Kommentar

Die NRW-Regierung hat den Protest der Sozialverbände unterschätzt

Wenn sich mehr als 30.000 Menschen zu einer Kundgebung aufmachen, dann sollte die Politik das genaustens registrieren, meint unser Autor.

"Die Bildung unserer Kinder ist uns doch zu teuer...": Mit Slogans wie diesem protestierten Tausende in Düsseldorf gegen die Sparpläne. | © picture alliance/dpa

Ingo Kalischek
13.11.2024 | 13.11.2024, 18:44

Auch, wenn sie in Umfragen gut dasteht: Die schwarz-grüne Landesregierung in NRW kann froh sein, dass im Frühling im Bund gewählt wird – und nicht in Düsseldorf. Werbung in eigener Sache hat sie gestern nämlich nicht betrieben. Im Gegenteil: Wenn sich mehr als 30.000 Menschen aus dem ganzen Land aufmachen, um gegen die Sozial-Politik des Landes zu demonstrieren, dann ist das eine schallende Ohrfeige. Die richtet sich ausdrücklich an CDU und Grüne in NRW – und nicht an die Bundesregierung in Berlin, wie Teilnehmer betonten.

Während Ministerpräsident Wüst gar nicht erst vor Ort war, wurden Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) und Familienministerin Josefine Paul (Grüne) mit gellenden Pfeifkonzerten bedacht. Sie konnten die Menge nicht nur nicht beschwichtigen. Sie schürten mit ihren Redebeiträgen gar noch mehr Verdruss. Die Pfiffe am Ende waren lauter als zu Beginn. Das zeigt: Die Demonstranten sind es leid, sich mit mit Absichtsbekundungen vertrösten zu lassen. Dass ausgerechnet Laumann von Sozialverbänden einmal derart ausgebuht würde, hätte er wohl kaum erwartet.

Dennoch verblüfft es schon, dass die bislang strategisch oft sehr geschickt agierende Landesregierung dieses Thema nicht im Vorfeld eingefangen hat. Die Hauptkritik der Demo-Teilnehmer bezieht sich auf Kürzungspläne in Höhe von rund 83 Millionen Euro. Zum Vergleich: Der Landeshaushalt wird ein Volumen von rund 105 Milliarden Euro haben. Das Geld, das Schwarz-Grün nun im Sozialen streichen will, könnte es eigentlich aus der Portokasse stemmen.

Die Verbände beteuern, dass sie die Kürzungen hart treffen werden

Während es sich aus Landessicht um verhältnismäßig geringe Summen handelt, machen die für die Betroffenen vor Ort aber einen großen Unterschied aus. Diakonie, Caritas, Rotes Kreuz und weitere Verbände beteuern, dass sie die Kürzungen hart treffen werden. Beratungsangebote in der Flüchtlingshilfe könnten eingestellt werden. Gleiches gilt zum Beispiel für die Aidshilfe, Suchtberatung und für Familienzentren. Es gibt wenig Gründe, an den Aussagen der Betroffenen zu zweifeln.

Dem Gegenüber ist es richtig, dass das Land NRW sparen muss. Die Ressorts haben Mittel in Höhe von 3,6 Milliarden Euro zusammengekürzt – das ist mit einem gehörigen Kraftakt verbunden gewesen. Richtig und nachvollziehbar ist auch, dass NRW die Bildung und frühkindliche Bildung von den Sparplänen ausnimmt.

Dennoch dürfte das Land den Unmut der Sozialverbände unterschätzt haben. Ihr Frust hat sich über Jahre angestaut, weil sich ihre Arbeitsbedingungen immer weiter verschlechtern. 83 Millionen Euro scheinen das Fass nun zum Überlaufen zu bringen. Zumindest das könnte das Land eigentlich schnell korrigieren – aller Sparzwänge zum Trotz.