Bedrohter Einzelhandel, verzweifelte Familien: Die Krise ist überall

Symbolischer Blick in einen langen „Textiltunnel“ im Logistikzentrum Walbusch. Weist er den Weg aus der Krise. | © Nicole Donath

Marc Uthmann
01.10.2022 | 01.10.2022, 11:04

Die Inflation dürfte uns allen noch über Monate zusetzen. Das wird immer stärker im Alltag spürbar.

Konsumenten und kleine Händler klagen – aber wie geht es der heimischen Wirtschaft? Dazu gab es jetzt einen spannenden Abend in Halle.

Wir sind zu fünft. Und ich kann Ihnen sagen: Da machen die Wocheneinkäufe wahrlich keinen Spaß mehr. Diesmal herrschte sogar richtig miese Stimmung: Fast 29 Prozent mehr als sonst mussten wir an der Kasse berappen, habe ich mir anschließend ausgerechnet – und nein, wir hatten uns keine besonderen Schmankerl gegönnt, sondern nur das ganz übliche Programm.

Wahrscheinlich erzähle ich Ihnen aber nichts Neues: Denn wirklich jeder bekommt die Inflation in diesen Tagen zu spüren. Mit zehn Prozent wurde die Teuerungsrate für Deutschland jetzt berechnet, sie liegt so hoch wie seit 70 Jahren nicht – und an der Supermarktkasse schlägt dieser Effekt augenscheinlich noch stärker durch.

Die Angst geht um

Existenziell bedrohlich wird die Lage für Menschen, die ohnehin schon zu knapsen haben oder aufgrund der aktuellen Krise in diese Situation hineingeraten sind. Es gibt erste Berichte auch aus Schulen im Altkreis, nach denen sich verzweifelte Eltern an die Schulsozialarbeit wenden, weil sie die Materialien für ihre Kinder nicht mehr bezahlen können.

Mittlerweile werden viele Modelle diskutiert, wie der Staat den Bedürftigen in dieser schweren Krise hilft, die kaum fassbare Summe von 200 Milliarden Euro ist dafür veranschlagt. Das Problem: Die Menschen werden jetzt dennoch sparen. Und das wiederum spüren auch die Kaufleute in der Region. Rosi Dieckmann-Rose, Vorsitzende der Interessengemeinschaft Einkaufsstadt Versmold (IGEV), berichtete vor kurzem, dass die Kunden nach einer kurzen Euphorie im Zuge der sich beruhigenden Corona-Pandemie jetzt wieder die Ausgabe jedes Euros abwägen. Gerade für die kleinen Händler mit spezialisierten Geschäften, die ja unsere Innenstädte beleben sollen, wird es also schon wieder kritisch. Wer sich umhört, spürt: Die Angst geht um.

Vollbremsung bei Tempo 200

Was aber ist mit den großen Unternehmen, den wichtigen Arbeitgebern, den Motoren unserer wirtschaftlichen Entwicklung? Behalten sie den Kopf in der Krise oben?

Beste Gelegenheit für ein Stimmungsbild bot jetzt das 19. Haller Wirtschaftstreffen. Und einen besseren Transporteur dieser Stimmung als Gastgeber Christian Busch hätte man sich nicht wünschen können. Der Mann hat das Logistikzentrum des kriselnden Modekonzerns Gerry Weber für sein Textilunternehmen Walbusch übernommen, er spricht am Donnerstag ganz offen darüber, dass er mit Ralf Weber im Rechtsstreit über Mängel an der Immobilie liegt. Und holt trotzdem einen Sternekoch und seine Familie, um mit der „Kantine" ein außergewöhnliches Restaurant mitten im Gewerbegebiet aufzumachen. Er bekennt sich zu seinem Projekt, will in Halle weiteres auf- und ausbauen – und vor allem: lange bleiben. „Sie werden mit uns vorlieb nehmen müssen."

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Toll, könnte man schlussfolgern. Krise nicht so schlimm, wenn die wichtigen Unternehmer ungerührt weitermachen. Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit. Busch bekennt ganz offen, dass man seiner Branche „bei Tempo 200 auf der Autobahn" die Vollbremsung verpasst habe – nicht ohne zu verschweigen, wie sehr der Versandhandel von Walbusch zuvor von Corona profitierte.

Hoffen auf das Licht am Ende des Tunnels

Doch eines steht fest: Auch dieser mutige Unternehmen rechnet mit schwierigen Jahren, wird Investitionen drosseln. Was bleibt ist das Urvertrauen in sein Konzept, in die Stärke des wirtschaftlich gesunden Unternehmens. Solche Betriebe sind es, die uns aus der Krise wieder herausführen werden – das macht Hoffnung auf Licht am Ende des Tunnels.

Was aber hilft uns das jetzt an der Supermarktkasse? Richtig: nichts. Bis die Unternehmen sich neu justiert haben, müssen kleine Händler und Konsumenten bangen. Wir fünf werden also sparen müssen. Und wer das nicht mehr kann, der muss auf die Hilfe des Staates hoffen dürfen. Vielleicht schaffen wir es ja diesmal, beim Bewältigen der Krise etwas mehr auf Solidarität zu setzen, anstatt uns gegenseitig zu zerfleischen.