Nur fünf Jahre nach Neustart: Borgholzhausener Unternehmen schließt

Borgholzhausen. "Zum Monatsende geht der vordere Teil an den Mieter", sagt Jürgen Kampmann. Der 65-jährige Unternehmer aus Leidenschaft spricht gern, lächelt viel. Bei diesem Satz allerdings nicht. Etwas zögerlich erläutert er den Ablaufplan der Übergabe der Immobilie seiner "Kampmann international" am Stadtgraben. Erst 2017 hatte der Mittelständler auf dem prominentesten Bauplatz des Gewerbegebiets am Kreisel gebaut. 45 Jahre waren seine Frau Eveline und er da schon im Geschäft. Auch die Stickerei hatte sich bereits einige Jahrzehnte erfolgreich am Markt behauptet, bevor sie in die Lebkuchenstadt zog. Mit der Aufgabe des großen Betriebes zieht das Textilunternehmerpaar nun die Reißleine. "Wir machen das für unsere Seele", sagt Kampmann. Direkt von der Insolvenz bedroht sei man nicht. Rosige Aussichten bestünden aber ebenfalls keine. "Wenn es noch Spaß gemacht hätte, würden wir vielleicht noch ein paar Jahre weitermachen. Aber so ..." Schon vor zwei Jahren hatte sich das Ende angekündigt. &bdquo;Man fährt uns vor die Wand", hatte Jürgen Kampmann damals über die Bundespolitik geschimpft. Worte, die damals viele aufgeschreckt hatten, wie er heute berichtet. Die Corona-Krise hatte den Mittelständler, der mit fünf großen Industrie-Stickmaschinen und mehreren Mitarbeitern Produkte für Hotels, Kommunen, Brauereien oder Autohersteller personalisiert, voll getroffen. Binnen weniger Wochen brachen fast sämtliche Aufträge weg. Nordseeinseln, die bei Kampmann ihre Touri-Pullis bestellten, hatten keine Gäste mehr, die Gastronomie kämpfte ums Überleben, Werbeetats wurden zusammengestrichen. "Das hat uns extrem hart getroffen", so der Unternehmer. Dem Mittelstand wird es schwer gemacht Das Paar machte trotzdem weiter. Mitarbeiter wollten bezahlt werden, eine neue Geschäftsidee musste her. Und die wurde tatsächlich gefunden: individuelle Gesichtsmasken. Die Kampmanns investierten ein weiteres Mal, besorgten sich sogar die Rechte von Mäuse-Zeichner Uli Stein - und gingen baden. Kaum begann das Geschäft zu brummen, verbot die Bundesregierung die Nutzung solcher Masken und stellte auf OP- und FFP2-Standard um. "Wir sind wirklich frustriert, wie man teilweise mit uns umgegangen ist", berichtet der Wahl-Piumer rückblickend. Und meint nicht nur das Masken-Fiasko. Überhaupt, so findet er, werde es dem Mittelstand in Deutschland zu schwer gemacht. Eigentlich war der Plan, dass sie ihre Stickerei an einen befreundeten Kollegen verkaufen. "Aber dessen Firma litt fast noch schlimmer unter Corona als wir", sagt Jürgen Kampmann. Heute sei der Mann froh, wenn er sein eigenes Unternehmen weiterführen könne, an Expansion sei derzeit nicht zu denken. "Damit geht für uns natürlich auch die Perspektive flöten." Gleichzeitig steigen die Materialkosten derzeit rasant, während der Tourismusmarkt noch nicht bei den Vor-Corona-Zahlen angekommen sei. Alles in allem eine ernüchternde Situation. Nicht zu vergleichen mit den 1990ern, als "Kampmann international" groß wurde. 1973 hatten Jürgen und Eveline Kampmann bei einem großen Bielefelder Unternehmen ihre Ausbildungen als Groß- und Außenhandelskaufleute angetreten - gemeinsam. Einige Jahre später galt das "gemeinsam" auch im privaten. 1989 gründeten sie dann ihre Stickerei in Bielefeld. "Bis 2008 ging es eigentlich straight nach oben", blick der 65-Jährige zurück. Zwölf Festangestellte beschäftigten sie. Noch ein paar Jahre später kam dann der Discounter Lidl, kaufte das alte Firmengelände, und Kampmanns hatten die Wahl: früher Ruhestand oder noch einmal durchstarten am neuen Standort. "Wenn man eine Chance sieht, schnell zugreifen" Sie wagten es - in Borgholzhausen. Kauften das Grundstück am Stadtgraben und einige hundert Meter weiter einen Bauplatz für das Privatahaus. "Das war ja eigentlich ein guter Plan. Noch einmal neu aufstellen", sagt Kampmann. Rückblickend vielleicht nicht die beste Entscheidung. Aber wer hätte Corona vorhersehen können? "Das war immer meine Devise: Wenn man eine Chance sieht, schnell zugreifen. Das ist doch deutsches Unternehmertum", sagt Jürgen Kampmann. Nach dem Corona-Debakel fällten sie gemeinsam die Entscheidung, das große Unternehmen zu schließen. Mehrere potenzielle Nachfolger scheiterten an der Finanzierung, nun ist wenigstens ein Unternehmer aus der Outdoor-Branche gefunden, der den repräsentativen Firmensitz für seine junge Firma mieten wird. Derzeit wird aufgeräumt. Jürgen Kampmann verkauft die Restbestände, auch die Maschinen sollen weggehen. In der zweiten Jahreshälfte wollen die Kampmanns eigens dafür ein kleines Outlet eröffnen, das Einzelstücke und Restkollektionen anbietet: "Das sind ja hochwertige Stücke." Im Herbst übergeben sie die Immobilie dann vollständig. "Nur kleinere Aufträge, zum Beispiel für die Leute am Ort, machen wir weiter", sagt Jürgen Kampmann. Darunter Herzensangelegenheiten wie den Adventskalender in Blindenschrift, den Eveline Kampmann entwickelt hat. Eine kleinere Stickmaschine soll ins Eigenheim umziehen. Dort wird weiter gestickt, denn die Maschinen beherrschen beide aus dem Effeff. Und natürlich bleibt nicht nur Frust, sondern auch Erleichterung. Am Ende haben sie ihre Stickerei mit viel Leidenschaft betrieben, schildert der Firmeninhaber: "In den 50 Jahren gab es ja viele schöne Momente. Jetzt schließen wir einfach sauber ab."

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