Der Wochenkommentar

Weihnachten ist immer auch ein bisschen Zeit der Wunder

Manchmal werden Wünsche erfüllt, mit denen man niemals gerechnet hätte. Und manchmal braucht es Geduld. Aber zumindest gibt es immer die Hoffnung darauf. Redaktionsleiterin Nicole Donath erinnert sich ...

Weihnachten - das Fest der Liebe und der Hoffnung. Und manchmal geschehen auch unerwartete Dinge. Mögen sich Ihre Hoffnungen auch an das neue Jahr erfüllen. | © Nicole Donath

Nicole Donath
24.12.2022 | 24.12.2022, 10:47

Halle. "Was wünschst du dir von mir zu Weihnachten, Papa?" - Eigentlich hätte ich mir die Frage auch gleich sparen können, denn die Antwort kannte ich ja ohnehin: "Ich wünsche mir, dass du ein liebes Mädchen bleibst." Natürlich wusste er genau, das war nicht das, was ich hören wollte. Ein liebes Mädchen bleiben ... Als ob man das zu Weihnachten in einen Karton einwickeln könnte! Doch je länger ich mich darüber echauffierte und ihn löcherte, weil ich doch schließlich etwas "Richtiges" schenken wollte, etwas zum Auspacken und Anschauen und Bestaunen, umso mehr lachte er.

Nachdem wir in den Nächten zum 24. Dezember zusammen den Tannenbaum geschmückt hatten, gab es im Laufe der Jahre an Heiligabend also Geschenke, bei denen ich nicht ganz sicher war, ob sie auf seiner alternativen Wunschliste standen. Darunter selbst aufgenommene Musikkassetten fürs Auto, gemalte Bilder und gerahmte Fotos, Tennisbälle, Schlüsselanhänger oder diverse Bücher über seine Lieblingsstadt Bielefeld. Umgekehrt fiel die Bescherung entsprechend dem Stand der Familienkasse aus.

Mal wurden die Turnschuhe, die man bereits ein paar Wochen zuvor so dringend benötigt hatte, neu eingepackt und zu kleinen Büchern und Süßigkeiten gestellt. In anderen Jahren gab es auch schon mal eine digitale Armbanduhr mit LCD-Anzeige; die war ab Mitte der 70er der Renner. Oder Disco-Roller. Oder eine Agfa-Pocket-Kamera mit der Ritsch-Ratsch-Klick-Funktion. Tatsächlich kam es darauf nicht an; Weihnachten war so oder so von einem besonderen Zauber umgeben. Einmal lag eine Blockflöte unterm Baum.

- © Nicole Donath
(© Nicole Donath)

Ohne Blockflöte kein Klavierunterricht

Die hatte ich mir tatsächlich nicht gewünscht, denn wenn ich einen Wunsch hatte, einen unerreichbaren Wunsch, dann war das ein Klavier. Sobald ich irgendwo eines entdeckte, ob in einer Gaststätte oder zu Besuch bei Freunden, stand ich fasziniert davor. Ich wusste als Kind nicht, wie teuer so ein Klavier ist, aber irgendwann war mir zumindest klar, dass wir es uns niemals würden leisten können. Und dennoch erkundigten sich meine Eltern mal ganz unverbindlich in der Haller Musikschule nach Klavier-Unterricht. Um dort von Burkhard Schloemann zu erfahren, dass ohne die Blockflöte schon mal gar nichts geht. Vielen Dank.

Redaktionsleiterin Nicole Donath - © Nicole Donath
Redaktionsleiterin Nicole Donath (© Nicole Donath)

Was soll ich sagen? Die Blockflöte und ich wurden keine Freunde. Einerseits wollte ich ja die Chance nutzen, um eines Tages den heiß ersehnten Klavierunterricht nehmen zu dürfen. Aber dass es zwischen einem gelochten Holzrohr und diesem wunderschönen großen Kasten mit seinen weißen und schwarzen Tasten auch nur den Hauch eines Zusammenhanges geben sollte, wollte sich mir nie erschließen. Die Notenhefte holte ich also eine Viertelstunde vor dem Gruppenunterricht hervor, und das Ergebnis war dementsprechend überschaubar. Vor allem aber sank das Vertrauen in meine nicht enden wollenden Versprechen, dass Übungsintensität und Freude an der Musik eine ganz andere Qualität hätten, wenn die Noten bloß nicht für eine Flöte, sondern für ein Klavier geschrieben wären.

Ich weiß nicht, wie viele Nebenjobs meine Eltern angenommen haben, um mir diesen Wunsch zu erfüllen, aber 1978 geschah das Wunder. Es waren die Zeiten, als die Mütter an Heiligabend noch das gute Kleid und die Väter einen Anzug mit Krawatte oder sogar Fliege trugen. Irgendwann läutete das Glöckchen. Und als ich in das kleine Wohnzimmer kam und am Tannenbaum echte Honigwachskerzen brannten, stand da ein Klavier. Wir weinten alle, vor lauter Freude. Der Zettel mit dem Hinweis, dass "das Christkindchen dieses schöne Stück hinterlassen" habe, hängt auch 44 Jahre später über dem Instrument.

Wenn bei Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, an Heiligabend Bescherung ist, wird es vielerorts eher so ein Jahr sein, in dem Turnschuhe, die bereits vor Wochen schon so dringend benötigt wurden, noch einmal neu eingewickelt werden. Weil die Zeiten gerade nicht so leicht sind. Weil irgendwie alles teurer wird. Und weil Klavier-Wünsche gerade nicht ganz oben auf der Liste stehen. Und dennoch bleibt Weihnachten die Zeit der Wunder und mehr noch der Hoffnung. Mögen sich Ihre Hoffnungen an das neue Jahr erfüllen - das wünsche ich Ihnen sehr.