Jüdischer Geschäftsmann aus Borgholzhausen wurde aus Weltkonzern verdrängt

Borgholzhausen. Diesen Artikel hat Barbara Maass mit großem Interesse gelesen. Die kanadische &bdquo;Vanity Fair“ berichtete am 12. September über den Transport-Giganten Kühne + Nagel. Der hat im Jahr 2023 rund 28 Milliarden Euro Umsatz erzielt - und ganz offenbar eine unrühmliche nationalsozialistische Vergangenheit, über die sich das Unternehmen aber lieber ausschweigt. Barbara Maass lebt in Kanada. Ihr Vater Gerhard emigrierte im Jahr 1938 hierher. Ihr Großvater Adolf Maass, Vater von Gerhard Maass, wurde 1875 in Borgholzhausen geboren und war bei Kühne + Nagel einmal das, was man heute als &bdquo;hohes Tier“ bezeichnet würde. Kurz nach der Lehre war er schon Abteilungsleiter, mit gerade einmal knapp 27 Jahren gründete er die Hamburger Niederlassung der Bremer Spedition. 1910 wurde Adolf Maass Teilhaber, später hielt er 45 Prozent am Hamburger Zweig des Unternehmens. Nachzulesen ist das bei stolpersteine-hamburg.de. In der Hansestadt, in der Maass mit seiner Frau Käthe lebte, erinnert ein Stolperstein an das Schicksal des jüdischen Ehepaars. Im Juli 1942 wurden beide ins KZ Theresienstadt deportiert, im Mai 1944 weiter nach Auschwitz. Hier wurden Adolf und Käthe Maass spätestens Anfang 1945 ermordet. Wenige Tage nach dem Ausscheiden des Borgholzhausener Anteilseigners traten Kühnes der NSDAP bei Nachzulesen ist auf besagter Seite auch, dass Adolf Maass im April 1933 Kühne + Nagel ohne Abfindung verließ. Firmenchefs waren zu dieser Zeit die Brüder Werner und Alfred Kühne. Wenige Tage nach dem Ausscheiden ihres jüdischen Teilhabers wurden die Kühne-Brüder am 1. Mai NSDAP-Mitglieder. Die Verstrickungen des Unternehmens in den Nationalsozialismus wurden 2014 öffentlich bekannt. Der Mehrheitsgesellschafter und ehemalige Vorstandsvorsitzende Klaus-Michael Kühne, Sohn von Alfred Kühne, gab beim &bdquo;Handelsblatt Research Institute“ eine Studie in Auftrag, um die gesamte Geschichte der 1890 gegründeten Firma zu untersuchen. Aber der mittlerweile 87-Jährige mauert seitdem: Er lehnte bereits 2015 die Veröffentlichungen der 180-seitigen Studie ab. Für &bdquo;Vanity Fair“ steht fest: Die Erkenntnisse über die NS-Zeit behagen Kühne, dem laut Magazin &bdquo;Forbes“ reichsten Deutschen, nicht. &bdquo;Das ist der Artikel, auf den ich gewartet habe“, sagt Adolf Maass’ Enkelin Bei einer Telefonkonferenz zur Studie soll er gesagt haben: &bdquo;Mein Vater war kein Nazi.“ Laut den Quellen soll der Mehrheitsgesellschafter zudem verfügt haben, die Studie nicht erscheinen zu lassen, nachdem die beteiligten Forscher sich geweigert hätten, das entsprechende Kapitel über Klaus-Michael Kühnes Vater, seinen Onkel und die Firma zu ändern. Barbara Maass machte Ulrich Schneider unlängst auf den umfangreichen Artikel in der kanadischen Zeitschrift aufmerksam. Schneider bewohnt mit seiner Familie das Geburtshaus von Adolf Maass an der Freistraße. Er leitete den Artikel an die Heimatvereinsvorsitzende Eva-Maria Eggert weiter. Es sei der Artikel, &bdquo;auf den ich gewartet habe“, schreibt Maass in der E-Mail an Schneider. Wie schon mehrfach im HK berichtet, stehen die Nachfahren der Familie Maass im Kontakt zum Heimatverein und zu Ulrich Schneider. Was sagt &bdquo;Vanity Fair“? Ihren jüdischen Anteilseigner - also den Borgholzhausener Adolf Maass - hätten die Kühne-Brüder schon früh verdrängt, nämlich nach Hitlers Machtübernahme. Das Magazin verweist auf die mehr als 30-jährige Wirken von Maass in dem Unternehmen und auf seinen 45-Prozent-Anteil am Hamburger Zweig zum Zeitpunkt des Ausscheidens. &bdquo;Dies war der größte und profitabelste Teil der Firma“, so &bdquo;Vanity Fair“. Anschuldigungen gegen Adolf Maass in Nazi-Deutschland nicht unüblich Dann beruft sich das Magazin auf einen Vertrag im Familienarchiv der Maassens im Holocaust-Museum von Montreal. Demnach habe Adolf Maass seine Anteile und Ansprüche an die Kühne-Brüder am 22. April 1933 übertragen - ohne Kompensation. Der Grund? Die angebliche Unfähigkeit, &bdquo;seine finanziellen Verpflichtungen“ den Kühnes und dem Unternehmen gegenüber zu erfüllen. Diese Anschuldigungen waren im nationalsozialistischen Deutschland nicht unüblich, um jüdische Anteilseigner aus ihrer Firma zu schmeißen. Frank Bajohr, Chef des Zentrums für Holocaust-Studien in München, wird in &bdquo;Vanity Fair“ zitiert: &bdquo;Das war kein freier und regulärer Geschäftsvertrag.