
Frau Weike, nach dem Corona-Ausbruch bei Tönnies hatte Sven-Georg Adenauer erneut alle Schulen und Kitas geschlossen. Eine der „schwersten Entscheidungen in seiner Amtszeit", wie er sagt. Was hätten Sie gemacht?
Marion Weike: Ich hätte anders entschieden.
Inwiefern?
Weike: Ich hätte stärker differenziert und eine Risikoabwägung vollzogen. Gerade unter den Werkvertragsarbeitern gibt es überwiegend Menschen, die alleinstehend sind. Außerdem waren die Infektionszahlen im nördlichen Kreisgebiet sehr gering. Aus meiner Sicht gab es keinen Grund, Kitas und Grundschulen flächendeckend zu schließen. In den Kommunen hätte man zeitnah prüfen können, ob Verbindungen zu Tönnies bestehen. Die Eltern von kleinen Kindern waren wegen der plötzlichen Schließung ziemlich verzweifelt.
Und bei den weiterführenden Schulen?
Weike: Hätte ich genauso entschieden und sie wegen der größeren Einzugsbereiche zunächst geschlossen. Außerdem hätte ich auch Veranstaltungen im Kreis untersagt.
Insbesondere die Corona-Krise hat gezeigt, wie wichtig ein Zuhause ist, in dem man sich wohlfühlt. Indes, Wohnraum im Kreis ist knapp – sowohl im Bereich des Mietwohnungsbaus als auch bei Ein- und Zweifamilienhäusern. Außerdem sollen den Werkvertragsarbeitern jetzt angemessene Wohnungen zur Verfügung gestellt werden. Wie lösen Sie die Konflikte?
Weike: Ich habe in Werther immer gesagt, dass wir maßstäblich wachsen müssen. Wir können nicht jedes Jahr tausend Grundstücke an den Markt bringen, sondern nur so viele, wie es die Infrastruktur erlaubt – und das werden die anderen Kommunen ähnlich handhaben. Trotzdem sehe ich durchaus noch Potenzial. Natürlich müssen wir Flächen sparen, aber wir sind eine boomende Region. Als Landrätin werde ich mich außerdem dafür einsetzen, dass in den Wohnungsbaugesellschaften, an denen der Kreis beteiligt ist, mehr Sozialwohnungen gebaut werden, und der Kreis aktiv bei Investoren für deren Bau wirbt.
Wohnen ist die eine Sache, aber auch sonst gilt es, einen anderen Umgang mit Werkvertragsarbeitern zu wählen. Was ist zu tun?
Weike: Zum einen muss es vernünftige Arbeitsbedingungen geben, klar. Aber Menschen, die aus dem Ausland zu uns kommen, müssen auch gute Lebensbedingungen vorfinden – und das betrifft alle Branchen, nicht nur die Fleischverarbeitung. Allerdings hängt das auch nicht allein an den Werkverträgen.
Sondern?
Weike: Wichtig ist, dass die Menschen ihre Rechte auch wahrnehmen. Dass sie auch darüber informiert sind, was ihnen laut Arbeitsvertrag zusteht.
Und Sie würden es als Landrätin als Ihre Aufgabe betrachten, hier Unterstützung zu leisten?
Weike: Ja! Dafür braucht es natürlich eine gute Zusammenarbeit mit den Behörden – also beim Arbeitsschutz wäre das die Bezirksregierung. Aber ich würde auch aktiv dafür werben. Und wenn die Menschen, die aus Rumänien oder Bulgarien hier ankommen, später ihre Familien nachholen, muss man darauf achten, dass sie gute Integrationsmöglichkeiten haben. Dazu gehören der Spracherwerb oder dass die Kinder in die Kita und in die Schule gehen können. Dass man die Menschen in die Gemeinschaft einbezieht.
