Kommentar

„Null-Bock-Tage“: Das braucht Deutschland gerade nicht

Wer sich nicht nach Arbeit fühlt, beantragt einen „Null-Bock-Tag“. In Großbritannien ist das Modell etabliert. Doch dabei handelt es sich um eine Scheindebatte.

Morgens aufstehen und sich von der Arbeit abmelden, ohne krank zu sein? Darum geht es bei "Null-Bock-Tagen". | © IMAGO/Westend61

Alexander Graßhoff
28.10.2024 | 28.10.2024, 19:18

Es wäre tatsächlich die neue, schöne Arbeitswelt. Verschlafen und gerädert schält man sich morgens aus dem Bett und stellt gähnend fest: Das Herbstwetter drückt auf die Stimmung, die Motivation ist am Boden und überhaupt ist privat viel zu regeln. Also: schneller Anruf beim Chef. Der „Null-Bock-Tag“ ist beantragt und der Weg führt zurück zum Bett.

Was sich anhört, wie eine lange gehegte Wunschvorstellung vieler Arbeitnehmer, ist in einigen Unternehmen längst Wirklichkeit. In Großbritannien etwa. Oder bei Tech-Riesen wie Microsoft. Auch in NRW spielen Firmen offenbar mit der Idee, Mitarbeitern zusätzliche Auszeiten zu verschaffen. Derweil bleiben Urlaubstage unberührt, die Überstunden auch. Noch nicht mal eine Krankmeldung wäre nötig, und der Lohn läuft weiter.

Doch angesichts der Wirtschaftslage in Deutschland erscheint die Forderung nach mehr Auszeit fehl am Platz. Sicher: Das derzeitige Ringen der Berliner-Ampelkoalition um neuen Schwung für die drittgrößte Wirtschaftsmacht ist derzeit kein Lustbringer für das eigene Arbeitsleben – zumal der Kanzler und der Finanzminister sich fast schon kindisch mit Gipfeln und Gegengipfeln zur Wirtschaft bekriegen. Wenn die große Linie fehlt, ist es mit der Motivation an der Basis nicht weit her. Das Bedürfnis nach etwas mehr Zeit außerhalb des täglichen Hamsterrades wächst.

Doch klar ist: Angesichts von Fachkräftemangel und Rekord-Krankenständen braucht Deutschland keine „Null-Bock-Tage“ – sondern „Voll-Bock-Tage“ mit absoluter Hingabe und Leidenschaft. Überhaupt handelt es sich bei der Debatte um „Null-Bock-Tage“ letztlich um eine Scheindiskussion. Denn, um sich zu erholen, gibt es Urlaub. Es gibt Überstunden, die in vielen Unternehmen auch spontan genommen werden können. Und Arbeitnehmer können sich drei Tage ohne Attest vom Arzt krankmelden, wenn sie sich nicht arbeitsfähig fühlen. Wann das der Fall ist, entscheidet letztlich jeder Arbeitgeber selbst. In Summe gibt es also bereits genügend Möglichkeiten, sich selbst von der Streckbank nie enden wollender Arbeitswochen zu nehmen.

In Wirklichkeit geht es um eine bessere Beziehung zum Arbeitgeber

Damit sind auch bereits einige der Hebel benannt, die von Arbeitgebern genutzt werden können, um die Motivation in der Belegschaft zu steigern. Denn letztlich geht es nicht darum, „Null-Bock-Tage“ einzuführen, sondern überhaupt das Bedürfnis der Mitarbeiter nach solchen Auszeiten zu reduzieren. Dazu braucht es Entgegenkommen und gegenseitiges Vertrauen bei der Nutzung der Werkzeuge, die es bereits gibt.

Wer etwa bei Bedarf flexibel auf das Homeoffice ausweichen kann, bekommt Privat- und Berufsleben besser unter einen Hut. Das Pochen auf Präsenz seitens der Arbeitgeber sorgt hingegen für Stress. Das Gleiche gilt für die flexible Gewährung von Tagen, an denen Überstunden abgefeiert werden können – oder die spontane Unterbringung von Resturlaubstagen im Dienstplan. All dies nimmt Stress aus dem System und lässt Arbeitgeber und -nehmer näher zusammenrücken.

Unmittelbar auswirken könnte sich das auf die Krankenstände. Denn stimmt es, was ein Hausarzt aus dem Kreis Höxter kürzlich gegenüber dieser Redaktion erklärte, melden sich mittlerweile viele Arbeitnehmer auch wegen einer leichten Erkältung krank, auch weil die Verbundenheit zum Arbeitgeber fehlt. Wird an dieser aber aktiv gearbeitet, wächst die Bereitschaft, nicht bei jedem Schnupfen auf eine Krankmeldung zu pochen. Damit wäre dem Wirtschaftsstandort mehr geholfen als mit den sogenannten „Null-Bock-Tagen“.