &bdquo;Es war alles scheiße. Große Scheiße und kleine Scheiße.“ Das geringere Ausmaß bezieht sich dabei auf die italienischen Fußballer, die nach Ansicht des Gastronomen derart schlecht und ohne Leidenschaft gespielt haben, dass Gentili fast schon ins Überlegen gekommen ist, ob man denen oder ihm gerade das Knie aufgeschnitten hatte und seitdem eine Metallplatte mit Schrauben die Knochen zusammenhält. Aber es war sein Gelenk und somit sind wir bei der von ihm zitierten &bdquo;großen Scheiße“, die seit Wochen dazu führt, dass der gebürtige Italiener seine Osteria Gentili an der Haller Bahnhofstraße schließen muss. &bdquo;Ich darf das linke Knie nicht belasten und kann nur wenige Schritte mit Krücken gehen. Ich liege den ganzen Tag im Bett und langweile mich“, sagt der 53-Jährige. Netflix ist leergeschaut und das Vormittagsprogramm der Privatsender könnte er chronologisch rezitieren. Es reicht, Gentili möchte schnell wieder zurück in sein Restaurant und an den Pizzaofen, nur dort fühlt er sich richtig wohl. Haller Pizzabäcker sieht England im EM-Finale Er hat ja ohnehin schon die besten Wochen des Jahres verpasst. Das Tennisturnier, die erste richtige Sommerwoche - alles vorbei, ohne Gäste in seiner Osteria &bdquo;So viele Leute waren in der Stadt. Und zur EM hätte ich auf unserer Terrasse einen Fernseher hingestellt und alle hätten Fußball schauen können“, sagt Gentili. Im Notfall Italien, auch wenn dabei die Augen geschmerzt hätten, oder zumindest Deutschland oder die starken Spanier. &bdquo;Die sind richtig gut, das wird schwer für Deutschland im Viertelfinale. Ich persönlich glaube, dass im Finale Spanien gegen England spielt“, tippt der Gastronom. &bdquo;Mein Arzt hat gesagt, dass es eigentlich sechs bis acht Monate dauert, bis alles verheilt ist. Er empfiehlt mir auch eine Reha, aber dafür fehlt mir die Zeit“, sagt der gebürtige Italiener. Um den 25. Juli herum will er wieder in der Pizzeria stehen, dann soll die Osteria wieder öffnen. &bdquo;Ich möchte es, aber ich muss es ja auch“, sagt Gentili. Sechs Wochen ohne Einkünfte kann er nicht so einfach wegstecken. Zumal er schon zum Jahreswechsel wegen einer Operation am Fuß wochenlang ausgefallen war. Zwischenzeitlich habe er sogar darüber nachgedacht, das Restaurant zu verkaufen. &bdquo;Aber das kann ich nicht. Ich habe mir hier etwas aufgebaut. Das war meine Idee“, sagt Gentili. Der Gedanke verschwand wieder, nun will er weiter kämpfen, auch wenn die ganze Sache sehr an den Nerven zerrt. &bdquo;Würde ich verkaufen, könnte ich in die Reha gehen und richtig gesund werden“, sagt Gentili. So befürchtet er, dass sein Knie nie wieder ganz das alte wird. Leidenschaft geht ihm vor Gesundheit, aber reden Sie das mal einem Italiener aus?! Der Unglücksroller ist verkauft &bdquo;Vor zehn Jahren hätte ich das alles noch besser weggesteckt, aber jetzt bin ich 53 Jahre alt“, sagt Gentili, der immer noch starke Schmerzen im Knie hat. Vielleicht wären auch die Folgen des Unfalls vom 22. Mai harmloser gewesen, wenn die Knochen ein paar Jahre jünger gewesen wären. &bdquo;Ich hätte nie gedacht, dass ich mich so schwer verletze. Ich war auf dem Roller unterwegs, mit gerade mal 20 Stundenkilometer“, erinnert sich Gentili. Die Straße war etwas nass und er rutsche so