Ganz allgemein verweisen Sie in Ihrem Wahlprogramm darauf, welch große Bedeutung das öffentliche Gesundheitswesen für die Sicherheit und den Schutz der Bevölkerung während der Corona-Pandemie habe. Macht das Gesundheitsamt des Kreises einen akkuraten Job?
Weike: Ein Gesundheitsamt zeichnet sich für mich dadurch aus, dass die engagierten Mitarbeiter(innen) mit modernen Arbeitsmitteln und gut vernetzt ihre wichtigen gesetzlichen Aufgaben wahrnehmen können.
Ihr Wahlprogramm liest sich so, als ob das nicht der Fall wäre.
Weike: Teilweise wurde mit Excel-, teilweise mit Access-Listen gearbeitet, die dann doppelt eingepflegt werden mussten und fehleranfällig waren – da muss eine andere Organisationsstruktur rein.
Machen Sie das Herrn Adenauer zum Vorwurf?
Weike: Ich hätte mir für die Corona-Pandemie zumindest gewünscht, dass es im Kreishaus einen Masterplan gegeben hätte, mit dem ganz klar gewesen wäre, wie man mit den Infektionsfällen umzugehen hat. Damit wäre ein schnelles, strukturiertes Handeln möglich gewesen. So hat der Kreis bei der Firma Tönnies wertvolle Zeit zwischen dem Bekanntwerden der dortigen 27 Infektionen am 9. Juni und den ersten Schließungsmaßnahmen am 16. Juni verloren, obwohl die Gefährdung durch Corona in Schlachthöfen bereits seit mehreren Monaten bekannt war.
Nun konnte eine Corona-Pandemie niemand vorhersehen.
Weike: Nein, aber wir hatten beispielsweise 2014 in Afrika den Ebola-Ausbruch und spätestens seit dieser Zeit hätte jedes Gesundheitsamt ein Konzept haben müssen. Die Quarantäne-Anordnungen bei Corona-Infektionen sind anfangs sehr schleppend gelaufen. Zuständigkeiten waren nicht geklärt, es gab verschiedene Verzögerungen – das alles hätte vermieden werden können.
Ein anderes Thema aus dem Bereich Gesundheit ist die medizinische Versorgung im Kreis. Würden Sie auch das als Ihre Aufgabe betrachten?
Weike: In einigen Kommunen des Kreises sind Hausärzte Mangelware, da müsste man mit der Ärzteschaft und den Krankenhäusern nachdenken, ob man medizinische Versorgungszentren einrichtet. Unter Umständen sogar in öffentlicher Trägerschaft.
Das wäre ein großer Schritt.
Weike: Das stimmt. Aber ich habe jetzt schon vermehrt von Ärzten gehört, dass sie lieber mehr Mediziner sein, und sich weniger um Verwaltung kümmern möchten. Und in einem medizinischen Versorgungszentrum könnte diese Aufteilung so vorgenommen werden.
Haben Sie bereits einen Überblick, wie sich die Situation im Kreis darstellt?
Weike: Zumindest weiß ich so viel, dass es im südlichen Kreisgebiet ein größeres Problem ist als im Norden.
Andere Themen, um die Sie sich kümmern möchten, sind Sicherheit und Verkehr. Unter anderem propagieren Sie die flächendeckende Einführung von Tempo 30 auf Gemeindestraßen. Wenn wir die Diskussion in Halle betrachten, können Sie sich auf was gefasst machen.
Weike: Wir müssen nur mal in Richtung Stapenhorststraße in Bielefeld schauen, über die ich oft fahre. Mein Eindruck ist, dass man bei Tempo 30 nicht mal langsamer ist, dafür aber sicherer. Der Verkehr staut sich weniger. Über die Haller Diskussion kann ich dabei nur staunen, denn mit Ausnahme der Hauptstraßen haben wir in Werther nur Tempo 30 oder weniger und niemand stellt das in Frage.
Ein anderes Thema aus dem Bereich Sicherheit ist der Einsatz für ausreichend Polizeikräfte. Auch ein Thema, für das Sven-Georg Adenauer immer sehr geworben hat. Was denken Sie?
