Freizeit Fehlanzeige

Haller suchen Hilfe: Rentner-Ehepaar findet seit Monaten keine Pflegekraft

Brigitte und Manfred Störmer sind 71 und 77 Jahre alt. Aber sie brauchen keine Pflege für sich, sondern für ihre beiden schwerstbehinderten Söhne. Es ist ein kraftraubender Wettlauf gegen die Zeit.

Manfred Störmer sucht für seine beiden schwerstbehinderten Söhne eine Pflekraft. Seine Frau und er benötigen dringend Entlastung. Nach einem ersten Bericht im Haller Kreisblatt vor rund fünf Jahren fanden sich einige Spender und ohne Bezahlung arbeitende Handwerker, so dass das Badezimmer in ein barrierefreies Bad umgestaltet werden konnte. | © Uwe Pollmeier

Uwe Pollmeier
18.12.2023 | 20.12.2023, 10:43

Halle. „Wenn der Fernseher läuft, sind sie ruhig. Die Jungs schauen sich diese Zeichentrickserie gerne an“, sagt Manfred Störmer. Auf dem Bildschirm im Wohnzimmer der Hesselner Familie flitzt gerade die Hyäne Zig mit Messer und Gabel in den Pfoten durch die Gegend. Stets bereit, die Meerjungfrau zu verputzen. Die Dame mit der Flosse wird jedoch von Sharko beschützt, einem Hai, der nicht zulässt, dass ihr etwas passiert. So wie bei Zig & Sharko auf Super RTL stehen auch Manfred Störmer und seine Frau Brigitte schützend vor ihren beiden Söhnen, und das seit fast 50 Jahren. Denn die beiden Trickfilmfans Alex und Markus sind 47 und 48 Jahre alt und seit ihrer Geburt schwerstbehindert.

Die Störmers, die seit 1986 in dem Einfamilienhaus leben, sind in all den Jahren oft bis an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gegangen, mehrmals haben sie diese auch überschritten. Mittlerweile sind sie 71 und 77 Jahre alt und ihre Geburtsdaten sind nicht nur Zahlen auf dem Papier. „Natürlich spüren wir das Alter, es wird immer mehr“, sagt Brigitte Störmer, während sie am Küchentisch sitzt und einmal durchschnauft. Das Rheuma macht ihr zu schaffen. Alles tut weh und sie kann nicht mehr kräftig anpacken. Ihre Söhne anzuziehen oder zu waschen ist für sie ein nicht zu bewältigender Kraftakt.

Das Ehepaar benötigt dringend Unterstützung. Nicht für sich selbst, aber bei der Pflege ihrer beiden Kinder Alex und Markus. „Seit Monaten versuchen wir, einen Pflegedienst zu bekommen. Es klappt nicht“, sagt Manfred Störmer. Zwei Stunden am Vormittag würden schon genügen, um die Körperpflege der Söhne zu übernehmen und das Frühstück in mundgerechte Häppchen zu schneiden. „Und vielleicht noch einmal ein oder zwei Nachmittage in der Woche, an denen jemand mit ihnen spazieren geht oder mal ein Eis isst“, ergänzt Brigitte Störmer.

Geld ist da, aber das Personal fehlt

Viele Jahre lang ging es einigermaßen gut, mitunter holte man sich studentische Aushilfen ins Haus, die gegen Bezahlung halfen. Aber dann wurde die Personalnot immer größer. Zahlreiche Pflegedienste haben die Störmers schon kontaktiert, auf verschiedensten Wegen und auch über die Grenzen von Halle hinaus. Das Ergebnis: Ein Interessent aus Hessen, ein heimischer Pflegedienst, der nur bis Halle fahren will und für den die zwei zusätzlichen Kilometer bis Hesseln zu weit sind, sowie zahlreiche weitere Absagen mangels Personal von der Agentur für Arbeit oder den Universitäten in Bielefeld und Osnabrück.

Für die Störmers ist es längst ein Wettlauf gegen die Zeit. Wie lange können sich die beiden noch um ihre Kinder kümmern, wann kommt bei ihnen der gesundheitliche Knick, der sie auf ihrem Marathonlauf ohne Ziellinie ausknockt? „Wenn einer von uns beiden mal nicht mehr kann, ist alles vorbei“, sagt Manfred Störmer. Die Finanzierung wäre gesichert, das Pflegegeld für die beiden Söhne mit Pflegegrad 5 kommt, aber es fehlt am Menschen, die sich dieses Geld durch diese Arbeit verdienen wollen.

Die Hauptarbeiten würden die Störmers weiterhin selbst erledigen. „Man legt uns aber leider nur Steine in den Weg. Kürzlich hat der Hersteller der Windeln diese dünner gemacht. Jetzt halten sie meistens nicht mehr die ganze Nacht hindurch“, sagt Brigitte Störmer. „Jeden Morgen muss ich das Bett von unserem Sohn neu beziehen.“ Das kostet Kraft und Nerven.

