Von Aufstieg und Fall: Wer die Wirtschaft in Borgholzhausen bis heute prägt

Borgholzhausen. Nachdem Ulrich Welpinghus Kaffee angeboten hat, setzt er sich an den Tisch auf seiner Terrasse. Sein Blick geht zur einen Seite ins Grüne, wo Gelächter vom dahinter liegenden Kindergarten zu hören ist. Blickt er nach vorne, schaut er auf die Rückseite von Borgholzhausens größter Industriebrache: dem Poppenburg-Gelände. Und in seinem Rücken stehen einige der prächtigsten Häuser Piums, die Geschichte geschrieben haben. Von Borgholzhausens wirtschaftlicher Vergangenheit ist der 70-Jährige nicht nur umgeben – er möchte von ihr erzählen. Ein spannender Rundgang beginnt. Ulrich Welpinghus ist Stadtführer. Sein Herzensthema: Aufstieg und manchmal Fall der Borgholzhausener Unternehmen. &bdquo;Über 300 Jahre Tradition – Pium als alter und neuer Wirtschaftsstandort“ lautet der Titel seiner Tour, die er gerade erst wieder unter der Regie der VHS Ravensberg angeboten hat. &bdquo;Ich habe irgendwann mal bei mir gedacht: Wen spricht man irgendwann mal an, wenn man etwas über die Vergangenheit wissen will? Die Alten werden ja immer weniger.“ Ulrich Welpinghus geht es darum, wertvolles Wissen über die geschichtliche Entwicklung zu erhalten, es weiterzutragen. Also absolviert er eine Stadtführer-Ausbildung bei Borgholzhausens ehemaligem Stadtarchivar Rolf Westheider und stellt sich anschließend eine Tour zusammen. &bdquo;Ich habe natürlich viel vom Heimatbuch von Carl-Heinz Beune profitiert und von lebenden Lexika wie dem leider mittlerweile verstorbenen Friedrich-Wilhelm Nollkämper.“ Traditionsreiches Unternehmen mit besonderer Adresse in Borgholzhausen Und ein gutes Stück heimischer Wirtschaftsgeschichte ist ja bei Ulrich Welpinghus selbst zu Hause: In mittlerweile siebter Generation führt seine Tochter Friederike Tebbe die Konditorei und Bäckerei. Deren Wurzeln liegen in einem besonderen Gebäude: dem &bdquo;Adeligen Steinwerk“ in der Kirchstraße 9. 1489 wurde es vom Schlossherren Brinke als Stadthaus mit Speicher gebaut, 1692 kaufte es nach mehreren Umbauten der Amtmann Alemann, 1730 der Amtmann Meinders, 1770 ging es in den Besitz der Bäckereifamilie Heuermann über – Beginn einer Tradition, die Borgholzhausen bis heute prägt. 1960 zog der gesamte Betrieb in das neue Unternehmensgebäude, 1990 der Verkauf in die Kaiserstraße – Welpinghus hat seine Spuren überall in der Stadt. Kein Wunder, dass Ulrich Welpinghus sagt: &bdquo;Mein Leben lang bin ich mit dem Handwerklichen und dem Geschäftlichen verbunden.“ Und mit dieser Hingabe macht sich der 70-Jährige auch auf seine Touren, auf denen er rund 90 Borgholzhausener Unternehmen anspricht – &bdquo;ich will eigentlich in 2,5 Stunden durch sein – das habe ich bisher noch nie geschafft.“ Eine Keimzelle für Borgholzhausens Entwicklung hat ihn dabei stets am meisten fasziniert: Der Uphof. Schon 1284 urkundlich erwähnt und seit 1600 im Urkataster vertreten – 1796 wurde das Hofgebäude von Johann Friederich Upmeyer gebaut. &bdquo;Das war ein sogenannter &bdquo;Meyerhof“ – ein Titel, der nur Betrieben mit einer gewissen Hektarzahl zustand. Und die Vorsilbe &bdquo;Up“ stand für über der Stadt. Das war für diesen Betrieb schon eine sinnbildliche Zuschreibung.“ Aus Bauernhof Upmeyer wird Industriebetrieb Westfalia in Borgholzhausen Es begann die beeindruckende Geschichte einer Borgholzhausener Familie, die es heute noch gibt. Aus dem einstigen landwirtschaftlichen Betrieb entwickelte sich der größte Arbeitgeber der Stadt. 