Gastbeitrag

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Bielefelder Forscher: Digitale Unkenntnis und Ablehnung verursachen Milliardenschäden

Die Digitalisierung droht zu einer modernen Form der Ausgrenzung zu werden. Denn viele Menschen kommen dabei nicht mit. Das verursacht Frust und Schäden, sagt der Bielefelder Meinungsforscher Klaus-Peter Schöppner.

Meinungsforscher Klaus-Peter Schöppner (Mentefaktum) hat ermittelt, dass Unsicherheit und Unkenntnis zur Ablehnung von digitalen Möglicheiten führt. Er spricht schon vom "digitalen Wutbürger". | © NW

05.11.2025 | 05.11.2025, 05:00

Wer kennt sie nicht: Die „Glasfaser wofür“-Bürger? Die Autofahrer, die den Parkplatz verzweifelt zu verlassen versuchen, weil sie den Ticketautomaten nicht verstehen? Die Verbraucher, die ihre nun Digital-Prospekte nicht herunterladen können? Die ÖPNV-Verzweifler, die es nicht schaffen, das Prepaid-Ticket zu lösen? Die verlorenen Enkelkontakte, weil das mit den Chats nicht klappt? Für viele ist die Digitalisierung zur modernen Form der Aussperrung geworden.

Damit läuft der neue Digitalminister Wildberger Gefahr, am Ziel der digitalen Transformation zu scheitern. Weil Nutzen erst einmal Kenntnisse voraussetzt, klafft da der Krater der Ahnungslosen: Mehr als jeder Vierte, über 15 Millionen Deutsche, schätzt seine eigenen Digitalkenntnisse als „schlecht“ ein. In OWL sind es sogar 39 Prozent. So lautet eines der Ergebnisse der aktuellen Repräsentativbefragung „Digitalakzeptanz der Deutschen“, die Mentefactum und Media Tenor im Auftrag der Deutschen Glasfaser auf Basis von 3.000 Interviews durchführte.

Gerade mal 14 Prozent, in OWL 16 Prozent, glauben, unser Land sei derzeit in der Digital- und Innovationspolitik „auf einem guten Weg“. Fuchsige Technik allein reicht nicht aus, solange die Bürger nicht mitgenommen werden. Erst die Kombination aus pfiffigen Programmen und Anwendungskönnen zaubert das digitale Deutschland.

Aus Unwissen entsteht der digitale Wutbürger

Milliarden an Sozialkontakten und Erlösen gehen verloren, wenn beim Staatsauftrag „Digitalisierung“ das „Weiß nicht, wie das geht“ aus analogen Nutzern den digitalen Wutbürger macht. Was bislang noch die Regel ist: Denn 69 Prozent der über 60-Jährigen, etwa 13 Millionen Menschen, können digitale Endgeräte „schlecht“ bedienen.

Ob die Anwendungskompetenz bei den Non-Digital-Natives steigerungsfähig ist, hängt von drei Baustellen ab:

Baustelle Aufklärung: Wir müssen klarmachen, wo uns die Digitaltechnik nützen kann. Zwar glauben 65 Prozent der Ostwestfalen an Nutzen in der Gesundheitsversorgung, 52 Prozent für Finanzen, 55 Prozent für Verkehr / Mobilität. Dann aber überwiegen die Zweifler: Nur 37 Prozent sehen in OWL positive Effekte für unsere Innere Sicherheit. Gerade 27 beziehungsweise 25 Prozent bei Aus- und Weiterbildung sowie Freundschaften und Beziehungen. Heißt: Klar machen, wo und wie uns Digitalisierung nutzen kann!

Baustelle Angst: Das dumpfe Gefühl vor faktischer Abschaffung des Privaten! Vor wachsender Unsicherheit, vor Kriminalität, vor Finanzbetrug, vor dem Ausnutzen eigener Spuren in den sozialen Medien. Heißt: Sorgen ernst nehmen und Lösungen für digitale Sicherheit allgemein verständlich machen.

Baustelle digitaler Blackout: Die Bürger müssen raus aus dem tiefen Tal der Ahnungslosigkeit im Umgang mit Apps, Chats und der Bedienung von PC, Tablet, Smartphones. Große Defizite sind bereits bei fast der Hälfte der über 45-Jährigen auffällig, ab 60-Jährigen, herrscht weitgehendes Kenntnis- und Anwendungschaos. Der Teufelskreis: Das Gefühl der Überforderung führt zu mangelndem Interesse. Digitalabstinenz ist die Folge.

Milliardenschäden durch Unkenntnis

Zweifel am Nutzwert, Angst und Unkenntnis verursachen im Deutschland des Jahres 2025 einen Milliardenschaden: Ärger beim digitalen Kommerz, Autofahrten statt Kampf um das richtige Bahnticket, aufgegebene Arztterminsuche, bei Filmen am Streaming gescheitert: Digitalisierung soll das Leben der Bürger einfacher machen, bislang spaltet sie uns. Gefordert sind zuerst die Fordernden: Für 68 Prozent müssen Politik, Verwaltung und Behörden am dringlichsten die digitale Aufholjagd starten. Da sind die Unternehmen schon weiter.

Digitale Teilhabe muss zweites großes Ziel der deutschen Digitaloffensive sein: Also informieren, was, wann, wie getan werden muss, um digital fit zu werden. Durch Lehrgänge, gedruckte App-Anleitungen, durch persönliche Scouts. Und durch richtige Testimonials nach Beispiel des „Ich-bin-drin“-Boris:

Mit Storytelling und ersten Erlebnischats. Mit Enkeln, die den Omas und Opas in der Nachbarschaft die Grundlagen erklären. Und durch zeitlich begrenzte digitale oder analoge Wahlfreiheit.

In Amerika werden häufig zehn Prozent von Forschungsetats in die „Das nützt es Dir“-Kommunikation investiert. Auch das könnte Minister Wildberger helfen, den Bürgern das dringend benötigte digitale Zugehörigkeitsgefühl zu vermitteln.