Reste-Essen deluxe: Per App Lebensmittel retten und dabei sparen?

Altkreis Halle. &bdquo;Früher hieß das, das Brot von gestern" werde ich geneckt, als ich im Bekanntenkreis erzähle, dass ich beim Bäcker übrig gebliebene Brötchen holen möchte. &bdquo;Von gestern" sind die Waren, um die es mir geht, jedoch nicht. Die App, die ich teste, bietet frische Waren an – die eigentlich im Müll gelandet wären. Nicht nur Bäckereien, auch Restaurants, Tankstellen und Lebensmittelläden nehmen bei &bdquo;Too good to go" teil. In großen Städten hat sich die App bereits etabliert. Erst vor kurzem verkündete das gleichnamige Berliner Unternehmen hinter der App, dass damit bereits zehn Millionen Mahlzeiten gerettet wurden. Mehr als 9.500 Läden in mehr als 900 Städten machen mit. Auch im Altkreis Halle gibt es erste Teilnehmer. Drei von ihnen sollen mich in den nächsten Tagen mit Lebensmitteln versorgen. Was genau ich zu essen bekommen, bleibt allerdings eine Überraschung. Denn in der App erfahre ich nur, wer zu welchem Preis etwas anbietet, wann und wo ich die Lebensmittel abholen soll und was sie ursprünglich gekostet hätten. Entscheide ich mich für ein Angebot, reserviere und bezahle ich es in der App. Gleich der erste Anlauf scheitert Mein erster Plan: Mit den kulinarischen Schnäppchen möchte ich am Abend bei meinen Freunden punkten. Doch daraus wird nichts. Obwohl ich schon morgens die App durchforste, sind alle Angebote im Altkreis bereits vergriffen. Der frühe Vogel fängt den Wurm! Die letzte Bäckerei-Tüte wurde schon um 6.16 Uhr gebucht, informiert mich die App. Das nahe Restaurant hat ausgerechnet an diesem Tag nichts im Angebot. Auch andere Alternativen im Umkreis von zehn Kilometern finde ich nicht. (Meine Gäste mussten natürlich trotzdem nicht hungern.) Ein paar Tage später habe ich Erfolg – und sichere mir am frühen Morgen mein Abendessen per Knopfdruck. Um Punkt 18.15 Uhr stehe ich in der Borgholzhausener Bäckerei Welpinghus auf der Matte. Die Mitarbeiterin fischt nach einer großen Tüte und sichtet die Reste in der Auslage. Die Brote seien bereits ausverkauft, teilt sie mir bedauernd mit. Deshalb gibt es &bdquo;nur" Brötchen. Ganz ehrlich: Mein inneres Kind feiert ne Party. Wer braucht schon Brot, wenn er Brötchen haben kann? Mein nachhaltiges Ich ist ebenfalls zufrieden. Ausverkaufte Regale gleich leere Mülltonnen. Das ist schließlich das Ziel. Croissant, Käse-, Sesam-, und Kürbiskernbrötchen und einiges mehr landen in meiner Tüte. Rund zehn Euro ist der Inhalt wert, bezahlen muss ich nur 3,30 Euro. Die Beute teile ich mit hungrigen Abnehmern. Der Rest landet im Eisfach. Für mich war der Deal ein Erfolg. Aber wie sieht es für die Bäckerei aus? Für Geschäftsführerin Friederike Tebbe sei das Angebot nach Abzug der Provision für &bdquo;Too good to go" finanziell betrachtet ein Plus-Minus-Null-Geschäft. &bdquo;Aber es ist gut fürs Gewissen", sagt sie. Nicht nur über die App wird das Brot gerettet Das Unternehmen habe sie gefragt, ob sie mitmachen wolle. Anfangs sei sie mit einer Portion gestartet. Mittlerweile sind es drei. Ihre Motivation: &bdquo;Es geht darum, so wenig wie möglich wegzuwerfen." Ohnehin berechnet sie mit einer Software, wie viele Waren produziert werden müssen, um den Überschuss gering zu halten. &bdquo;Natürlich kann man das auch damit nicht hundertprozentig vorhersagen." Die Überproduktion geht zum Teil an die Hilfsorganisation &bdquo;Die Tafel". Manchmal bekommt ein Landwirt Reste, um sie