“ Der Zeitpunkt im Frühjahr 1933 sei alles andere als zufällig gewesen. &bdquo;Die Kühnes nutzten die politische Situation zu ihren Gunsten“, so Bajohr. Adolf Maass hätte in den Jahren vor Hitlers Machtübernahme einen solchen Vertrag nicht unterzeichnet. &bdquo;Das war sogenannte Arisierung.“ Nach der Verdrängung ihres jüdischen Anteilseigners sei der Weg für die Firmenchefs frei gewesen, Kühne + Nagel zum nationalsozialistischen Musterbetrieb zu formen. Maass’ Abstammung hätte laut den Kühnes &bdquo;ernsthaften Ärger“ für die Firma bedeutet Nach dem Zweiten Weltkrieg während ihres Entnazifizierungsverfahren hätten Alfred und Werner Kühne die Sache etwas anders dargestellt: Maass’ jüdische Abstammung hätte &bdquo;ernsthaften Ärger“ für die Firma und sie selbst bedeutet. Adolf Maass habe das Unternehmen freiwillig verlassen, persönlicher wirtschaftlicher Vorteil sei ihnen durch die Auflösung der Partnerschaft nicht entstanden. Laut &bdquo;Vanity Fair“ hat Alfred Kühne aber zumindest von den Machenschaften der Nazis und dem Völkermord an den europäischen Juden profitiert. Als Beispiel nennt &bdquo;Vanity Fair“ die &bdquo;A-Aktion“ zwischen 1942 und 1944. Das Inventar von 70.000 Wohnungen, die früher Juden gehört hatten, sei im Zuge der &bdquo;Möbelaktion“ aus besetzten Ländern nach Nazi-Deutschland transportiert worden - mit entsprechenden Gewinnen für die beteiligte Firma Kühne + Nagel. Frank Bajohr trifft laut Zitat bei &bdquo;Vanity Fair“ ein vernichtendes Urteil. Kühne + Nagel sei bei der Transportaktion des geplünderten Inventars quasi Monopolist gewesen und damit &bdquo;in derselben Kategorie wie Firmen, die Zyklon B für den Gebrauch in Gaskammern verkauften“. Barbara Maass gedenkt vor 300 Menschen der Geschichte ihrer Familie Ein Interview mit &bdquo;Vanity Fair“ zum vorliegenden Artikel soll Klaus-Michael Kühne abgelehnt haben. Sein Sprecher richtete demnach schriftlich aus, dass Herr Kühne am Ende des Zweiten Weltkriegs sieben Jahre alt gewesen sei und daher nichts mit dem Krieg zu tun gehabt habe. &bdquo;Er ist jetzt 87 Jahre alt und - noch einmal - diese geschichtlichen Ereignisse liegen außerhalb seiner Kontrolle“, zitiert &bdquo;Vanity Fair“ den Sprecher. Auch Barbara Maass widmet &bdquo;Vanity Fair“ einen Abschnitt in dem Artikel. Unter der Überschrift &bdquo;Die Wahrheit muss erzählt werden“. Dafür war Barbara Maass vor einem Jahr in Bremen, wo ein Arisierungsmahnmal eröffnet wurde - gegenüber dem deutschen Hauptquartier von Kühne + Nagel. Barbara Maass war aus Montreal angereist. Sie gedachte vor den 300 Anwesenden der Geschichte ihrer Familie. Vor ihrem Bremen-Besuch machte sie übrigens auch einen kurzen Abstecher nach Borgholzhausen. Klaus-Michael Kühnes These, es sei an der Zeit, weiterzumachen, stimmt sie nicht zu. &bdquo;Vielleicht bin ich naiv, aber ich glaube, wir können aus der Vergangenheit lernen - aber nur, wenn wir wissen, was in der Vergangenheit passiert ist“, zitiert die &bdquo;Vanity Fair“ Barbara Maass. Verbrechen gegen die Menschlichkeit seien immer relevant. Moralische Entscheidungen seien heute wie früher in gleichem Maße zu treffen. Barbara Maass weiter: &bdquo;Ich bin tief überzeugt, dass die Wahrheit erzählt werden muss.“ Und Klaus-Michael Kühne? Laut dem langjährigen Kühne + Nagel-Betriebsratsvorsitzenden Thomas Sorg werde der alles tun, um die Erinnerung an den Vater zu verteidigen. Wenn er sterbe, so habe es Klaus-Michael Kühne einmal einem deutschen Magazin gesagt, wisse er schon, wo er beerdigt werde. Auf dem Friedhof von Hamburg-Ohlsdorf. Neben seinem Vater.

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