Der Wochenkommentar

Keine Bundesjugendspiele mehr: Wir trauen uns Leistung nicht zu

Das Aus für jeden Wettkampfcharakter bei Schulsportfesten verdient es, ausführlich diskutiert zu werden. Weil es nicht sein kann, dass wir aus Angst vor Ausgrenzung Ansporn aus dem Leben verbannen.

Kinder wollen sich im sportlichen Wettkampf messen und Ziele stecken. Da ist Raum für Enttäuschungen, aber eben auch für wertvolle Erfolgserlebnisse. | © imago/Sven Simon

Marc Uthmann
12.08.2023 | 16.08.2023, 11:55

Wenn ich in diesen Tagen die Debatte um die Abschaffung der Bundesjugendspiele an den Schulen verfolge, dann habe ich sofort wieder Bilder aus meiner Schulzeit vor dem geistigen Auge. Und ich schaue gerne hin. Denn ja, ich gebe zu: Ich habe fast immer eine Ehrenurkunde abgestaubt.

Laufen, Springen und den Ball werfen, das lag mir halt. Und an dieser wohligen Erinnerung, ein guter Sportler gewesen zu sein, wärme ich mich auch mit jenseits der 40 noch gerne. Obwohl ich mir gar nicht mehr so sicher bin, ob ich heute noch 50 Meter in einem Tempo rennen könnte, das den Namen Sprint verdient hat ...

Egal, ich habe mich damals auf die Bundesjugendspiele unter freiem Himmel gefreut. Der Rasen, die Laufbahn, die Sandgrube - und zum Schluss vielleicht noch eine Staffel - das war irgendwie packend. Heute wird dieses klassische Sportfest abgeschafft, damit Kinder keinen Frust und keine Enttäuschungen erleben oder aufgrund schwacher Leistungen ausgegrenzt werden.

Na klar wurde damals gekichert

Das hat erwartbar zu einer breiten gesellschaftlichen Debatte geführt, darüber hat unter anderem mein Kollege Frank Jasper in Steinhagen vor kurzem berichtet. Gefühlt geht es längst um mehr als diese Bundesjugendspiele - es geht um unser Selbstverständnis und den gesellschaftlichen Umgang miteinander.

Über die Sache mit der Ausgrenzung habe ich dann aber tatsächlich nachgedacht: Na klar wurde damals gekichert, wenn dieser eine Junge nur 80 Zentimeter im Weitsprung geschafft hat. Aber dann war der eben nicht gut im Sport - und das war schon bald nach der Stunde kein Thema mehr. Ob sich die Zeiten heute geändert haben und solche Misserfolge in einer zunehmend auf Selbstoptimierung ausgerichteten Gesellschaft zu nachhaltigen Traumata führen, ist wohl eher ein wissenschaftliches Thema und müsste umfassend untersucht werden.

Wobei, da hätte ich ja auch zumindest annähernd traumatische Erlebnisse zu bieten: Denn wenn ich damals gerade noch im Stadion "geglänzt" hatte, saß ich wenige Minuten später schweißgebadet im Textilunterricht und versuchte verzweifelt, die von mir gefürchtete "Strickliesel" zu bedienen und irgendwelche Muster zu erzeugen - meist vergeblich.

Ich habe am Glockenspiel nach Farben geklimpert

Begleitet von mitleidigen Blicken der mir durchaus zugetanen Mitschüler habe ich mich im Kunstunterricht mit Uhu am Tisch festgeklebt, furchtbar krumm entlang von Bastelbögen geschnitten und unkenntliche Fratzen in Linoleumplatten gefräst.

Der Tiefpunkt - also mein persönlicher - war dann im Musikunterricht erreicht. Hier wurde ich aufgrund umfassender Unfähigkeit an der Blockflöte oder jeglichem anderen Instrument an das Glockenspiel verbannt: Und da habe ich nur nach Farben gespielt. Aufgrund meines vollumfänglichen Mangels an Talent im musischen Bereich wurde ich natürlich auch schon mal veräppelt. Aber auf die Idee, die Notenvergabe in Musik und Kunst in Frage zu stellen, bin ich bis heute nicht gekommen.

Ich hatte damals Misserfolge zu verdauen. Und auch wenn ich jetzt nicht mit der Phrase "Und? Hat es mir geschadet?", kommen will, so habe ich doch noch ziemlich klar vor Augen, wie ich damals empfunden habe: Es gibt Dinge, die ich gut kann, und andere, mit denen ich mich deutlich schwerer tue. Angestrengt habe ich mich trotzdem immer. Eine durchaus wertvolle Lektion finde ich - auch wenn ich bis heute natürlich nicht an der Leinwand male oder Blockflöte spiele.

Kinder wollen Ziele haben und sich vergleichen

Zurück zum Sport: Der definiert sich aus meiner Sicht nun mal zu einem großem Teil über Ziele. Und das wissen Kinder doch auch. Sie wollen schneller werden, weiter springen, sie vergleichen sich mit ihren Klassenkameraden. Und würden womöglich gar nicht so viel dabei finden, wenn dieses Thema nicht unnötig aufgeladen würde.

Anstatt jetzt sämtliche Leistungsorientierung aus dem Sportunterricht zu verbannen, sollten die Verantwortlichen lieber Konzepte entwickeln, wie sie Kinder dabei unterstützen, mit Misserfolgen umzugehen. Denn das wird ihnen in verschiedenen Lebensbereichen immer wieder mal passieren. Ich möchte jetzt nicht von der "Schule fürs Leben" anfangen - zu klischeehaft.

Dann zum Abschluss lieber eine kleine Provokation: Nur mit Sackhüpfen und fröhlichen Fangspielen kommen wir im Sport auch nicht voran. Aktuell wird an vielen Stellen eine Debatte über die Leistungsorientierung im deutschen Sport geführt - zuletzt nach dem Ausscheiden der deutschen Frauenfußball-Nationalmannschaft bei der WM: Die fehle nämlich, heißt es da oft, man sei zu schnell zufrieden.

Erfolgserlebnisse werden verhindert

Und jetzt wird Mädchen und Jungen schon in den Schulen angewöhnt, sich keine Ziele zu stecken und Rückschläge zu vermeiden. Wo es keinen Ansporn gibt, sich zu verbessern, entstehen allerdings auch keine Erfolgserlebnisse. Und indem wir die Bundesjugendspiele abschaffen, enthalten wir unseren Kindern eben auch diese schönen Momente vor. Die wirken übrigens in jedem Fall lange nach - ich gehe mal meine alte Urkunde suchen ...