unglücklich weg, dass es ihm das Knie zertrümmerte. &bdquo;Ich wollte nur eine kleine Runde fahren, aber so ist nun einmal das Leben“, sagt Gentili. Den Roller hat er kurz nach dem Unfall verkauft und gefährliche Dinge hat er ab sofort aus seinem Leben gestrichen. &bdquo;Ich kann mir nicht mehr erlauben, noch einmal längere Zeit auszufallen“, sagt der 53-Jährige. Früher sei er gerne Ski gefahren, am liebsten im Aostatal an der Grenze zur Schweiz. Aber das ginge nun nicht mehr. Verzweifelt hat Gentili in den vergangenen Wochen nach einem professionellen Pizzabäcker gesucht. Einen, der den von ihm nach einem Geheimrezept gekneteten Teig von Hand formt und belegt. &bdquo;Die meisten machen Pizza im Blech, das ist doch nichts“, sagt Gentili. Er hat überall nachgefragt, auch viele alte Freunde in Italien. Aber niemand hat Zeit. &bdquo;In Italien gibt es in der Gastronomie derzeit viel zu wenig Personal. Einige Hotels können schon gar nicht mehr öffnen“, sagt Gentili. Ein Freund von ihm arbeite täglich von 6 bis 23 Uhr. &bdquo;Er muss das Essen für 800 Leute vorbereiten.“ Ab September könnte er nach Halle kommen, dann sei die Saison in Italien vorbei. &bdquo;Das nützt mir doch nichts. Dann ist hier auch alles vorbei“, sagt der 53-Jährige. Sommerferien fallen wegen der Wiedereröffnung aus Gentili hat sogar seinen 23-jährigen Sohn aus erster Ehe gefragt, ob dieser nicht aus Italien rüberkommen möchte. &bdquo;Die jungen Leute sind nicht mehr belastbar. Er wollte nicht, außerdem möchte er generell nicht nach Deutschland“, sagt Gentili, der in Perugia geboren wurde und später 28 Jahre lang in Venedig gelebt hat. &bdquo;Für meine Frau ist das ja auch alles sehr viel Stress“, weiß Gentili. Er brauche viel Hilfe und sie sei ständig für ihn da. Zudem müsse sie sich um die drei kleinen Kinder kümmern. &bdquo;Wir haben hier keine Eltern vor Ort, denen wir die Kinder mal anvertrauen könnten“, sagt Gentili. &bdquo;Ich wollte immer selbstständig sein, ich gebe das auch nicht auf. Zudem habe ich viel Geld investiert.“ Aber eins hat er aus den Miseren der vergangenen Wochen gelernt. &bdquo;Zeit ist nicht Geld, Zeit ist Leben“, sagt der Gastronom. Er arbeite gerne 14 Stunden am Tag, das mache ihn nichts aus. Aber er wisse auch, wie wichtig die Zeit mit der Familie sei. &bdquo;Wir wollten im Sommer nach Italien fahren. Drei Tage zu meinen Eltern, dann weiter ans Meer und zum Abschluss nach Venedig.“ Alles war geplant und gebucht. Nun fällt der Urlaub aus, die Wiedereröffnung geht vor. &bdquo;Dann machen wir es halt im nächsten Jahr“, sagt Gentili. Mit dem Pizzateig verhält es sich so wie mit Nutella &bdquo;Ich komme wieder, auch wenn ich beim Stehen wieder Schmerzen bekommen werde. Ich bin ein fröhlicher Mensch und lache immer. Manchmal ist das nur Fassade. Ich stand vor meiner letzten Fußoperation eineinhalb Jahre mit Schmerzen im Restaurant und habe es niemanden gesagt“, sagt Gentili. Der Glaube an seinen Körper ist gesunken, umso mehr vertraut er seinen Kochkünsten. Genauso wie den Schmerz wird er darum auch das Pizzarezept weiterhin für sich behalten. &bdquo;Warum soll ich es verraten? Es kennt doch auch niemand die Zutaten von Nutella oder Coca-Cola“, sagt der Pizzabäcker.

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