zu verfüttern, oder als Brennstoff für die Biogasanlage. Lesen Sie auch: Wie Minimalismus das Leben eines Hallers reicher macht Die App ist also nur eine Option von vielen. Im Altkreis kommt sie immer mehr an. Alte Bekannte wie Bauer Bernd, der dort gelegentlich Maiskolben anbietet, sind dabei. Oder das benachbarte Traditionsrestaurant Peter auf’m Berge. Aber auch Neulinge: Zwei Tage nach der Brötchen-Rettung ploppt überraschend ein neues Angebot auf meinem Handy-Display auf. Ein Kiosk aus Steinhagen bietet einen Reste-Mix an. Was könnte das wohl sein? Alte Zigaretten? Abgelaufene Cola? Zerknautschte Chips? Für 3,30 Euro gehört die Überraschungstüte mir. Der &bdquo;Kiosk Rasho Market" entpuppt sich als kleines orientalisches Schlaraffia. Ein Laden, den ich im Alltag vermutlich übersehen hätte. Jetzt werde ich dort freundlich empfangen und darf sogar ein bisschen mit bestimmen, was ich retten kann: Pudding in Banane oder Orange? Sonnenblumenkerne mit oder ohne Salz? – Eine Verkäuferin flitzt durch den Laden und sammelt eine bunte Mischung zusammen: Tütensuppe, Chips Gurken, Wurst, Frischkäse und Fladenbrot kommen hinzu. Den angegebenen Wert von zehn Euro dürften die Lebensmittel locker überschreiten. Beim Smalltalk erfahre ich, dass ich an diesem Tag die Fünfte bin, die dort Reste rettet, und dass der kleine Laden zum ersten Mal teilnimmt, um das Konzept zu testen – und um bekannter zu werden, da die Inhaber erst vor kurzem das Geschäft übernommen haben. Wenn es so weitergeht, wollen sie weiterhin teilnehmen. Letzter Versuch: Die Restaurant-Tüte Nach diesen Erfahrungen will ich eines noch wissen: Was bekomme ich, wenn ich eine Restaurant-Tüte abhole? Ich buche vormittags für vier Euro in der Haller Taverne mein Abendessen. Erst ab 21 Uhr werden die Reste freigegeben. Mit Blick auf die Öffnungszeiten nachvollziehbar. Doch der Magen knurrt. Dass ich schon frech zwei Minuten vor der Abholzeit an der Theke stehe, bemängelt zum Glück niemand. Mit der heiß duftenden Überraschungstüte verlasse ich das Restaurant. Die Portion ist groß genug für zwei von meiner Sorte. In der Aluschale verbirgt sich ein üppiges paniertes Schnitzel mit einer Championsoße und Spätzle. Der Vergleich mit der Speisekarte zeigt, dass der angekündigte Wert von 12,50 Euro auch bei dieser Tüte eingehalten wurde. Das Essen wirkt frisch zubereitet. Erneut ein Reste-Essen deluxe. Bilanz: Aus Respekt vor den Händlern, die mir gute Waren eingepackt haben, benenne ich nicht, was nicht nach meinem Geschmack war. Aber natürlich gab es bei dieser Auswahl Lebensmittel, die ich nicht gegessen habe – und sogar solche, die ich schwer weitervermitteln konnte. Das ist ein Aspekt, der den Nutzen der App &bdquo;Too good to go" für mich persönlich einschränkt. Was nützt die Wundertüte, wenn man den Inhalt nicht brauchen kann? Hat man dann wirklich &bdquo;gerettet" oder das Problem nur verschoben? Werden die Lebensmittel, die ich Freunden aufgedrängt habe, noch gegessen oder landen sie letzten Endes vielleicht doch im Müll? Wäre ein Laden, der Regale auch mal leer werden lassen darf – ohne von den Kunden dafür abgestraft zu werden – nicht die bessere Lösung? Trotzdem ist das Konzept der Retter-App ein Abenteuer für zwischendurch. In Familien mit vielen hungrigen Mündern sogar spannende Unterhaltung und günstiger Futterlieferant in einem. Ein sinnvolles Schnäppchen für diejenigen, die jeden Teller leeren.

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