1859 baute Upmeyer eine Bockwindmühle, die später durch eine Dampfmaschine abgelöst wurde. Mit dem Aufbau einer Molkerei und einer Margarine-Fabrik hatten die Upmeyers bis in die 1960er-Jahre Erfolg. Und in der früheren Margarine-Fabrik wurden schließlich die ersten Schritte zu einem Unternehmen der Metallindustrie gemacht – daraus ist Westfalia-Systemtechnik entstanden, heute eines der erfolgreichsten Borgholzhausener Unternehmen und Tochter der weltweit agierenden Wortmann-Gruppe. Erfolgsgeschichte: Westfalia feiert Einweihung Die Upmeyers waren nicht nur wirtschaftlich erfolgreich, sie engagierten sich auch als Gönner (Krankenhaus-Neubau 1876), kulturell und natürlich politisch. Sie prägten das Leben einer Stadt, dessen Wirtschaft nicht nur Erfolgsgeschichten zu erzählen hatte. Farthmanns Mühle im Zentrum etwa, ursprünglich von Brinke gebaut und ab 1850 von Fahrtmann betrieben – wurde über den Mühlenteich im Zentrum gespeist, wo heute das Freibad liegt. Von Mai bis September war das allerdings nicht möglich – die Mühle wurde 1909 durch eine Dampfmaschine ersetzt. Auch der Betrieb Helling – 1824 von Arnold Helling als Handel für Leinen und Segeltuch an der Finkenau gegründet – überlebte nur bis 1908. Zwischenzeitlich wurde ein Kontorhaus gebaut und eine mechanische Segeltuchweberei gegründet. Dem Wachstum folgte nach vielen verschiedenen Teilhabern das Aus, immerhin residierte die Familie zu Glanzzeiten am Marktplatz in einem repräsentativen Domizil. Heute ist Lebkuchen Schulze im einstigen Helling-Komplex zu Hause. Honigkuchen-Bäcker-Gewerbe prägt Borgholzhausens Wirtschaft Überhaupt die Honigkuchen-Bäcker: Sie bildeten im 18. Jahrhundert schon das Rückgrat der Borgholzhausener Wirtschaft: Allein 16 Betriebe gab es im kleinen Pium. &bdquo;Viele kamen ursprünglich aus Dissen. Das war allerdings damals hannoverisch, während Borgholzhausen zu Preußen zählte. Mit einem Sitz in Preußen konnte man aber auf den großen Markt ,Send’ in Münster liefern, ohne Zölle zahlen zu müssen“, erklärt Ulrich Welpinghus und grinst. Manche Themen kommen eben immer wieder ... Wirtschaft vor Ort: Bostik verkündet einen Rekord Was hat der ehemalige Bäckerei-Unternehmer eigentlich beim Studium der Piumer Wirtschaftsgeschichte für sich gelernt? &bdquo;Erst mal war ich ein wenig enttäuscht“, bekennt er. &bdquo;Darüber wie wenige Unterlagen es über viele Betriebe und prägende Gebäude heute noch gibt. Und zugleich hat mich beeindruckt, was die Menschen damals schon geschafft haben.“ Das trifft allerdings nicht auf die Antenne zu, die 1907 auf dem Borgholzhausener Postamt montiert wurde: &bdquo;Das sollte Fortschritt zeigen – hatte aber keinerlei Funktion“, verrät Welpinghus und lacht. Vom florierenden Borgholzhausener Wursthersteller zur Industriebrache Nachdenklich wird der 70-Jährige, wenn er über das Poppenburg-Gelände spricht – eigentlich ein Filetstück in der Innenstadt, das heute nur noch vor sich hinvegetiert. &bdquo;Da kommt schon Wehmut auf.“ Einst wurde das Unternehmen 1873 von Vorderbrügge gegründet an der Finkenau 1, wo heute die Eisdiele liegt. Fritz Poppenburg erbte den Betrieb für Fleisch- und Wurstwaren, dessen Sohn Hans baute ihn industriell aus, mit eigener Schlachterei – die Würstchen waren ein Begriff. &bdquo;Es war schon wild und witzig zugleich, wenn Hans mal wieder einen wilden Bullen durch die Gärten hinter der Fabrik verfolgte, nachdem der ausgebüxt war. Spätestens am Freibad hat er ihn dann zur Strecke gebracht“, erinnert sich Welpinghus. Die Firma scheiterte an Nachfolgeproblemen, wurde 2001 verkauft und schließlich dichtgemacht. Mehr zu Welpinghus: In dieser Bäckerei können Kunden per App bestellen Und während eine Ära endete, begann 1959 gegenüber die &bdquo;Ravensberger Lackieranstalt“, die farbig glänzende Buch- und Schallplattenhüllen produzierte. Ab 1965 waren es Margarinebecher und Lebensmittelverpackungen – heute ist &bdquo;Bartling“ ein reiner Familienbetrieb mit 350 Angestellten. Wie wichtig sind Ulrich Welpinghus Nachfolge und die Wahrung der Tradition? &bdquo;Es bedeutet mir schon etwas. Aber wir wollten niemanden zwingen.“ Umso glücklicher ist der Borgholzhausener, dass es in seinem Familienunternehmen weitergeht. Um dann schmunzelnd anzufügen: &bdquo;Als ich selbst in der Wiege lag, war nur die Frage, ob ich Bäcker oder Konditor lerne.“ Hier geht’s zum Stadtrundgang durch Borgholzhausen Wer mit Ulrich Welpinghus auf Tour durch Borgholzhausens wirtschaftliche Geschichte gehen will, kann sich auch direkt an ihn wenden: unter Tel. 0160 90648774 oder per E-Mail an ulrich.welpinghus@ meinpium.de. 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