Halle/Borgholzhausen. Hartmut Kindermann steht neben der kürzlich verlegten Leitung und zeigt auf sein Haus. „Ich bin so sauer. Warum macht die Stadt Halle so einen Alleingang?" Er ist Leidtragender einer scheinbar absurden Vorgehensweise: Nur 200 Meter liegt sein Anwesen von der fertigen Leitungstrasse entfernt. Die Bauarbeiter zogen den Graben vor einigen Wochen an seinem Haus vorbei. Seine umliegenden Nachbarn hingegen sind mit der Glasfaserleitung versorgt worden. Warum er nicht?
Jochen Strieckmann ist Kämmerer der Stadt Halle und zugleich Geschäftsführer der extra für den Netzausbau gegründeten hallewestfalen.net GmbH. Er hat Hartmut Kindermann in einer kurzen Nachricht über sein Handy dazu folgendes mitgeteilt: „Der Grund ist, dass ihr Haus nicht in Halle liegt."
Leerstehender Kotten hat schnelles Internet
Hartmut Kindermann wohnt tatsächlich auf Borgholzhausener Stadtgebiet – nur ein paar Schritte von Halle entfernt. Er versteht die Praxis des Ausbaus dennoch nicht. Ungerecht erscheint ihm die Ausbaupraxis. Um die Absurdität besonders klar zu machen, fährt er mit dem Pressevertreter des Haller Kreisblattes ein paar hundert Meter den Eggeberg hinauf. Dort liegt ein augenscheinlich bruchfälliges, unbewohntes Haus.
Hartmut Kindermann greift nach einem orangen Rohr, dass aus der Erde kommt und hält das lose Ende in die Höhe. Es ist das Rohr für das Glasfaserkabel. Der abgehalfterte Kotten ist offensichtlich beim Breitbandausbau berücksichtigt worden. „Ist das nicht ein Ding?", fragt Hartmut Kindermann. Ein anscheinend unbewohntes Haus ist versorgt, seines nicht.
Oliver Blanke ist Mitarbeiter des Zweckverbandes InfokomGütersloh. Der Zweckverband hatte 2016 beim Bund für acht Kommunen den Antrag zum Breitbandausbau gestellt: Werther, Versmold, Steinhagen, Borgholzhausen, Harsewinkel, Langenberg, Rheda-Wiedenbrück und Schloß Holte-Stukenbrock gehörten dazu. Es ging dabei um Fördergelder. Denn 50 Prozent der Kosten trägt der Bund, 40 Prozent das Land und zehn Prozent die Stadt. Halle ging mit der hallewestfalen.net GmbH einen eigenen Weg. Die Stadt glaubte so agiler sein zu können. „Das hat sich auch bewahrheitet", räumt Oliver Blanke ein. Laut seiner Erfahrung seien die Telekom-Unternehmen schwerfällig und die Vergabe-Verfahren äußerst langwierig.
„Es ist eine gefühlte Ungerechtigkeit"
Oliver Blanke versteht den Ärger des Hauseigentümers, wirbt aber dennoch um Verständnis: „Es ist eine gefühlte Ungerechtigkeit", sagt er. Er berichtet von haarsträubenden Fällen, in denen das Kabel nah am Haus vorbeigelaufen sei, es aber beim Anschluss bislang nicht berücksichtigt wurde. Denn 2016, als das Ausbauverfahren begann, habe jede Adresse einen Punkt zur Wirtschaftlichkeit des Anschlusses bekommen.
Manche Haushalte haben schlecht abgeschnitten, weil sie so weit weg lagen, dass teilweise Anschlusskosten von 70.000 Euro fällig geworden wären. Inzwischen hat die Entwicklung das diskriminierende Verfahren des Ausbaus überholt. Heute würde es so ein Punktewertverfahren nicht mehr geben: „Egal wer, jeder soll Breitband bekommen", sagt Blanke. Doch den Prozess bis zum ersten Grabenstich noch einmal von vorne beginnen, sei noch langwieriger.
Auch Hartmut Kindermann wird sein Glasfaserkabel bekommen. In Borgholzhausen dauert das Verfahren nur etwas länger. Während hier 2021 alle Haushalte mit dem schnellen Internet verbunden sein sollen, werden es die Haller voraussichtlich schon Ende 2020 sein. Hartmut Kindermann berichtet, dass er vor wenigen Tagen einen Anruf bekommen habe. Der Anrufer habe ihm ein Angebot gemacht: Seine Firma könne dem Borgholzhausener mit dem Glasfaserrohr versorgen – auf seine Kosten: 50 Euro pro Meter wären dann fällig. Dass heißt 10.000 Euro hätte Hartmut Kindermann bezahlen müssen. Er hat abgelehnt. Jetzt wartet er lieber mehrere Sekunden oder einige Minuten bis sich eine Seite oder ein Video im Internet auf seinem Rechner hochgeladen haben.