Welt-Schlaganfalltag

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Notfall Schlaganfall: Die meisten Betroffenen warten zu lange ab

Nur 25 Prozent der Patienten treffen innerhalb der ersten zwei Stunden nach Symptombeginn in der Klinik ein. Damit riskieren sie schwere Folgeschäden, denn bei der Behandlung zählt jede Minute.

Hans-Hasso Kleina wurde nach seinen Schlaganfällen von Schlaganfall-Lotsin Sabine Bruning unterstützt. Für ihre Hilfe ist der Rentner bis heute sehr dankbar. | © BESIM MAZHIQI

Carolin Nieder-Entgelmeier
29.10.2023 | 29.10.2023, 08:00

Gütersloh/Hiddenhausen. Jeder Schlaganfall ist ein Notfall, doch nicht immer folgt darauf der lebenswichtige Notruf. Nach Angaben der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe erreichen nur 25 Prozent der Patienten innerhalb der ersten zwei Stunden nach Symptombeginn eine Klinik. Mit diesem Zögern riskieren Betroffene schwere Folgeschäden, denn bei der Behandlung eines Schlaganfalls zählt jede Minute. Wie das Leben nach einem Schlaganfall aussieht, wird deshalb nicht nur im Krankenhaus bestimmt, sondern auch schon in der Zeit davor. Um mehr Menschen über das richtige Verhalten im Notfall aufzuklären, setzt die Stiftung den Welt-Schlaganfalltag am 29. Oktober unter das Motto „Jeder Schlaganfall ist ein Notfall – 112“.

„Die erste Zeit nach einem Schlaganfall entscheidet über das Ausmaß der Schäden im Gehirn. Jede Minute sterben bis zu 1,9 Millionen Nervenzellen ab“, erklärt Andreas Rogalewski, Chefarzt der Klinik für Neurologie im Sankt Elisabeth Hospital Gütersloh. In dem Zeitfenster der ersten viereinhalb Stunden nach Symptombeginn besteht bei Schlaganfällen, die durch einen Gefäßverschluss im Gehirn ausgelöst werden, die Möglichkeit der Lysetherapie. „Wir versuchen dann mit Medikamenten, den Gefäßverschluss zu beseitigen, damit die Blutversorgung wieder hergestellt werden kann.“

Verstreicht dieses Zeitfenster, müssen Ärzte nach Angaben Rogalewskis auf andere Therapien zurückgreifen. „Deshalb kämpfen die Teams der Spezialstationen für Schlaganfallpatienten, den Stroke Units, nach dem Eintreffen von Patienten, bei denen der Verdacht auf einen Schlaganfall besteht, um jede Minute.“ Im Durchschnitt vergehe so nach der Ankunft in der Klinik weniger als eine Stunde bis zum Therapiebeginn. „Häufig schaffen wir das innerhalb von 30 Minuten.“ Das schnelle und standardisierte Vorgehen auf den Stroke Units nutze den Patienten, sagt Rogalewski. „Aber es macht auch Angst, weshalb interdisziplinäre Teams zur Verfügung stehen, die die Patienten vom ersten Tag sehr eng begleiten.“

In der Klinik folgt der zweite Schlaganfall

Während Ärzte und Pfleger um jede Minute kämpfen, verstreichen vor der Klinikeinlieferung oft wertvolle Stunden. „Schlaganfall-Symptome treten plötzlich auf, weshalb viele Betroffene glauben, dass sie auch schnell wieder verschwinden“, erklärt Rogalewski. Von Patienten hört der Neurologe jedoch auch immer wieder, dass sie schon mit der Diagnose Schlaganfall gerechnet haben, die Situation aber nicht wahrhaben wollten. „Zudem gibt es Patienten, die die Symptome nicht zuordnen können und deshalb abwarten oder die vielerorts überlasteten Mitarbeiter in den Notaufnahmen nicht stören wollen.“

Auch Hans-Hasso Kleina hätte nach seinem ersten Schlaganfall-Symptom vor neun Jahren erst einmal abgewartet, wenn seine Frau nicht direkt die 112 alarmiert hätte. „Ich stand in der Dusche, als plötzlich mein linkes Bein wegknickte. Da aber schnell wieder alles gut war, sagte ich meiner Frau noch, dass ein Rettungswagen nicht nötig ist.“ Die Vermutung seiner Frau bestätigt sich jedoch kurz darauf im Klinikum Herford. „Ich kam direkt auf die Stroke Unit und erlitt dort einen zweiten, schweren Schlaganfall“, erklärt der 76-jährige Hiddenhauser. Kleina erlebt den Schlaganfall mit Wortfindungsstörungen und einer Lähmung der linken Körperhälfte, die sich auf den gesamten Körper ausbreitet. „Doch niemand weiß, wie viel schlimmer es gekommen wäre, wenn meine Frau nicht sofort die 112 gerufen hätte und ich nicht direkt auf der Stroke Unit therapiert worden wäre.“

„Durch Engagement dem Schlaganfall ein Gesicht geben“

Seine Sprache erlangt Kleina schnell wieder, doch die Lähmung ist geblieben. „Kurze Strecken schaffe ich mit einem Stock, doch für längere Wege nutze ich einen Elektro-Rollstuhl, mit dem ich mich selbstbestimmt fortbewegen kann.“ Die Behinderung hat der Rentner inzwischen angenommen. „Als neuen Teil von mir.“ Durch die Schlaganfälle und die Hilfe seiner Frau, seiner Schlaganfall-Lotsin sowie seiner Selbsthilfegruppe in Herford hat Kleina eine neue Perspektive auf das Leben. „Es war nicht leicht, aber ich habe erkannt, dass mein Leben auch mit Einschränkungen lebenswert ist.“

Zudem hat Kleina eine neue Aufgabe im Leben, denn der 76-Jährige hat sich der Unterstützung von Betroffenen verschrieben – als Teil des Programms der Schlaganfall-Helfer und in der Selbsthilfe. „Durch mein Engagement möchte ich dem Schlaganfall ein Gesicht geben.“ Teil davon ist auch Aufklärung, „denn noch immer wissen viele nicht, wann sie die 112 wählen sollten“.

Bei Verdacht auf Schlaganfall nicht selber Auto fahren

Bei Symptomen wie Sehstörungen, Sprach- und Sprachverständnisstörungen, Lähmungen und Taubheitsgefühlen, Schwindel mit Gangunsicherheit sowie sehr starken Kopfschmerzen sollten Betroffene nach Angaben Rogalewskis umgehend den Notruf wählen, weil ein Schlaganfall die Ursache sein könnte. „Betroffene sollten nicht abwarten und die Symptome auch nicht beim Hausarzt abklären lassen, sondern sofort reagieren.“

Rogalewski rät zudem davon ab, dass Betroffene selber in die Notaufnahme fahren oder sich fahren lassen. Der Rettungsdienst sei die beste Wahl, weil dann direkt die nächste Stroke Unit angefahren werden könne. „Dafür sind wir 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche da.“

Info

FAST-Test als App

Die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe bietet den FAST-Test auch als App an.

Mit drei einfachen Fragen zu den häufigsten Schlaganfall-Symptomen können Laien so einen Verdacht überprüfen und aus der App heraus direkt den Notruf 112 auslösen. Die App ist dreisprachig deutsch, englisch und türkisch und mit einer Audiofunktion ausgestattet, in der die Fragen vorgelesen werden.

Weitere Infos finden Sie hier.