Weike: Hier liegen wir nicht über Kreuz, das sehe ich genauso. Polizei vor Ort ist ein wichtiges Anliegen, die Beamten müssen für die Bürger ansprechbar sein. Vor allem braucht es nachts mehr Personal und das ist eine echte Herausforderung, wobei der Kreis hier natürlich vom Land abhängig ist.
Erschwingliche Bustickets und dauerhaft sogar eine kostenfreie Nutzung des ÖPNV haben Sie sich ebenso auf die Fahnen geschrieben. Wie realistisch ist dieses Ziel – gerade in unseren ländlichen Gebieten?
Weike: Zunächst muss die Qualität gesteigert werden. Also bessere Taktzeiten, gut abgestimmte Buslinien, eine höhere Gerechtigkeit von Tarifen auch mit Blick auf kreisübergreifende Lösungen. Und wo es gut läuft – man schaue auf den Viertelstundentakt zwischen Werther und Bielefeld –, da trägt sich eine Buslinie selbst und der Kreis zahlt nichts dazu. Ist das Angebot gut, ist auch die Nutzung gut.
Also braucht es hier noch viel mehr Ideen? Beispielsweise intelligente Wechsel der Verkehrsmittel?
Weike: Genau. Wenn ich das Rad in der Mobilitätsstation abstellen kann und zwei Minuten später kommt verlässlich der Bus, dann funktioniert das. Es gilt, individuelle Lösungen zu finden. Beispiele wären Taxi- oder Bürgerbusse. Ebenso müssen sichere und zügig zu befahrende Radwegeverbindungen zwischen den Kommunen selbstverständlich werden. Das Konzept ist schon erstellt, ich setze mich für die zeitnahe Umsetzung ein.
Neben einer guten Ausstattung der Schulen sind auch gute Chancen auf einen Ausbildungsplatz wichtig. Wie soll hier im Kreis agiert werden?
Weike: Wenn die Perspektiven durch die Corona-Pandemie jetzt schlechter sind, können die im Zukunftspaket des Bundes geplante Förderungen helfen, dass Ausbildungsplätze erhalten bleiben. Der Kreis muss dies mit Engagement unterstützen, indem öffentliche Aufträge an Firmen vergeben werden, die ausbilden.
Ist die proWirtschaft hier eine gute Partnerin?
Weike: Die proWi hat ausgezeichnete Arbeit geleistet und sich direkt zu Beginn der Corona-Krise maximal flexibel auf die neuen Themen eingestellt.
Welche Branchenansätze verfolgen Sie für den Kreis?
Weike: Wir brauchen einen Mix aus produzierender Wirtschaft, Hochtechnologie und guten Dienstleistungsunternehmen. Angesichts der Nähe zum Hochschulstandort Bielefeld und der A 33 kann man auch in Richtung Co-Working-Spaces denken. Vor allem müssen wir die guten, familiengeführten Unternehmen wie Storck halten. Und es braucht familiengerechte Arbeitsplätze.
Bislang sind Sie Bürgermeisterin einer Stadt im nördlichen Kreisgebiet, demnächst wollen Sie Landrätin des Kreises Gütersloh werden, der in den Köpfen aus zwei Teilen besteht...
Weike: Wir müssen tatsächlich viel mehr voneinander wisse, dabei gibt es viele und unterschiedliche Ecken. Wir müssen uns viel mehr gegenseitig besuchen und es braucht noch viel mehr Projekte wie die gemeinsamen Wanderungen der proWi, die sind toll.
Warum sollten die Menschen Sie wählen, und nicht Herrn Adenauer?
Weike: Ich bin sehr motiviert, die Stelle zu übernehmen, und bringe viel Erfahrung für das Amt mit – ich kann kleine und große Verwaltung. Und ich arbeite sehr gerne mit Menschen zusammen.