Urteil bringt Grundsatzentscheidung für Stromnetzausbau in Borgholzhausen

Borgholzhausen. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Leipzig zum Bau der Amprion-Stromtrasse in Borgholzhausen hat bundesweit für Aufsehen gesorgt. Unter anderem berichteten &bdquo;ARD“ und &bdquo;ZDF“ von dem Urteil - ebenso wie der &bdquo;WDR“ mit seiner Lokalzeit. &bdquo;Diese große mediale Aufmerksamkeit hat mich schon überrascht“, gesteht Borgholzhausens Bürgermeister Dirk Speckmann: &bdquo;Denn eigentlich wurde vor Gericht doch nur eine ganz spezifische Lage, eben die spezielle Situation bei uns in Borgholzhausen, behandelt.“ Eine Signalwirkung für andere Projekte zum Stromtrassenbau konnte der Bürgermeister nicht erkennen. Warum also die ganze Aufregung? Tatsächlich ist die Stromtrasse in Borgholzhausen speziell: Der Bauabschnitt aus Gütersloh kommend sieht erst Freileitungen bis Borgholzhausen-Wichlinghausen vor, dann eine 4,2 Kilometer lange Strecke von Erdkabeln, die zudem als Pilotprojekt deklariert wurde, sowie abschließend von der Kabelübergabestation Klusebrink bis zur niedersächsischen Landesgrenze wieder Freileitungen. Überdies werden in dem gesamten Abschnitt eine 110-kv-Hochspannungsleitung sowie eine 380-kv-Höchstspannungsleitung parallel geführt. Alles zusammen ist in der Form bundesweit außergewöhnlich, wenn nicht sogar einzigartig. Pilotprojekt Erdkabel in Borgholzhausen Genau deshalb zieht das Projekt in Borgholzhausen die Aufmerksamkeit auf sich. Was sagt der Gesetzgeber zu dem Pilotprojekt mit den Erdkabeln? Wie sind die Abläufe zwischen beauftragender Behörde, in dem Fall der Bezirksregierung Detmold, und dem Übertragungsnetzbetreiber Amprion geregelt? Gibt es eine Kontrollinstanz für Amprion? Ist die Planfeststellung rechtssicher und wasserdicht? Zum Thema: Urteil zur Amprion-Stromtrasse in Borgholzhausen: Das sagen die Beteiligten Das Bundesverwaltungsgericht Leipzig hat für das bisher abgelaufene Verfahren in und um Borgholzhausen sowie für alle weiteren geplanten Bauabschnitte grünes Licht gegeben. Die Grundsätze des Urteils lauten: 1. Allgemeines Interesse geht vor Einzelinteressen. 2. Amprion kann nach reiflicher Abwägung selbst entscheiden, in welchem Abschnitt und auf welcher Länge Erdkabel verlegt werden dürfen. Dazu bedarf es nicht einer Anordnung der Behörde. 3. Der Planfeststellungsbeschluss ist frei von beachtlichen Abwägungsfehlern. 4. Dem Bodenschutz und den Interessen der Landwirtschaft trägt der Planfeststellungsbeschluss ausreichend Rechnung. 5. Vorübergehende Schädigungen des Bodens durch Bauarbeiten sind grundsätzlich hinnehmbar. 6. Das Bodenschutzkonzept stellt ausreichend sicher, dass die Böden nach der Bauphase weitgehend wiederhergestellt werden. 7. Nach Abschluss der Baumaßnahmen können die Flächen wieder bewirtschaftet werden. In Lennestadt bei der Firma Tracto hat man das Urteil mit Spannung und Interesse verfolgt. Die Sauerländer sind Spezialisten für Bohrgeräte aller Art. Salopp gesagt: Immer wenn es etwas Besonderes zu buddeln gibt, hält Tracto ein Spezialgerät parat. Quasi: moderne Maulwürfe - unter anderem für die Verlegung von Glasfaserkabeln, die Verrohrung für Gasanschlüsse, Trinkwasserleitungen oder Stromkabeln. In Borgholzhausen wurden Erdkabel in offener Bauweise verlegt &bdquo;Deshalb sind wir eindeutig &bdquo;pro Erdkabel“, betont Stefan Schmitz, Leiter Marktentwicklung DACH bei Tracto: &bdquo;Allerdings in der grabenlosen Bauweise und nicht in der in Borgholzhausen angewandten offenen Bauweise.“ Deshalb begrüßt er das Leipziger Urteil: &bdquo;Deutschland kann sich nicht leisten, bei diesem Thema alle Jahre eine Kehrtwende zu vollziehen.“ Schmitz begründet: &bdquo;Zuerst wollte man Freileitungen verlegen, 2016 erhielten die Erdkabel den Vorrang. An diesen Vorgaben sollte man nun auf keinen Fall mehr rütteln, denn dann gerät die Energiewende in Gefahr.