Zukunftsängste rund um die Uhr

Pausen gibt es für die beiden Senioren praktisch nicht, dabei hätten die Störmers diese durchaus nötig. „Wenn wir dann doch mal auf dem Sofa sitzen, können wir eigentlich nur heulen“, sagt Manfred Störmer. Der Gedanke „Wie soll es mal weitergehen?“ kreist immer häufiger durch ihre Köpfe. Mit 40 oder 50 schiebt man ihn noch zur Seite, aber mit über 70 Jahren sieht es anders aus. Schwer wie Blei verharrt er im Kopf, rund um die Uhr. „Auch nachts lässt es einen nicht in Ruhe. Man denkt über alles nach und findet keinen Schlaf mehr“, sagt die 71-jährige Brigitte Störmer.

Sie döst bestenfalls im Zwei-Stunden-Rhythmus vor sich hin und um 4.30 Uhr ist die Nacht für sie eh zu Ende, da sie die erste Waschmaschinenladung anstellen und die Söhne für ihre Arbeit beim Wertkreis in Brockhagen vorbereiten muss. Noch eine Spur anstrengender wird die Nacht, wenn einer der Söhne mal wieder nicht schlafen kann und dann pausenlos an die Wände klopft.

Kurzzeitpflege heißt ja eigentlich das Zauberwort für viele Angehörige: Die zu pflegende Person einfach mal befristet in eine Betreuungseinrichtung geben und selbst mal für zwei, drei Woche abschalten und die Füße hochlegen. „Wir haben das mal versucht, es geht nicht. Außerhalb ihrer vertrauen Umgebung lassen sich Markus und Alex nicht anfassen und sie essen nichts“, sagt Manfred Störmer. Der Versuch endete damals darin, dass das Heim schon am ersten Tag wieder anrief und das Ehepaar darum bat, ihre Kinder umgehend wieder abzuholen. „Sie fühlen sich in ihrer eigenen Umgebung wohl, dann können auch Fremde dabei sein. Aber außerhalb, das funktioniert einfach nicht.“

Um Hilfe betteln liegt ihnen fern

Die Störmers sind ganz sicher keine jammernden Senioren, die neidvoll auf jene Bilderbuchfamilien schauen, die in der Vorweihnachtszeit in jedem zweiten TV-Werbespot auftauchen. Sie haben sich immer durchgekämpft. Der 77-Jährige hatte lange gezögert, bis er zum Hörer griff und das „Haller Kreisblatt“ anrief. “Wir sind am Ende“, sagt er offen. „Wenn nicht bald eine Unterstützung kommt, geht alles den Bach runter.“

Die einzige Alternative wäre die, welche die Störmers in all den Jahrzehnten zuvor kategorisch abgelehnt hatten. „Wir müssten die Jungs in ein Heim geben“, sagt Manfred Störmer. Aber wo sollen zwei Endvierziger hin, die im Kopf noch Kinder sind? „Es gibt keine passenden Angebote für unsere Kinder. Wir können sie doch nicht mit lauter Senioren zusammenleben lassen“, sagt Manfred Störmer. Man habe sich Altenheime angeschaut und sei geschockt gewesen. „Das sind doch meistens Verwahranstalten für alte Menschen. Da können doch unsere Jungs nicht leben.“ Es sei traurig, dass für solche Menschen nichts gemacht werde. Sie fallen einfach so durch das gesellschaftliche Raster.

„Wir haben uns unser ganzes Leben lang aufgerieben, nun sind wir kaputt“, gesteht Brigitte Störmer. Und auch der Zustand der beiden Kinder hat sich immer weiter verschlechtert. Markus saß zwar immer schon im Rollstuhl, aber Alex konnte anfangs noch laufen“, erklärt Manfred Störmer. Sie können alles verstehen , sprechen können sie aber nicht. Neben zaghaften Gesten besteht ihre Kommunikation nur aus Lauten, die sie von sich geben. Aktuell hat Alex auch noch Probleme mit den Nieren, möglicherweise muss er sogar operiert werden.

Es muss doch Menschen geben, die Arbeit suchen

„Wir konnten immer nur kleine Schritte machen“, geben sich die Störmers bescheiden. Und das habe ihnen auch stets das kleine private Glück beschert, das jeder haben muss, wenn er nicht grunddepressiv durchs Leben gehen will. Aber jetzt treten die Störmers auf der Stelle und die Uhr tickt. Jeder will für seine Kinder nur das Beste und für sie da sein, zumindest bis sie auf eigenen Beinen stehen. Dieser Zeitpunkt wird für die Störmers nie kommen. Sie werden da sein müssen, bis es nicht mehr geht.

„Alles, was wir haben, nützt uns nichts, wenn wir nicht das bekommen, was wir brauchen“, sagt Manfred Störmer. „Überall werden Stellen abgebaut, es muss doch Menschen aus dem Pflegebereich geben, die einen Job suchen.“ Oder auch Studenten, die sich etwas dazuverdienen möchten. „Wir müssen das Beste aus alledem machen. Es fällt nun einmal nichts vom Himmel“, sagt Manfred Störmer pragmatisch. Und dennoch hofft er auf ein kleines Weihnachtswunder. Auf seinem Wunschzettel stünde nur ein Wort: „Pflegekraft“.

Und obwohl das Christkind natürlich jede Adresse auf der ganze Welt kennt und die Geschenke heimlich anliefert, darf es in diesem Fall gerne vorab eine E-Mail an manfredstoermer74@gmail.com schreiben. Und wer sich direkt bewerben möchte, ist dort ebenso richtig aufgehoben.