“ Zum Thema: Stromtrasse in Borgholzhausen: Kläger erwarten finalen Gerichtstermin Mit dieser Forderung befindet sich Stefan Schmitz in bester Gesellschaft. Auch die schwarz-grüne NRW-Landesregierung warnt davor, &bdquo;dass die Verzögerungen durch Umplanungen und mehr Einwendungen in Genehmigungsverfahren deutlich unterschätzt werden“, so Mona Neubaur, Ministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie (Grüne). Bei einer Neuplanung könnten schnell drei bis fünf Jahre ins Land gehen, ganz zu schweigen von den zusätzlich entstehenden Kosten. Stefan Schmitz ergänzt: &bdquo;Die neuen Strom-Autobahnen sind wesentlicher Teil unserer Standort-Sicherheit und Industrie-Sicherung in Deutschland. Das sollten wir nicht aufs Spiel setzen. Dazu braucht es verlässliche Rahmenbedingungen. Die hat es jetzt aus Leipzig gegeben.“ Schließlich habe die Industrie speziell für die Erdkabel-Verlegung in den vergangenen Jahren ihre Kapazitäten hochgefahren. Die bekäme bei einer neuerlichen Kehrtwende arge Probleme - ähnlich wie die Wärmepumpen-Hersteller bei dem Hick-Hack mit dem Heizungsgesetz. Amprion betreibt 11.000 Kilometer langes Stromnetz Das gesamte Stromnetz in Deutschland umfasst rund 36.000 Kilometer. 11.000 Kilometer davon betreibt Amprion. Rund 20 bis 35 Prozent des gesamten Netzes sind als Erdkabel verlegt. &bdquo;Wir arbeiten daran, dass dieser Anteil Schritt für Schritt steigt“, sagt Stefan Schmitz. Lesen Sie auch: Klage gegen die Amprion-Trasse in Borgholzhausen: Was sind die Lehren? Um die Verlegung von Erdkabeln möglichst nachhaltig, kosten- und ressourcenschonend zu gestalten, steht Tracto seit Jahren in engem Austausch mit den großen Netzbetreibern Tennet, Amprion, 50 Hertz und TransnetBW sowie den beauftragten Baufirmen. &bdquo;Wir führen Schulungen durch und bieten Informationen an“, so Stefan Schmitz. Spätestens seit dem Glasfaserausbau sei zum Thema grabenlose Erdkabelverlegung viel in Bewegung gekommen. Auch in Bochum hat man die Klage aus Borgholzhausen mit Interesse verfolgt. &bdquo;Ich kann dem Urteil sehr viel abgewinnen“, betont Jan-Hendrik Kamlage. Der wissenschaftliche Geschäftsführer des Zentrums für Umweltmanagement, Ressourcen und Energie an der Ruhr-Universität Bochum beschäftigt sich seit 2012 mit Konflikten, Akzeptanzbildung und Bürgerbeteiligung beim Stromnetzausbau. Er sagt: &bdquo;Es kann nur darum gehen, lokal die beste Lösung zu finden. Weil es immer zu einer Güterabwägung zwischen Naturschutz, Gesundheit, entstehenden Kosten und Betroffenengruppen kommt, die leider nicht auflösbar sind. So bleibt ja nur die gründliche Abwägung und Kommunikation in der Öffentlichkeit als Weg, um damit umzugehen. Dies kann nur lokal stattfinden.“ Amprion muss Ausgleichsflächen in Borgholzhausen kaufen Die beste Lösung könne mal eine Erdverkabelung sein und an anderer Stelle auch mal eine Freileitungstrasse. Es wäre klug, eine Flexibilität im System zu haben und nicht Dinge als Standard zu setzen. &bdquo;Genau in diese Richtung haben die Richter in Leipzig jetzt geurteilt“, sagt Kamlage. Aktuelle News bekommen Sie täglich über den WhatsApp-Kanal des HK Die Kläger um Georg von Kerssenbrock störten sich im Laufe des Verfahrens stets daran, dass Amprion zu viel Entscheidungsgewalt erhalten habe und von der Bezirksregierung Detmold nur unzureichend oder gar nicht kontrolliert würde. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes würde diese Machtposition nun sogar noch ausbauen. Das nimmt Jan-Hendrik Kamlage etwas anders wahr. Er sieht die &bdquo;notwendige Flexibilität im Verfahren“, aber auch eine &bdquo;sorgfältige und nachvollziehbare Abwägung und Begründung im Planfeststellungsverfahren auf lokaler Ebene“. Bezirksregierung schreibt Amprion weitere Maßnahmen vor In die gleiche Kerbe schlägt auch Borgholzhausens Bürgermeister Dirk Speckmann: &bdquo;Es hat ja gleich mehrere Änderungen an der Planfeststellung gegeben. Unter anderem auch eine, bei der die Bezirksregierung Amprion vorgeschrieben hat, noch einmal nachzubessern, weil der Detmolder Behörde die ursprüngliche Vorlage nicht ausreichte.“ Infolgedessen musste Amprion am Berghauser Weg weitere rund drei Hektar Kompensationsflächen zukaufen. Mit dem positiven Effekt, dass es dort nun zu einem Lückenschluss der &bdquo;Waldbrücke“ als Biotopverbund zwischen Johannisegge und Barenberg gekommen ist.

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